Interview | Historiker über Entschädigungsforderung - "Polen hat Reparationen erhalten - aber in Form von Waren"

Do 02.02.23 | 06:27 Uhr
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Kinder spielen 1945 zwischen zerstörten Häusern in Stettin (Quelle: Imago images)
Video: Die Reportage | 01.01.2023 | Team Kowalski & Magdalena Szaniawska-Schwabe | Bild: www.imago-images.de

1,3 Billionen Euro fordert Polen von Deutschland als Entschädigung für Kriegsschäden. Die Bundesregierung lehnt das ab: Polen habe auf Reparationen verzichtet. Der Historiker Krzysztof Ruchniewicz erklärt, wie es zu diesen zwei Ansichten kommt.

rbb: Herr Ruchniewicz, hat Polen von Deutschland überhaupt Reparationen erhalten?

Krzysztof Ruchniewicz: Bei der Potsdamer Konferenz 1945 wurde beschlossen, dass Polen Reparationen aus Deutschland über die Sowjetunion erhalten soll. Die polnischen Vertreter wurden in Potsdam über die Beschlüsse der vier Mächte informiert und haben sie zur Kenntnis genommen.

Zur Person

Portrait Professor Ruchniwicz.(Quelle:rbb)
rbb

Der Historiker Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz lehrt an der Universität Wrocław. Er ist auch Direktor des dortigen Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien (WBZ).

Zwei Wochen später, am 16. August 1945, hat die polnische Regierung aber ein Abkommen mit der Sowjetunion abgeschlossen. Sie hat die ersten Reparationen erhalten, das waren aber prozentuale Festlegungen, welche nicht in Form von Geld, sondern von Waren erfolgen sollten. Polen bekam über die Sowjetunion unter anderem Maschinen, Teile von Fabriken, Ausrüstung und Frachtschiffe. Wichtig ist aber noch: In der gleichen Vereinbarung vom 16. August 1945 hat sich Polen verpflichtet, der Sowjetunion Kohle zu niedrigen Preisen zu liefern, was sich aber überhaupt nicht rentierte.

Was hat Polen dafür bekommen?

Stalin willigte ein, dass die ehemaligen deutschen Ostgebiete an Polen übertragen werden. Die deutsche Bevölkerung sollte aus diesen Gebieten ausgesiedelt werden. Deutschland verlor ein Fünftel seines Gebietes.

Und wie ging es dann weiter?

Die polnische Regierung versuchte immer wieder, das Abkommen mit der Sowjetunion neu zu verhandeln. Man wollte die Kohlelieferungen reduzieren, weil man befürchtet hat, dass deren Wert am Ende höher wird als die Summe der Reparationen.

Dann brach der Volksaufstand in der DDR aus und die Sowjetunion setzte weitere Reparationen aus der DDR aus. Auch Polen kam der DDR entgegen und verzichtete auf die Reparationen aus ganz Deutschland, aus der DDR, aber auch aus Westdeutschland. 1957 hat Polen einen Vertrag mit der Sowjetunion unterzeichnet, der den Reparationstransfer beendete.

Gibt es Dokumente, die bestätigen, dass Polen auf Reparationen von ganz Deutschland verzichtet hat?

Es gibt eine Verzichtsdeklaration von der polnischen Seite. Die Völkerrechtler sind der Meinung, eine solche Deklaration sei gültig und nicht anfechtbar. Auch die späteren polnischen Regierungen haben diese Entscheidung nicht in Frage gestellt, auch nicht nach 1989.

Die Bundesrepublik hat 1990, nach der Wiedervereinigung, in einem Global-Abkommen Polen 500 Millionen D-Mark an Entschädigungen ausgezahlt. Die Industrie zahlte in einen speziellen Fonds. Vorher wurden die Opfer der medizinischen Experimente und die Zwangsarbeiter entschädigt. Viele Polen sind damit unzufrieden. Welche Lösung sehen Sie in dieser Situation?

Fundamental ist die Frage, ob beide Seiten gemeinsam an einer Lösung interessiert sind. Ich würde für eine sogenannte pragmatische Lösung plädieren. Man könnte einen Fonds aus deutschen Mitteln einrichten, um noch die letzten lebenden Opfer des "Dritten Reichs" zu unterstützen, durch Gewährleistung von verschiedenen Leistungen wie Kuren, Krankenhausaufenthalte oder Zuzahlung zu Medikamenten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Sendung: Die Reportage "Streit um Reparationszahlungen: Soll Deutschland an Polen zahlen?" ist ab 1. Februar 2023, 22:00 Uhr, u.a. in der rbb-Mediathek abrufbar.

75 Kommentare

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  1. 75.

    Und wie konnte dann ein Dr. Globke als Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze (dessen Chef Staatssekretärs und SS-Obergruppenführers Dr. Wilhelm Stuckart ein Teilnehmer dieser Wannseekonferenz war) Chef des Bundeskanzleramts unter Bundeskanzler Konrad Adenauer in der BRD werden?

  2. 74.

    Ich würde gern auf diese Frage zurückkommen. Warum wird das nie aufgeschlüsselt dargestellt und immer nur diese riesige Gesamtsumme? Wenn man nur die Gesamtsumme sieht, ist doch der Widerstand vorprogrammiert und es werden damit auch jede Menge "nationale Gefühle" angeheizt (auf beiden Seiten).

  3. 73.

    "gerade in Anbetracht des immer fruchtbaren Boden" und der scheint in Europa gerade wieder besonders fruchtbar zu sein, nicht nur in Polen.

  4. 72.

    Das will ich doch gar nicht bestreiten und diese Rassenideologie verurteile ich genauso. Aber das war nicht das Interesse der Industrie, welche auch immer dahinter stand - der ging es um Rohstoffe und Land-/Arbeitskräftegewinn und das ist klassische Geopolitik. Vergessen darf man auch nicht, daß viel damals so drauf waren - was uns heute vollkommen unverständlig ud surreal vorkommt - viele Polen (bis in die Staatsspitze) wollte auch gern ihre Juden losweden und Stalin hat für die Juden sogar eine extra Republik ganz weit im entfernten Osten gegründet. Da ist vieles für uns heute vollkommen unverständlich, wie man so denken konnte.

  5. 71.

    Eine Diskussion über diese Frage stellt sich nicht, es sind Fakten, und die akzeptiert man, oder nicht.
    Tja, und wer bei dieser Frage die Fakten leugnet oder verdreht, der verfolgt bestimmte Absichten.

  6. 70.

    Ja wenn man weit genug in die Geschichte geht findet man immer etwas, aber was heißt das?! Und wir kennen ja die PIS und wissen um deren Narrativ um die Dinge richtig einzuordnen.
    Aber es kann trotzdem nicht schaden sich bei der Gelegenheit an die Gräueltaten der Nazis zu erinnern, gerade in Anbetracht des immer fruchtbaren Boden.

  7. 69.

    Damit hat @Dagmar definitiv recht. Es ging Adolf Hitler definitiv vorrangig um die weltweite Ausrottung der Juden und danach aller anderen „minderwertigen“ Rassen. Das hatte für ihn höchste Priorität und war seiner Schwarte „Mein Kampf“ so wie der gesamte Rest so nachzulesen.
    Und auf der Wannseekonferenz, wurde die gesamte weltweite Endlösung in genau 2 Stunden verhandelt und von den zuständigen Funktionären unter Leitung Heydrichs beschlossen.
    Diese, historisch verbriefte, Konferenz sucht an Menschenverachtung wirklich ihresgleichen und die Dialoge dazu sind abgrundtief kalt und wirklich kaum zu ertragen.
    Es ist mit normalen Verstand nicht fassbar, wie so eine Entartung von Menschen möglich war.

  8. 68.

    Sie meinen also, daß man bestimmte Sachen nicht mehr erwähnen sollte - also Selbstzensur üben soll - nur weil diese von Extremisten für ihre Ideologie misbraucht werden könnten? Das ist blöd, weil man dann kaum mehr sinnvoll über Geschichte reden kann, wenn man da dauernd alle Themen beschneidet.

  9. 67.

    Mit Verklärungsversuchen solcher Art kann man bei Neonazis punkten.

  10. 66.

    Sehr hypothetisch. Warum sollte sich D nicht erholen. Die Industrie war kaum zerstört und von der Ausstattung moderner als manche Konkurrenz beim Kriegsgegener - die Produktion hatte ihren Höhepunkt gegen Ende 1944 (!). Das Problem war eher nach dem Krieg und der Besatzung, wird es überhaupt wieder einen souveränen Staat Deutschland geben (was sich ja wohl erst mit dem 2+4-Vertrag halbwegs geklärt hat als de facto Friedensvertrag).

  11. 65.

    Und trotzdem würde ich diese Rassenideologie als Mäntelchen für die eigentliche Geopolitik begreifen, bei der es um Land und Rohstoffe für das Reich ging - die Industrie war ja immer dabei und hat da auch lenkend eingegriffen. Bei der Rassenideologie möchte ich an eine Ausspruch Hermann Görings erinnern: "Wer Jude ist, bestimme ich!" und in dem Zug an Görings Bruder Albert und ebenso an die Ernennung von Ehrenariern durch die Regierung - es gab da schon solche und solche Juden für die NSDAP-Granden. Ändert natürlich nichts am Ergebnis für die Masse der Juden im Reich und besonders in den besetzten Gebieten (z.Bsp. Auschwitz lag außerhalb des Reichs).

  12. 64.

    Damit haben sie natürlich Recht. Man kann nicht alles mit Geld aufwiegen bzw. entschädigen, weil sich wider besseres Wissens nicht alle Dinge in Geld abbilden lassen.
    Aber was mich zum Beispiel stört oder gestärkt hat, sind die Teils garnicht bis sehr zögerlichen Rückgaben (langwierige internationale Prozesse) jüdischen oder generell zwangsenteigneten Eigentums in Verbindung mit der Anerkennung dieser Gräueltaten und Entschuldigung bei den Opfern.
    Sowie Reue bei den Tätern.
    Inzwischen sind Opfer als auch Täter größtenteils verstorben, dass weiß ich sehr wohl.

  13. 63.

    Die Rassentheorien der Nazis war bitter Ernst gemeint und sollte als Begründung ihres "Feldzugs" dienen, sie wollten zunächst Europa judenfrei haben, und anschliessend wolten sie Europa ohne slawische Völker schaffen, selbsverständlich unter ihrer Herrschaft.
    Wer den Film "Wanseekonferenz", der die Nachstellung dieser Konferenz ist (laut vorhandenes Protokoll) gesehen hat, den wird vor Augen und Ohren geführt, was ihre "Sache" war.

    Das ist Das, was diesen Krieg fundemental von allen vorherigen Kriegen unterscheidet.

  14. 62.

    Es ist das gleiche Ansinnen zu erkennen, das auch anderswo greift und im Kern beinhaltet: Ohne eigene Anstrengungen und Leistung nehme ich weg, weil "Du hast ja": Jung/Alt; Arm/Reich; Stark/Schwach; Groß/Klein; Leicht/Schwer... usw.
    Wäre Dtl. ein nicht so armes Land, was sich nicht erholt hätte, würden die Forderungen nicht so auftauchen. Im Gegenteil, wäre Polen ein sehr reiches Land und müsste einem armen Deutschland helfen, mir EU-Ausgleichszahlungen, sie würden es machen, wie andere auch...?

  15. 61.

    "1,3 Billionen Euro fordert Polen von Deutschland als Entschädigung für Kriegsschäden." Welche Kategorien von Kriegsschäden rechnet denn da Polen eigentlich und mit wieviel Schaden werden die einzelnen Kategorien angesetzt. Wie verrrechnet Polen die erhaltenen Reparationen in Form von Geld, Sachmitteln und ehemals deutschen Gebieten (inkl. Bodenschätzen, Wirtschaftsbetrieben und Menschen). Gibt es das etwas mit mehr Detail?

  16. 60.

    "Schauen sie sich doch mal die Vermählungen in den Herrscherkreisen an, also wer war mit wem warum leiert. " Das wird ein großes Feld und zieht sich bis ins heutige englische Königshaus (mal die Verwandschaftverhälnis beim verstorbenen Prinz Philip nachsehen und sich dann fragen, warum D und UK gegeneinander Krieg führten). Auch das in NL immer noch regierende Haus Oranien wäre da ein Beispiel. Da wir hier bei Polen sind, wäre dort der sächsische König als gewählter Regent in der Geschichte Polens zu nennen.

  17. 59.

    Ich verstehe, was Sie meinen. Aber das Argument mit der Arierrasse ist etwas komisch, das kann doch kein anderes Volk verwenden. Z. Bsp. Slawische Völker haben Krieg geführt für die slawische Rasse, etc. Also wäre besser nur aus rassenideologischen Gründen zu sagen. Mir erscheinen diese im Rückblick aber nur vorgeschoben, es ging wohl eher einfach um Geopolitik (das paßt auch mehr zu 'Volk ohne Raum' und den Vorstoß in strategisch wichtige Rohstoffregionen). Mit den Juden hatten es allerdings auch die Polen und Russen nicht so und haben die gern mal in Ghettos abgeschoben - das war damals immer noch weitverbreiteter 'Zeitgeist' aus den vorherigen Jahrhunderten - auch UK und die USA wollten die flüchtenden Juden aus Deutschland nicht wirklich haben.

  18. 58.

    Weiter so, wann wird die Akropolis vergoldet?

    Scheinbar wiederholen sich verspätetet ähnliche Zustände wie beim Versailler Vertrag vor gut hundert Jahren. Einige "Sieger" erinnern sich allerdings etwas spät daran um Forderungen zu stellen. Nur, der Krieg ist schon einige Jahre vorbei und es wurden inzwischen alle Verträge geschlossen.

  19. 57.

    Es war ein Eroberungs- und Vernichtungskrieg den die Nazis von Anfang an geplant hatten. "Volk ohne Raum". "Lebensraum im Osten".

  20. 56.

    Sie sagen, die Geschichte Europas ist eine Geschichte der Kriege,
    Aber der II Weltkrieg der Nazis ist der Erste, der die Theorie der Arierrasse als Rechtfertigung erfand, und als "Befreingskrieg" hochstilisierte.

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