Cottbus initiiert Task Force für Inklusionskinder - "Wir prüfen nicht nur, sondern wir müssen ein ganz konkretes Lösungsangebot schaffen"

Kinder ab 12 Jahren haben in Brandenburg außerhalb der Schulzeit keinen Anspruch auf Betreuung. Das betrifft auch Kinder, die auf Assistenz angewiesen sind. Weil die Fälle sich nun mehren, hat Cottbus die Initiative ergriffen. Von Sylvia Belka-Lorenz
Der 12-jährige Mika ist aufgrund einer genetischen Muskelerkrankung körperlich schwerbehindert. Seit dem neuen Schuljahr besucht er die 7. Klasse des Cottbuser Max-Steenbeck-Gymnasiums. Das Problem: Für Kinder, die älter als 12 Jahre sind, ist die Betreuung in Brandenburg außerhalb der Unterrichtszeiten nicht geregelt, deswegen wird sie von den Ämtern nicht bezahlt. Doch Mika braucht zwingend Unterstützung, allein um morgens in die Schule hineinzukommen, um in einer Ausfallstunde oder nach dem Unterrichtende nicht mit dem Rollstuhl allein in der Ecke zu stehen.
Mehr als 100 Kinder betroffen
Die Behindertenbeauftragte des Landes Brandenburg, Janny Armbruster, versprach nach der Berichterstattung des rbb im Juli, sie setze sich für eine kurzfristige Lösung für alle Betroffenen ein. Kurzfristig hätte bedeutet: bis zum Beginn des Schuljahres. Das Schuljahr hat inzwischen begonnen.
Aus den Versprechen wurde nichts, sagt Mikas Mutter, Yvonne Resag: "Es ist gar nichts gelöst. Mika steht um 7.15 Uhr vor der Schultür, weil er weder alleine die Schultür öffnen noch den Aufzug bedienen kann. Er kommt jeden Tag zu spät zum Unterricht und stört damit alle anderen in der Klasse." Mika ist kein Einzelfall. Nach Schätzung kommunaler Behindertenvertreter sind in Brandenburg mehr als 100 Kinder und ihre Familien von der Versorgungslücke betroffen.
Betroffene Eltern können zwar entsprechende Hilfen bei Sozial- und Jugendämtern beantragen, doch die bürokratischen Hürden sind so hoch, dass viele in der Praxis daran scheitern. Unter anderem müssen die Familien ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse vollständig offenlegen.
Lösungsangebot für Kinder und Eltern
In der Praxis sieht es aber so aus, dass Elternteile notfalls ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen, um die Betreuung abzusichern. Seit 2019 trägt der Behindertenbeirat der Stadt Cottbus das Problem regelmäßig an das zuständige Bildungsministerium und an Brandenburgs Behindertenbeauftragte Janny Armbruster heran. Ohne Ergebnis. Nachfragen des rbb nach konkreten Initiativen sind bisher nicht beantwortet worden.
Statt des Ministeriums reagiert der Cottbuser Oberbürgermeister, Tobias Schick (SPD), mit einer "Task Force". Ein Krisenstab auf kommunaler Ebene bearbeitet die Anträge aller Inklusionsfamilien, unabhängig davon, ob die Stadt Cottbus überhaupt in der Pflicht sei: "Es betrifft nicht nur Kinder, sondern auch Eltern, die darunter leiden, und sich wie Bittsteller vorkommen. So dass wir gesagt haben: Wir helfen. Wir prüfen nicht nur, sondern wir müssen ein ganz konkretes Lösungsangebot schaffen - und das ist uns gelungen." Konkret heißt das: Alle Fälle werden unabhängig von Wohnort, Zuständigkeit und Einkommen gebündelt. Im nächsten Schritt werde die Stadt selbst Geld in die Hand nehmen.
Berlin habe gezeigt, wie eine Lösung aussehen könnte, indem die Betreuung außerhalb des Unterrichts mit im Schulrecht verankert sei, so Schick.
Anhörung am Anfang September im Landtag
Da Bildung eine Pflichtaufgabe sei, sei es folgerichtig, alles dafür Notwendige dort mit zu regeln. Wichtig, so Schick, sei schnellstmöglich eine klare Regelung auf Landesebene: "Das ist jetzt eine Ad-hoc-Maßnahme - aber wir brauchen eine grundsätzliche Regelung. Das Land muss eine Regelung finden und das ziemlich schnell und vor allem eindeutig."
Die Cottbuser Task Force arbeitet unter Federführung des Behindertenbeauftragten der Stadt, Normen Franzke. Franzke engagiert sich seit Jahren für die Entlastung von Eltern mit behinderten Kindern. Im Idealfall, so Franzke, müsste ein Lotse sich der bürokratischen Probleme um Zuständigkeiten und Verwaltungsvorschriften annehmen: "Unser Ziel muss es sein, dass die Eltern einen Antrag stellen und die Verwaltung das intern bearbeitet. Wenn mehrere Ämter involviert sind, muss das intern geklärt werden. Diese Zuständigkeitsproblematik muss das Problem der Verwaltung sein und nicht ein Problem der Eltern." Franzke spitzt es zu: Würden Familien mit behinderten Kindern von der Gesellschaft allein gelassen, drohe nichts weniger als Kindeswohlgefährdung.
Von Inklusion, so die Vorsitzende des Behindertenbeirats der Stadt Cottbus, Gudrun Obst, sei man aktuell weit entfernt. Am 7. September soll es im Brandenburger Landtag eine Anhörung zum Thema geben.
Sendung: rbbKultur, 02.09.2023, 19:03 Uhr