Interview | Erster Cottbuser OB nach der Wende - Kleinschmidt: "SED-Kreisleitung musste nichts mehr absegnen"

Fr 13.12.19 | 14:15 Uhr
Der ehemalige Cottbusser Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt hält eine Rede anlässlich der Messe Umwelt 1994 (Quelle: imago images/Seeliger)
Audio: Antenne Brandenburg | 13.12.19 | Thomas Krüger | Bild: imago images/Seeliger

Er war der erste Oberbürgermeister in Cottbus nach der Wende: Waldemar Kleinschmidt wurde vor 30 Jahren ernannt, blieb 13 Jahre im Amt. Er brachte unter anderem die Buga in die Stadt. Im Interview äußert er sich besorgt über die heutige Politiklandschaft.

rbb|24: Herr Kleinschmidt, vier Wochen nach dem Mauerfall wurden Sie zum Oberbürgermeister der Stadt Cottbus. Zuvor waren Sie im Rat der Stadt für die Finanzen zuständig. Plötzlich mussten Sie Verantwortung für alles übernehmen. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen 13. Dezember 1989?

Waldemar Kleinschmidt: Es sind gewaltige Erinnerungen, ich bin ja völlig überraschend amtierender Oberbürgermeister geworden. Ich bin zu einer Sonderratssitzung gegangen und habe mich gefragt, was werden die nun auskaspern, wer soll nun Oberbürgermeister werden. Das war noch nicht durchgesickert. Es sollte ein Liberaldemokrat werden, wer genau wussten wir aber nicht. Die Stadtverordneten waren geteilter Meinung. Einige wollten dem Vorschlag des Rates des Bezirkes folgen, andere wollten einen Kandidaten aus den Reihen der Ratsmitglieder. Dann wurde abgestimmt und es wurde entschieden, dass es einer von den Ratsmitgliedern werden soll.

Die Ratsmitglieder wiederum gingen nach hinten, vorne blieben einige andere Kandidaten. Auf einmal kam der Herr Makowski raus, klopfte mir auf die Schulter und sagte: "Waldemar, du musst es machen." Der Versammlungsleiter hat das gleich verkündet, es gab Beifall. Dann wurde abgestimmt und ich wurde der amtierende OB. Ich war überrascht und dachte, mein Gott, was machst du denn als erstes.

Waldemar Kleinschmidt und Manfred Stolpe (Bild: privat)
Waldemar Kleinschmidt und Manfred Stolpe | Bild: privat

Und - was haben Sie als erstes gemacht?

Am Abend des 13. Dezember habe ich mal nachgelesen bei Herder. Da gibt es den 3. Band, da steht auch etwas über Kommunalpolitik. Man müsse dem Volk "auf's Maul schauen" und mit den Bürgern reden. Das habe ich verinnerlicht. Ich musste mich vorbereiten, am Donnerstag war meine erste Ratssitzung. Das Wichtigste, was ich gesagt habe war, keiner muss Angst haben, keiner sollte Angst haben. Wir müssen Cottbus am Leben erhalten und müssen weitermachen. Diesen Optimismus wollte ich reintragen und die anderen Ratsmitglieder meinten nur: 'Mensch, der Waldemar macht ja Ernst'.

Waldemar Kleinschmidt und Eduard Geyer (Bild: rbb)
Waldemar Kleinschmidt und Eduard Geyer | Bild: privat

Haben Sie lange mit sich gerungen, dieses Amt zu übernehmen?

Ich hatte gar keine Gelegenheit nein oder ja zu sagen. Es brauste Beifall auf und fast alle, bis auf meine Parteifreunde von der CDU, stimmten für mich. Der damalige Kreisvorsitzende hatte gesagt: "Den Waldemar müssen wir aufheben für später. Den können wir doch jetzt nicht verbrennen." Das hat aber nicht ausgereicht. Es gab 140 Ja-Stimmen und damit war ich gewählt.

Was hat denn Ihre Frau damals dazu gesagt?

Als ich nach Hause kam fragte sie, wer denn nun OB geworden ist. Da habe ich gesagt, der steht vor dir. Da ist meine Frau fast in Ohnmacht gefallen und war nicht begeistert, denn die Zeit war ja etwas angespannt.

Archivbild: Ein großes Beet voller Tulpen und Stiefmütterchen in den verschiedensten Farbschattierungen lädt vor der Ausstellungshalle der Bundesgartenschau in Cottbus 1995 zum Betrachten und Verweilen ein. (Quelle: dpa/Weisflog)
Bild: dpa/Weisflog

Wie kompliziert war es denn, eine Stadtverwaltung aus DDR-Strukturen in die neue Zeit mit neuen Regelungen, Bestimmungen, Gesetzen zu überführen?

In der ersten zeit war es wichtig, mit gesundem Menschenverstand Entscheidungen zu treffen. Verwaltungstechnisch wusste ich durch meine zehnjährige Erfahrung als Stadtrat für Finanzen wie die Strukturen funktionieren müssen. In den ersten Tagen führte ich viele Gespräche mit den alten Bundesländern, so auch mit dem Städte- und Gemeindebund. Auch die Partnerschaft mit Saarbrücken hat geholfen, wir haben uns gegenseitig besucht.

Es waren so viele Aufgaben zu lösen: Krankenhausschwestern fehlten, Ärzte fehlten, im Heizkraftwerk war Kohlemangel. Diese Dinge mussten erstmal praktisch gelöst werden, das andere kam dann Stück für Stück dazu. Das Gute war, wir mussten niemanden mehr fragen. Wir mussten nicht zur SED-Kreisleitung gehen und erstmal absegnen lassen, ob wir das machen dürfen. Wir konnten selbst entscheiden, aber es nimmt uns auch keiner mehr die Entscheidung ab. Das ist ganz gut gelaufen die ersten Wochen und Monate. Dafür musste ich um halb sieben auf Arbeit sein, um 23 Uhr war ich wieder zu Hause. Ich konnte das leisten, weil meine Frau mir den Rücken freigehalten hat. Mir hat es einfach Freude gemacht ein Problem zu lösen, das nächste anzupacken. Das war meine Motivation: Menschen etwas gutes zu tun.

Ein großer Coup gelang Ihnen 1995, als Sie die Bundesgartenschau nach Cottbus holten. Was hat Sie bis heute aus dieser Zeit geprägt?

Dass man mit den Menschen reden muss, vor allem aber von bestimmten Zielen überzeugen muss. Die Bundesgartenschau war auch eine Überzeugungsarbeit. Und dass man nicht abweicht, sondern das Ziel bis zum Ende verfolgt. Man muss auch so viele wie möglich mitnehmen. Das ist am Anfang immer schwierig, weil die Menschen noch nichts sehen. Als sie gesehen haben, da wird das Gelände in Ordnung gebracht, die Straße saniert, die Autobahn wird gemacht, das neue Messezentrum entsteht, da waren die Leute mit jedem Tag mehr begeistert. Das war auch ein Wagnis für den Zentralverband Deutscher Gartenbauer, in so einer kleinen Stadt, direkt an der polnischen Grenze. Wir haben es geschafft und ich wollte es beweisen, dass wir das schaffen.

Wie wichtig war dieser 13. Dezember '89 im Rückblick für Ihr Leben?

Der hat alles umgekrempelt aber ich bin, glaube ich, der geblieben, der ich vorher war und der ich heute noch bin. Für mich war die Lösung der Aufgaben, die anstanden, immer das Wichtigste. Meiner Verwaltung habe ich immer gesagt, wenn die Leute kommen, dann wird das abgearbeitet und nichts anderes, kein Verstecken hinter Paragraphen. Dass das größtenteils geklappt hat, war meine Motivation, sodass mir das am Ende Freude gemacht hat. Am Anfang war das mehr Frust als Lust.

Wie schätzen Sie denn den Zustand der Gesellschaft und die Entwicklung von Cottbus heute, im Jahr 2019, ein?

Insgesamt macht mich die Gesellschaft schon etwas stutzig und traurig. Das Miteinander ist weniger geworden und es wird in meiner Wahrnehmung zu viel geredet, zu viel zerredet und zu wenig gemacht. Also ich habe etwas Sorge um die Gesellschaft, das driftet auseinander. Die Schere zwischen reich und arm wird auch leider größer. Das müsste nicht sein, schon gar nicht in Deutschland, wo wir ein solides Fundament an Finanzen haben. Es wird leider nicht so umgesetzt, dass die Menschen sich froh oder glücklicher schätzen würden, gerade in der Weihnachtszeit.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Thomas Krüger, rbb Studio Cottbus

Bei diesem Text handelt es sich um eine redigierte und gekürzte Fassung. Mit einem Klick auf das Play-Symbol oben im Bild können Sie das komplette Interview hören.

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