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Quelle: dpa/B. Nolte

Interview | Chefarzt der Neurologie Senftenberg

Nach Sekunden funktioniert die Nervenzelle nicht mehr - nach Minuten ist sie tot

Hunderttausende Menschen erleiden jedes Jahr in Deutschland einen Schlaganfall. Am Mittwoch findet ein Aktionstag zu dem Thema statt. Im Interview erklärt ein Senftenberger Chefarzt, warum Zeit der wichtigste Faktor bei der Behandlung ist.

rbb|24: Markus Reckhardt, Sie sind Chefarzt der Neurologie und Schmerzbehandlung an den Sana-Kliniken Niederlausitz. Der 10. Mai ist ein bundesweiter Aktionstag gegen Schlaganfälle. Zunächst mal: Wie erkennt man denn einen Schlaganfall?

Prof. Dr. Markus Reckhardt: Richtig eindeutige Symptome für Schlaganfälle gibt es nicht, aber es gibt sehr typische Schlaganfallsymptome. Das ist die halbseitige Lähmung oder die halbseitige Sensibilitätsstörung am Körper. Das ist der klassische hängende Mundwinkel auf einer Seite. Und es gibt Sprechstörungen, also Wortfindungsschwierigkeiten oder dass ein Patient Wortsalat produziert, zusammenhanglose Worte sagt oder auch undeutlich spricht, als wäre er betrunken.

Dann gibt es Gesichtsfeldausfälle, meistens ebenfalls halbseitig. Schwindelsymptome und auch Bewusstseinsstörungen, bis dahin, dass ein Patient bei einem schweren Schlaganfall sein Bewusstsein verliert. In der Regel - und das ist das entscheidende und auch namensgebende bei einem Schlaganfall - setzen diese Symptome abrupt ein. Es trifft einen der Schlag, das hat den Namen kreiert.

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Gibt es dennoch Warnzeichen, die der Körper vorab sendet?

Das sind im Prinzip die selben Symptome, die ich genannt habe, aber eben ganz kurzzeitig. Also wenn eines dieser Symptome kurzzeitig aufflackert und dann wieder weggeht. Dann nennen wir das TIA, eine transitorische ischämische Attacke. Das sind kurzzeitige Duchblutungsstörungen des Gehirns, die Vorboten eines schweren Schlaganfalls sein können.

Da ist es ganz entscheidend, dass man diese Vorboten ernst nimmt. Das bedeutet, auch wenn die rasch wieder weggehen, dass man genauso schnell ins Krankenhaus geht, als wenn sie bleiben würden. Denn die können sich wiederholen, kurz danach häufiger als später. Man sollte sich bei den Symptomen auch vergegenwärtigen: ein Schlaganfall tut nicht weh. Das ist der große Unterschied zum Herzinfarkt. Wenn ein Herzinfarkt nachts passiert, dann weckt einen der starke Schmerz in der Brust auf und man kriegt es mit. Das ist beim Schlaganfall nicht so. Da verschläft man gerne mal die halbseitige Lähmung und wacht morgens mit den Symptomen auf.

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Haben alle Menschen das gleiche Risiko einen Schlaganfall zu erleiden?

Es gibt die klassischen Risikofaktoren. Die sind ähnlich wie beim Herzinfarkt. Das sind die Risikofaktoren, die das Gefäßsystem als Ganzes schädigen. Ein Hauptrisikofaktor ist das Alter. Das heißt mit zunehmendem Alter wird der Schlaganfall häufiger und das ist ein Risikofaktor, den wir leider noch nicht beeinflussen können.

Die anderen Risikofaktoren können wir aber sehr gut beeinflussen. Das ist der Bluthochdruck - der allerwesentlichste Risikofaktor, außerdem das Rauchen. Herzrhytmusstörungen sind eine ganz häufige Ursache des Schlaganfalls, wenn das Herz unrhythmisch schlägt, das sogenannte Vorhofflimmern. Auch eine Fettstoffwechselstörung, eine Blutzuckererkrankung, Übergewicht, Bewegungsmangel und spezielle Formen angeborener Herzfehler sind die häufigen Risikofaktoren, die wir alle mehr oder weniger beeinflussen können.

Dann gibt es natürlich noch seltene Schlaganfallursachen, die vor allem bei jungen Menschen auftreten. Das sind rheumatische Entzündungen von Blutgefäßen, Störungen im Blutgerinnungssystem oder erbliche Störungen. Aber das sind wirklich seltene Faktoren.

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Wie reagiere ich, wenn ich den Verdacht habe, dass ich oder ein anderer einen Schlaganfall hat?

Der Aspekt, keine Zeit zu verlieren, ist das Allerwichtigste. Das Gehirngewebe ist ein sehr spezielles Gewebe. Es ist hochspezialisiert und differenziert, es ist aber ein Gewebe, was extrem empfindlich ist, wenn es nicht durchblutet wird. Das ist anders als beispielsweise bei der Leber oder bei der Muskulatur. Dort ist es so, dass die Zellen Energiereserven haben um zu überleben. Das haben die Nervenzellen nicht. Wenn die Nervenzellen von der Durchblutung abgeschnitten sind, weil ein Blutgefäß durch ein Blutgerinsel verstopft ist, dann stellt diese Zelle innerhalb von Sekunden die Funktion ein und innerhalb von Minuten ist die Zelle unwiederbringlich geschädigt.

In solchen Situationen gibt es zwar Umgehungskreisläufe, die dieses Gewebe von der Seite noch mit Blut versorgen, aber das reicht natürlich nicht aus. Insofern ist es so, wenn ein Schlaganfall beginnt, dann geht von Minute zu Minute mehr Gewebe verloren. Wir haben einen Wettlauf gegen die Zeit.

Wenn ich eines dieser charakteristischen Symptome bei mir oder anderen bemerke, dann muss ich sofort ins Krankenhaus. Ich muss sofort die 112 wählen, nicht zum Hausarzt gehen, nicht auf eine Besserung der Symptome warten und das muss ich auch tun, wenn die Symptome wieder rückläufig sind. Wir haben nur wenige Stunden, um im Krankenhaus dafür zu sorgen, dass sich Blutgerinsel im Hirn wieder auflösen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dirk Schneider für Antenne Brandenburg.

Sendung: Antenne Brandenburg, 10.05.2023, 14:10 Uhr

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