Interview | Warnungen der Bevölkerung im Katastrophenfall - "Es gibt kein flächendeckendes Netz an Sirenen"

Mi 28.07.21 | 14:25 Uhr
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Archivbild: Eine Sirene auf einem Hausdach vor dem Stadtpanorama. (Quelle: dpa/R. Vennenbernd)
Bild: dpa/R. Vennenbernd

Die Flutkatastrophe in Westdeutschland hat gezeigt: Die Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall funktioniert in Deutschland nicht störungsfrei. Im Gespräch ist daher die Reaktivierung alter Warnsirenen. Doch dort ist noch viel Arbeit nötig.

Die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands hat es deutlich gezeigt: Im Katastrophenfall funktioniert die Warnung der Bevölkerung nur lückenhaft. Schon beim sogenannten Warntag im letzten Jahr wurde ersichtlich, dass es sowohl Mitteilungen von Warnapps wie Nina oder Katwarn als auch akustische Signale durch Sirenen nicht überall in Deutschland gab oder nicht alle Menschen erreichten.

Zm 23. Juli nun mussten sämtliche Landkreise ihren Bestand an Warnsirenen melden. Das Ergebnis ist ernüchternd. Im Interview spricht der Verantwortliche für Katastropenschutz im Spree-Neiße-Kreis, Wolfhard Kätzmer, über das Sirenennetz und erklärt, warum eigentlich schon Grundschüler den Katastrophenschutz lernen müssten.

rbb24: Herr Kätzmer, zur Zeit wird intensiv über die Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall diskutiert. Ein sinnvolles Mittel wäre ein flächendeckendes Netz an Warnsirenen. Wie steht es denn im Landkreis Spree-Neiße um die Warnungen durch Sirenen? Würde das gehen?

Wolfhard Kätzmer: Ich glaube, die Alarmierung durch Sirenen im Katastrophenfall würde im Landkreis so nicht funktionieren. Die Alarmierung der operativen Einheiten (Rettungskräfte, Feuerwehr Anm. d. Red.) ja, aber die Alarmierung der Bevölkerung nicht, weil auch einfach die Zeichen und Signale nicht klar sind.

Es gibt also kein funktionierendes, flächendeckendes Netz für Sirenen?

Es gibt kein flächendeckendes Netz für Sirenen. Die Sirenen sind zum größten Teil in den Ortslagen, wo wir auch operative Einheiten der Feuerwehr ansässig haben. Wo wir keine Feuerwehr haben, ist von vornherein keine Sirene da. Und das Zweite, die Sirenentöne, die Zeichen der Sirene sind derzeit nur auf die Alarmierung der Feuerwehr abgestimmt und nicht auf die Bevölkerungswarnung.

Manche kennen das System zum Beispiel noch aus DDR-Zeiten. Also sind diese Zeichen für Warnung und Entwarnung gar nicht mehr vorhanden?

Nein, die sind nicht mehr vorhanden. Mit der demokratischen Wende ist man der Überzeugung gewesen, dass Deutschland im Rahmen kriegerischer Aggressionen nicht mehr gefährdet ist. Man hat die Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung dieses Systems so nicht mehr gesehen. Bundesweit gab es das eh nicht, daher wurde es eingestampft. Wer das noch von früher kennt, wird auf diese Zeichen gegenwärtig lange warten.

Ist man dabei, an diesem Zustand etwas zu ändern?

Es gibt sehr viele Konzepte, geschuldet durch den Föderalismus. Es gibt also 16 Länderkonzepte, der Bund macht sich Gedanken in seiner Zuständigkeit über den Bevölkerungsschutz - also da ist eine ganze Menge in Bewegung. Eine erste Erkenntnis aus dem bundesweiten Warntag am 9. September 2020 war die Problematik, dass wir die Sirenen ertüchtigen müssen, für die entsprechenden Töne Warnung und Entwarnung. Da läuft gegenwärtig im Land Brandenburg ein Förderkonzept, dass die Sirenen, bei denen das kurzfristig möglich ist, für diese Töne ertüchtigt werden.

Trotzdem müssen die Leute doch wissen, was die Signale zu bedeuten haben. Müsste nicht eine große Informationskampagne gestartet werden?

Das ist der zweite Schritt, der dann erfolgen muss. Dass die Bevölkerung zu den einzelnen Tönen Informationen erhält, was sie wann und wo tun kann und auch, wo sie weitere Informationen bekommt.

Trotzdem müssen die Menschen auf die Warnungen richtig reagieren. Sie kennen es aus der Praxis, was hätte denn bei dem Hochwasser eine rechtzeitige Warnung noch ausrichten können?

Ich habe die Bilder im Fernsehen gesehen und kann mir aus eigenem Erleben vorstellen, was dort passiert ist. Als Fachmann im operativen Bereich kann ich sagen, die Warnung der Bevölkerung wäre wichtig gewesen, um zu zeigen, hier kommt etwas auf euch zu. Aber schon die Steuerung allein der Personenströme in sichere Bereiche ist bei diesem Ereignis nicht möglich gewesen. Für weitere, ähnliche Ereignisse sollten sich die Fachleute zusammensetzen und klären, wie zukünftig damit umgegangen werden soll.

Führt also kein Weg an der Warnung mit Sirenen vorbei?

Die Warnung ist ein guter Weg, muss aber mit zwei weiteren Schritten verbunden werden. Das ist die entsprechende Verbreitung notwendiger Handlungen für die Bevölkerung und natürlich ein komplettes System zur Kontrolle der Einhaltung dieser Anweisungen. Eine bloße Warnung allein bringt gar nichts. Die Steuerung von Personenströmen muss in jedem Fall sichergestellt werden, sonst schlägt alles fehl.

Wie würde sich denn der Warnton anhören?

Das ist noch unterschiedlich. Es gibt ja auch Sirenen mit Sprachansage. Die werden dann Warnungen und Entwarnungen aussprechen. Das ist jetzt aber in die Zukunft geschaut. Es wird entsprechende Signale geben. Die werden erkannt und verstanden werden müssen und dazu muss es dann die weiteren Schritte geben, die ich eben genannt habe.

Das muss dann aber auch wirklich im Bewusstsein aller sein, oder?

Das muss eigentlich schon in der Grundschule gelehrt werden, ja. Es muss im Bewusstsein der Bevölkerung verankert sein. Es muss in den Handlungsabläufen ein Selbstläufer werden. Dann weiß man, jetzt muss ich das Radio einschalten oder auch bei unterschiedlichen Signalen, auch das könnte möglich sein, dass gleich bekannt ist, ich packe meine Sachen und dann nichts wie raus hier. Die Sammelplätze sind bekannt und die muss ich jetzt anfahren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Iris Wussmann für Antenne Brandenburg.

Sendung: Antenne Brandenburg, 28.07.2021, 14:40 Uhr;

6 Kommentare

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  1. 6.

    Tja, Sirenen, analoges Telefon, UKW - alles wurde oder wird digitalisiert - geht ja um Geld, nicht um Sinn.

  2. 5.

    Man könnte die Sirenen IP-basiert steuern. Wenn dann katastrophenbedingt Internetstörungen auftreten, läuft da nix und auch keine Warn-Apps. Ähnlich verhielte es sich bei Netzausfällen mit nicht versendbaren sms.

  3. 3.

    In Berlin erklang keine Sirene weil es keine Sirenen mehr gibt. Da gibt es nichts zu ertüchtigen. Hier haben die Verantwortlichen über Jahre gepennt. Frei nach dem Motto „bisher nichts passiert - wegrationalisiert“. Man kann ja froh sein, dass es noch Feuerwachen gibt, wenn es nur selten brennt.
    In Berlin ist doch tatsächlich die Ansage, dass die Warnung mit Lautsprecherwagen und Medien erfolgt. Bin gespannt wer alles im Hinterhaus noch den Lautsprecherwagen hört. Anderes Thema Medien - welcher Sender informiert denn im Notfall? Dazu gibt es auch keine Info. Als letzte Verzweiflungstat versuchte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz über MoWaS-Multiplikatorenvereinbarungen Medien und Werbetafelbetreiber dazu zu verpflichten die Bevölkerung zu warnen statt selbst Infrastruktur zu bauen. Wie erfolgreich das funktioniert sehen wir jetzt. Typisch Deutsch ist inzwischen alles so weiter zu rationalisieren bis es knallt sei es Verwaltung, Infrastruktur oder Katastrophenschutz. Einfach nur traurig.

  4. 2.

    Berlin startet außer Konkurenz. Schließlich leben R2G und Ihre Anhänger auf einem friedlichen, weltfremden, von allen Göttern verlassenen Parallelplaneten. Welcher Regel- und Moral-Freie Senator soll denn in All den Fremden Zungen die Bevölkerung unterrichten und belehren ? In Berlin gibt es ja nicht mal eine allgemeinverständliche Clan-Sprache.

  5. 1.

    Beim Test am 10.09.2020 hat in Berlin keine einzige Sirene Alarm gegeben. Das war bedenklich und sollte dringend in Bereitschaft gesetzt werden. Sirenen sind ein probates Mittel um auf Gefahren hinzuweisen, auch bei Strom- oder Netzausfall

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