Tag des alkoholgeschädigten Kindes - "Luisa ist ein Elektroquirl mit Turboantrieb"

Kinder mit "Fetalem Alkoholsyndrom" fällt das Lernen schwerer, manche haben Probleme im sozialen Miteinander. Am Samstag wird auf das Problem aufmerksam gemacht - eine betroffene Jugendliche aus Plessa kennt es gut genug. Von A. Kabisch und F. Ludwig
Luisa hat ein Problem mit Uhren. Normale Zeigeruhren kann sie nicht lesen. Immer wieder versuchen ihre Eltern es der 17-Jährigen zu erklären - während der gesamten Schulzeit. Doch Luisa hat die Erklärung meist schon am nächsten Tag wieder vergessen.
Luisa hat das Fetale Alkoholsyndrom. In der Schwangerschaft hatte ihre Mutter getrunken, die Folgen spürt die 17-Jährige aus Plessa (Elbe-Elster) noch heute. Ein Aktionstag am Samstag soll auf das Problem aufmerksam machen, am Freitag gab es eine Fachtagung dazu am Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum (CTK).
Entwicklungsstörungen, Rechenschwäche, Auffälligkeiten im Gesicht
Mit der Abkürzung FASD (engl. Fetal Alcohol Spectrum Disorder, übersetzt auch Fetale Alkoholspektrum-Störungen) werden alle Formen von Schäden an Kindern zusammengefasst, die durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft entstanden sind, heißt es vom Fachzentrum für Pflegekinder mit FASD in Köln [fasd-fz-koeln.de]. Die Auswirkungen können von Kind zu Kind unterschiedlich sein. Typisch ist aber die auffällig kleine Körpergröße der Kinder und das geringe Gewicht, schon bei der Geburt.
Häufig leiden FASD-Patienten an geringerer Intelligenz oder verzögerter Entwicklung. Auch Sprache, Feinmotorik, Rechnen, Aufmerksamkeit oder Sozialverhalten können gestört sein. Zudem haben viele betroffene Kinder Auffälligkeiten im Gesicht: eine sehr schmale Oberlippe, ein fehlendes Philtrum (Einbuchtung über der Oberlippe) oder auch eine kurze Nase mit flachem Nasenrücken.
Bei Luisa aus Plessa ist vor allem die fehlende Konzentration ein Thema.
Abgelenkt von fast allem
Als "Elektroquirl mit Turboantrieb" bezeichnet Pflegemutter Marlis Vogt Luisa. Mit eineinhalb Jahren kommt Luisa zu Familie Vogt. Als anstrengend, aber auch sehr schön beschreibt Marlis Vogt die damalige Zeit. "Sie war sehr hibbelig, konnte nicht stillsitzen, sie ist ganz viel gestürzt", sagt sie. Zudem sei Luisa überall hinaufgeklettert, sei meist heruntergefallen, um gleich wieder hinaufzuklettern.
"Ich werde sehr oft abgelenkt oder habe die Geduld nicht mehr, etwas fertig zu machen", erzählt die Jugendliche. In ihrem Zimmer sitzt sie am Computer und erstellt Bilder mit dem Programm "Paint". Ist eines fertig ist sie stolz darauf, etwas bis zum Ende gebracht zu haben.
In der Schulzeit hat die fehlende Konzentration immer wieder zu Problemen geführt. Luisa wird gemobbt, nicht alle Lehrer haben Verständnis für die Krankheit. "Lehrer haben einfach gesagt, dass ich nichts schaffen werde und dass ich zu faul bin zum Lernen", erzählt Luisa.
Der Schulabschluss als größter Erfolg bisher
Luisa und ihre Pflegeeltern wollen es den Zweiflern beweisen - und sie strengen sich doppelt und dreifach dafür an. Tag für Tag lernen sie gemeinsam.
Mittlerweile hat Luisa ihren Realschulabschluss, vor einer Woche hat sie eine Ausbildung zur Lagerlogistikerin begonnen. Der kleine Betrieb, in dem sie lernt, lässt ihr die Zeit, die sie braucht.
Für eine Jugendliche mit FASD sind das gewaltige Erfolge. Luisa wird trotzdem ihr gesamtes Leben darunter leiden, dass ihre Mutter während der Schwangerschaft getrunken hat. "Ich bin zu gutgläubig und glaube immer alles, was die Person mir sagt und ich hinterfrage das auch nicht", erzählt die 17-Jährige. Auch der Umgang mit Geld falle ihr schwer.
Keine Gefahren, kein Lernen aus Fehlern
Vor allem aber kann sie keine Gefahren einschätzen. In der Pubertät sei das ein großes Problem, sagt Marlis Vogt. "Gefahren gibt es ja nicht bloß draußen im Straßenverkehr, sondern gerade im Internet", so Vogt. "Kinder und Jugendliche mit FASD können keine Gefahren einschätzen, absolut nicht. Sie können auch nicht aus Fehlern lernen", sagt die Pflegemutter.
Luisa führt ihr Leben dennoch bemerkenswert selbstständig. Neben der Ausbildung ist nun der Führerschein ihr nächstes großes Ziel. Probleme mit ihrer Krankheit hat sie nicht, sagt Luisa, schließlich könne sie nichts dafür, dass sie FASD habe.
Sie will zeigen, dass sie ein ganz normales Leben führen kann und hat das auch schon am Freitag getan. Bei der Fachtagung im CTK berichtete Luisa davon, wie sie mit FASD lebt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.09.2023, 11:40 Uhr