Mehr Artenvielfalt - 60.000 Hektar sollen in Brandenburg zur Wildnis werden

Zwei Prozent der gesamten Landesfläche in Deutschland sollen zu Wildnisgebieten werden. Während Naturschützer den Plan begrüßen, befürchten Touristiker, dass viele Flächen für die Nutzung verlorengehen - und der Wald noch mehr Schaden nimmt. Von Aline Lepsch
Ein Waldstück bei Neu Zauche im Landkreis Dahme-Spreewald: Es zwitschert und zirpt. Ein Stück unberührte Natur. "Wir brauchen diese Rückzugsräume, um die Artenvielfalt in Brandenburg zu erhalten", sagt der Leiter des Biosphärenreservates Spreewald, Eugen Nowak, "dazu sind wir auch durch gesetzliche Regelungen verpflichtet."
Laut dem Bundeswildniskonzept sollen sich zwei Prozent der Landfläche in Deutschland ohne Eingriff durch den Menschen entwickeln, bei den Waldflächen sind es fünf Prozent. Die Natur bleibt dann sich selbst überlassen. In Brandenburg sollen insgesamt 60.000 Hektar als Rückzugsorte für Tiere und Insekten dienen - etwas mehr als die Fläche des Bodensees.

Verzicht auf Forstwirtschaft könnte einiges sparen
30.000 Hektar seien vom Bund bereits anerkannt, sagt Nowak. "Jetzt sind wir dabei, aus dem Wald, der dem Land Brandenburg gehört, 15.000 weitere Hektar zusammenzusuchen, die dann dem Bund vorgeschlagen werden", so der Leiter des Biosphärenreservates Spreewald.
Das können ehemalige Truppenübungsplätze oder Tagebaulandschaften sein - aber eben auch Waldgebiete wie das im Spreewald. So liegt der Kahnhafen Neu Zauche genau zwischen einem bereits anerkannten Waldgebiet und einem Teilgebiet, das demnächst anerkannt werden soll.
Laut Nowak ergibt das Sinn. "Hier im Spreewald ist die Forstwirtschaft im Moment defizitär", sagt er. Das Holz könne nur mit sehr viel Aufwand aus dem Wald geholt werden, beispielsweise mit Seilkränen. Das sei teuer. Wird die Forstwirtschaft in dem Gebiet um Neu Zauche eingestellt, würde das Land Brandenburg sogar sparen.
Anwohner befürchten schlechteren Zustand der Natur
Doch nicht alle Spreewälder sind von dem Plan begeistert. Einige befürchten Einschränkungen in der einzigartigen Natur- und Tourismuslandschaft. Die Sparmaßnahmen würden auf Kosten des Hochwaldes gehen, sagt beispielsweise Kahnfährmann Yves Schwarz. Die Schwarzerlen seien durch Stürme und Hochwasser ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogen - sie bräuchten die Bewirtschaftung, damit sich der Wald erholen kann, so Schwarz.
"Das war der dichteste, schönste Hochwald, den es je gegeben hat. Das ist traurig, den heute so zu sehen, dass er sich selbst überlassen wird", sagt der Kahnfährmann beim Anblick der geschundenen Bäume.
Auch Jens Martin, parteiloser Bürgermeister von Alt Zauche-Wußwerk ist gegen die Wildnis. "Es passiert dann Folgendes: es verkrautet und verlandet. Die Fließe fließen nicht mehr", sagt Martin. Das Wasser würde sich noch mehr stauen, die Bäume würden noch mehr Schaden nehmen, ist er sich sicher: "Das kann so nicht weitergehen."

Wasser- und Wanderwege sollen erhalten bleiben
Auch bei der jetzt neu geplanten Wildnisfläche würde das passieren, befürchten Schwarz und Martin. Anwohner hätten Angst, dass nun alles zur Wildnis werden soll und damit auch keine Fließe mehr befahren und Waldwege nicht mehr genutzt werden können.
Reservatsleiter Nowak hält dagegen. Die Wasser- und Wanderwege sollen bleiben, der Tousimus nicht eingeschränkt werden, versichert er. "Sodass man diese wunderbaren Wildnisflächen wirklich auch erleben kann", so Nowak. Denkbar wäre also, dass die Wege weiter gepflegt werden, auch wenn der Wald drumherum sich selbst überlassen bleibt.
Yves Schwarz und Jens Martin zweifeln dennoch. "Es wurde uns zu viel mündlich versprochen. Wir fordern jetzt Verträge, die wirklich wasserdicht sind, auf die wir uns verlassen können", sagt Bürgermeister Martin. Damit, ist er sich sicher, würde den Leuten die Angst vor den Plänen genommen werden.
Noch ist unklar, ob der Hochwald komplett zur Wildnis wird. Und unklar ist für viele auch weiterhin, welcher Weg der beste für die Natur ist: das absichtliche In-Ruhe-Lassen - oder das aktive Erhalten.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Beitrags hieß es, zwei Prozent der Waldfläche sollen zu Wildnisgebieten werden, es sind aber zwei Prozent der Landfläche und sogar fünf Prozent der Waldfläche. Am Ende soll es 60.000 Hektar Wildnis geben. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 26.05.2022, 19:30 Uhr