Cottbus initiiert Task Force für Inklusionskinder - "Wir prüfen nicht nur, sondern wir müssen ein ganz konkretes Lösungsangebot schaffen"

Sa 02.09.23 | 15:06 Uhr | Von Sylvia Belka-Lorenz
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Symbolbild: Ein Mädchen im Rollstuht fährt in die Schulbibliothek rein (Quelle: IMAGO/Panthermedia)
Audio: rbbKultur | 02.09.2023 | Sylvia Belka-Lorenz | Bild: IMAGO/Panthermedia

Kinder ab 12 Jahren haben in Brandenburg außerhalb der Schulzeit keinen Anspruch auf Betreuung. Das betrifft auch Kinder, die auf Assistenz angewiesen sind. Weil die Fälle sich nun mehren, hat Cottbus die Initiative ergriffen. Von Sylvia Belka-Lorenz

Der 12-jährige Mika ist aufgrund einer genetischen Muskelerkrankung körperlich schwerbehindert. Seit dem neuen Schuljahr besucht er die 7. Klasse des Cottbuser Max-Steenbeck-Gymnasiums. Das Problem: Für Kinder, die älter als 12 Jahre sind, ist die Betreuung in Brandenburg außerhalb der Unterrichtszeiten nicht geregelt, deswegen wird sie von den Ämtern nicht bezahlt. Doch Mika braucht zwingend Unterstützung, allein um morgens in die Schule hineinzukommen, um in einer Ausfallstunde oder nach dem Unterrichtende nicht mit dem Rollstuhl allein in der Ecke zu stehen.

Mehr als 100 Kinder betroffen

Die Behindertenbeauftragte des Landes Brandenburg, Janny Armbruster, versprach nach der Berichterstattung des rbb im Juli, sie setze sich für eine kurzfristige Lösung für alle Betroffenen ein. Kurzfristig hätte bedeutet: bis zum Beginn des Schuljahres. Das Schuljahr hat inzwischen begonnen.

Aus den Versprechen wurde nichts, sagt Mikas Mutter, Yvonne Resag: "Es ist gar nichts gelöst. Mika steht um 7.15 Uhr vor der Schultür, weil er weder alleine die Schultür öffnen noch den Aufzug bedienen kann. Er kommt jeden Tag zu spät zum Unterricht und stört damit alle anderen in der Klasse." Mika ist kein Einzelfall. Nach Schätzung kommunaler Behindertenvertreter sind in Brandenburg mehr als 100 Kinder und ihre Familien von der Versorgungslücke betroffen.

Betroffene Eltern können zwar entsprechende Hilfen bei Sozial- und Jugendämtern beantragen, doch die bürokratischen Hürden sind so hoch, dass viele in der Praxis daran scheitern. Unter anderem müssen die Familien ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse vollständig offenlegen.

Lösungsangebot für Kinder und Eltern

In der Praxis sieht es aber so aus, dass Elternteile notfalls ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen, um die Betreuung abzusichern. Seit 2019 trägt der Behindertenbeirat der Stadt Cottbus das Problem regelmäßig an das zuständige Bildungsministerium und an Brandenburgs Behindertenbeauftragte Janny Armbruster heran. Ohne Ergebnis. Nachfragen des rbb nach konkreten Initiativen sind bisher nicht beantwortet worden.

Statt des Ministeriums reagiert der Cottbuser Oberbürgermeister, Tobias Schick (SPD), mit einer "Task Force". Ein Krisenstab auf kommunaler Ebene bearbeitet die Anträge aller Inklusionsfamilien, unabhängig davon, ob die Stadt Cottbus überhaupt in der Pflicht sei: "Es betrifft nicht nur Kinder, sondern auch Eltern, die darunter leiden, und sich wie Bittsteller vorkommen. So dass wir gesagt haben: Wir helfen. Wir prüfen nicht nur, sondern wir müssen ein ganz konkretes Lösungsangebot schaffen - und das ist uns gelungen." Konkret heißt das: Alle Fälle werden unabhängig von Wohnort, Zuständigkeit und Einkommen gebündelt. Im nächsten Schritt werde die Stadt selbst Geld in die Hand nehmen.

Berlin habe gezeigt, wie eine Lösung aussehen könnte, indem die Betreuung außerhalb des Unterrichts mit im Schulrecht verankert sei, so Schick.

Anhörung am Anfang September im Landtag

Da Bildung eine Pflichtaufgabe sei, sei es folgerichtig, alles dafür Notwendige dort mit zu regeln. Wichtig, so Schick, sei schnellstmöglich eine klare Regelung auf Landesebene: "Das ist jetzt eine Ad-hoc-Maßnahme - aber wir brauchen eine grundsätzliche Regelung. Das Land muss eine Regelung finden und das ziemlich schnell und vor allem eindeutig."

Die Cottbuser Task Force arbeitet unter Federführung des Behindertenbeauftragten der Stadt, Normen Franzke. Franzke engagiert sich seit Jahren für die Entlastung von Eltern mit behinderten Kindern. Im Idealfall, so Franzke, müsste ein Lotse sich der bürokratischen Probleme um Zuständigkeiten und Verwaltungsvorschriften annehmen: "Unser Ziel muss es sein, dass die Eltern einen Antrag stellen und die Verwaltung das intern bearbeitet. Wenn mehrere Ämter involviert sind, muss das intern geklärt werden. Diese Zuständigkeitsproblematik muss das Problem der Verwaltung sein und nicht ein Problem der Eltern." Franzke spitzt es zu: Würden Familien mit behinderten Kindern von der Gesellschaft allein gelassen, drohe nichts weniger als Kindeswohlgefährdung.

Von Inklusion, so die Vorsitzende des Behindertenbeirats der Stadt Cottbus, Gudrun Obst, sei man aktuell weit entfernt. Am 7. September soll es im Brandenburger Landtag eine Anhörung zum Thema geben.

Sendung: rbbKultur, 02.09.2023, 19:03 Uhr

5 Kommentare

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  1. 5.

    Ich stimme Ihnen voll zu! Es ist nicht zu fassen, da bekommen gesunde Menschen im Land die Grundsicherung die zuhause auf der Couch sitzen, nicht arbeiten gehen wollen. Behinderten gibt der Staat Grundsicherung, wobei man schon unterscheiden muss, ob ein gesunder Mensch Pflege oder ein behindertes Kind, ein behinderter Erwachsener dringend Pflege, Hilfe im Alltag mit Unterstützung bedarf. Was da
    an Reportagen in den Medien gebracht werden über Körperbhinderte (Rollstuhl), dass verfälscht total die Tatsachen. Die Fälle wo gezeigt werden, haben entweder bekannte Namen oder waren Sportler und werden bestens versorgt. Die Mehrzahl der Fälle im normalen Haushalt sieht doch keiner, wie anstrengend sie ihr Leben meistern müssen. Behinderte akzeptieren größtenteils ihre Behinderung, wenn ihnen in jedoch eine behördliche Wand vor den Rollstuhl und kaputten Körper geschoben wird, dann meldet sich die Psyche mit der Zeit dazu. Der Arzt meldet dem Amt: Ist psychosomatisch! Super die Hilfe!

  2. 4.

    Also in Berlin ist da nichts gelöst! Gar nix. Alle Ämter sind überlastet (Teilhabefachdienst, Versorgungsamt, SIBUZ) und kennen sich nicht aus. Von ärztlichen Versorgung, Schulen und Hortbereich ganz zu schweigen.

  3. 3.

    Danke rbb24, so ein Artikel war schon lange nötig. Deutschland generell muss sich schämen wie man mit Behinderte-ob körperlich oder geistig behindert - umgeht. Diese Kinder ( auch Erwachsene) haben ein schweres Leben vor sich, was sich teilweise bis ins Alter sich zeigt. Fazit: Behinderte, Schwergehbehinderte werden als letztes Glied in der Gesellschaft von der Politik angesehen. Welche Politik ist bereit diesen Menschen endlich mal die Barrierefreiheit zu geben? Jeder Mensch hat einen Anspruch auf eine gewisse Lebensqualität, bei Behinderte wird sie vergessen??? Unfassbar!

  4. 2.

    PS: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/145645/UN-Kritik-an-Deutschlands-Umgang-mit-Menschen-mit-Behinderung

    Der Beitrag spricht für sich.Aber es ist so wie immer in diesem Land, großspurig Gesetze verabschieden an die sich keiner halten muss und will.Haupsache den Moralapostel für den Rest der Welt spielen, bei behinderten Kindern und deren Familien hörts dann aber schon wieder auf.Armselig sowas...

  5. 1.

    Kann ich so bestätigen!Was hier auf dem Rücken der Kinder mit den Eltern veranstaltet wird ist eine Frecheit!
    Bin alleinerziehender Vater eines behinderten Kindes und kenne die behördlichen Schikanen.Derweil kann man schon von Vorsatz sprechen, dass Behörden die Eltern Spießruten laufen lassen.Eine riesen Sauerei!
    Aber sich gross hinter Aktendeckeln verstecken und nur keine Verantwortung übernehmen.
    Fr. Armbruster sollte sich in Grund und Boden schämen , oder besser noch zurücktreten!
    Behinderte Kinder und deren Familien sind in Deutschland nichts wert, weil sie Geld kosten.

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