Interview | Forderung nach Abriss-Moratorium - "Der Energiebedarf bei einer Sanierung ist immer günstiger als Abriss und Neubau"

Mo 16.01.23 | 16:32 Uhr
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Symbolbild: Abriss eines Hauses in Berlin (Quelle: dpa/Jörg Carstensen)
Audio: Antenne Brandenburg | 16.01.2023 | Bild: dpa/Jörg Carstensen

Der Abriss von Bauten bedeutet auch immer Bauabfall. Alexander Stumm von der BTU Cottbus-Senftenberg fordert deshalb in einem offenen Brief an Bundesbauministerin Geywitz ein Abriss-Moratorium. Im Interview erklärt er, was das bringen könnte.

Im Zuge des Strukturwandels haben es sich die Stadt Cottbus und andere Kommunen in der Lausitz zur Aufgabe gemacht, neuen Wohnraum zu schaffen. Dafür werden unter anderen bestehende, teilweise nicht mehr bewohnte, Häuser, abgerissen, um Platz für Neubauten zu schaffen. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ist unter anderem mit dem Ziel angetreten, bundesweit jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen.

Als Reaktion darauf verfasste Alexander Stumm vom Fachgebiet Architekturtheorie an der Brandenburgischen-Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) einen offenen Brief an Geywitz, in dem er fordert, bestehende Bausubstanz viel mehr zu erhalten anstatt abzureißen.

rbb|24: Herr Stumm, was ist das Ziel Ihres Moratoriums?

Alexander Stumm: Es gibt zwei bundespolitische Forderungen, die eine ist, 400.000 neue Wohnungen im Jahr zu schaffen und die zweite ist die Klimjaneutralität bis 2045. Wenn man sich das genauer überlegt, können diese Ziele nicht beide erreicht werden, solange wir weiter abreißen. Die Baubranche ist für 40 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Es gibt Sektor-Ziele, um CO2-neutral zu werden, jährlich wären 5,5 Millionen Tonnen Reduktion notwendig, davon schafft die Baubranche aber nicht einmal die Hälfte.

Es geht hier also nicht um kleinteilige Anpassungen, sondern um großmaßstäbliche Veränderungen. Darauf aufbauend hat sich unsere Initiative "Abriss-Moratorium" gegründet um zu sagen, dass wir einen temporären Abriss-Stopp brauchen, um die Zeit nutzen zu können, klare Kriterien zu entwickeln, nach denen unter ökologischen und sozialen Maßgaben im Zweifelsfall als Ausnahme abgerissen werden darf.

Alexander Stumm
Alexander Stumm im Cottbuser rbb-Studio | Bild: rbb/Josefine Jahn

Könnte man nicht aber auch sagen, dass alte Plattenbauten mit keiner sehr guten Wärmedämmung versehen sind und es deshalb sinnvoller wäre, sie abzureißen und an selber Stelle etwas Neues, Energiesparendes hinzustellen?

Energie ist für die Verfechter des Abrisses tatsächlich ein starkes Argument, Neubauten sind immer energieeffizienter als Altbauten, auch als energetisch sanierte Altbauten. Das ist aber insofern eine schwache Rechnung, als da eben nur die Betriebsenergie berechnet wird, also die Energie, mit der wir heizen und Warmwasser produzieren.

Die ehrlichere Rechnung wäre aber, die Lebenszyklus-Analyse zu verwenden, in der auch der Energiebedarf einkalkuliert ist, der bei dem Abbau von Rohstoffen entsteht, bei der Produktion von Baumaterialien, beim Transport, auf der Baustelle und beim Abriss. Wenn man all diese Energie zusammen zählt, ist ganz klar, dass der Energiebedarf bei einer Sanierung immer günstiger ist als Abriss und Neubau.

Es gibt ja - zum Beispiel in Cottbus - einige Plattenbauten, die wieder verwendet werden. Sind das aus Ihrer Sicht zu wenige?

Das ist sehr wenig. Wenn man sich die Zahlen anschaut, wird sehr deutlich, dass die Beubranche jedes Jahr 230 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle produziert. Im Architekturdiskurs reden wir derzeit sehr viel über Reuse, die Wiederverwendung von Bauteilen. De facto sind das letztendlich aber nur sieben Prozent, die da im Hochbau eingesetzt werden. Der Rest wird entweder gedowncyclet, das heißt als poröser Schutt nochmal im Straßenbau verwendet oder eben - der Hauptteil - auf die Deponie verfrachtet.

Sie fordern, den Abriss erst einmal auszusetzen. Was konkret ist denn Ihre Lösung?

Wir brauchen eine bundesweite Abriss-Genehmigungspflicht. Das wäre der erste Schritt. Laut Statistik wurden 2021 14.000 Gebäude abgerissen. Es gibt aber eine Information auf einer Unterseite des BBSR [Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Anm d. Red.], dass die Dunkelziffer gigantisch ist. Also vermutlich werden nur ein Viertel der Gebäudeabrisse überhaupt in der Statistik erfasst, weshalb wir von 50.000 oder mehr Gebäudeabrissen ausgehen müssen - wir wissen nicht Genaues.

Eine Abriss-Genehmigungspflicht würde erstmal Klarheit schaffen über das Ausmaß des Phänomens und es wäre nicht nur sinnvoll für die Statistik sondern würde auch helfen, Reuse-Prinzipien in der Stadt zu implementieren. Wenn Artitekt:innen wüssten, wo gerade Gebäude abgerissen werden sollen, dann könnten sie sich ganz pragmatisch Teile aus diesem Gebäude herausnehmen. Das würde man dann eher als kontrollierten Rückbau verstehen, in dem ein Großteil der Materialien ausgebaut werden kann, um dannin andere Gebäude wieder eingesetzt werden zu können.

Dann gibt es derzeit noch das Problem, dass Neubau auf legislativer Ebene präferiert wird. Es gibt ganz viele gesetzuliche Hürde, Stichwort Standards und Normen, die momentan noch verhindern, dass gebrauchte Gebäudeteile wieder verwendet werden können. Auch hier müssen wir unbedingt ansetzen und eine Flexibilisierung schaffen.

Haben Sie den Eindruck, dass gerade in Brandenburg in den vergangenen Jahren besonders viel abgerissen wurde?

Wenn man die letzten 20 Jahre betrachtet, gibt es da eine starke Tradition. Es gibt den Begriff "Stadtumbau Ost", das erste, staatlich geförderte Abrissprogramm in Deutschland. Von 2000 bis 2010 sind 350.000 Wohnungen im Osten Deutschlands platt gemacht worden.

Und wenn man sich die Situation beispielsweise in Leipzig heute anschaut, gibt es da wieder eine Wohnungsnot, jedenfalls steigen die Preise für Mieten sehr stark an. Da würde man dann sagen, dass hier vielleicht nicht langfristig genug geplant wurde.

Ein andere Beispiel: Hier in Cottbus werden auch über viele Jahre Gebäude abgerissen. Seit knapp einem Jahr ist Cottbus Arrival-City für Geflüchtete aus der Ukraine, der Bedarf steigt plötzlich rasant. Insofern ist die Initiative für ein Abriss-Moratorium auch ein Plädoyer dafür, langfristiger zu denken und nicht immer nur nach den akuten wirtschaftlichen Situationen zu handeln.

Es haben schon viele Menschen Ihr Moratorium unterschrieben. Welche Reaktionen haben Sie bisher darauf erhalten?

Der Aufruf für das Abriss-Moratorium ist ja ein offener Brief an Bundesbauministerin Klara Geywitz. Wir denken, es ist eine politische Lösung notwendig, um die gegenwätrige Bau- und Abrisspraxis zu verändern.

Frau Geywitz hat sich noch nicht bei uns gemeldet. Wir stehen weiter offen für einen Dialog, wir sind Architektinnen, Denkmalpfleger, Theoretikerinnen aus unterschiedlichen Disziplinen an unterschiedlichen Universitäten. Wir bringen verschiedenste Expertise mit und nusere Hoffnung ist weiterhin, dass die Politik diese Expertise nutzt und in politische Maßnahmen implementiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Iris Wußmann für Antenne Brandenburg.
Bei demText handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.

Sendung: Antenne Brandenburg, 16.02.2023, 16.32 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Man kann noch erfolgreicher beim Sanieren werden: Wenn es durch die richtigen Anreize günstiger wird als der Abriss. Das erspart bereits erprobte "Versagensmaßnahmen" wie Verbote/Verteuerungen/Gesetzeslücken. Und menschlicher, weil lebensnäher, sind Anreize allemal. Und wenn es Privilegien bei Genehmigungen werden, kann es auch mehr Spaß bringen.

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