Mobilitätswende gelingt nicht - Cottbus setzt im Stadtverkehr weiter auf das Auto

Mi 19.02.20 | 16:24 Uhr | Von Rico Herkner
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Die Bahnhofstraße in Cottbus (Quelle: imago-images)
Bild: imago-images

Der Stadt Cottbus will die Wende hin zu einem zukünftsfähigen Stadtverkehr nicht gelingen. Aktuelle Zahlen deuten auf eine klare Vernachlässigung des öffentlichen Nahverkehrs. Doch die Stadt zieht die falschen Schlüsse, so das Urteil von mehreren Seiten. Von Rico Herkner

Seit Wochen diskutiert Cottbus über ein neues Mobilitätskonzept für seine Altstadt. Die Idee der Planer: mehr Fußgänger, mehr Radfahrer und mehr PKW-Stellflächen in der Innenstadt. Für viele Cottbuser ist das eine kleine Verkehrsrevolution, denn viele Menschen aus dem Umland pendeln zum Einkauf und zur Arbeit mit dem PKW in die Stadt. Alternativen gibt es kaum.

Besorgt sind vor allem die Einzelhändler der Stadt. Viele protestieren gegen die vorgelegten Pläne, denn sie setzen mit ihrem Geschäft auf den Autofahrer, der direkt vor dem Laden halten kann. Darum halten sie eine autofreie Kernzone in der Cottbuser Innenstadt als schlecht für ihr Geschäft. Der städtische Verkehrsplaner Sven Koritkowski kann die Nöte verstehen und setzt darum u.a. auf zusätzliche Pkw-Stellflächen als Angebot für die Kunden aus dem Umland. Wieviele Parkplätze dann letzlich wirklich benötigt werden, müsse man hier genauer verfolgen.

Die Interessenvertretung der Wirtschaft, die IHK, widerspricht. Sie fordert mehr Straßenbahnverkehr bis ins Cottbuser Umland. Das Angebot müsse so gut sein, dass die Menschen gern und jederzeit zum Einkauf und zur Arbeit nach Cottbus mit der Straßenbahn kommen, so IHK-Verkehrsexperte Jens Krause. Busse und Pkw seien hier langfristig keine Alternative. Cottbus und der umgebende Spree-Neiße-Kreis müssten endlich die entsprechenden Beschlüsse für den massiven Ausbau der Straßenbahn fassen, so Krause.

Verteilung des Verkehrs nach Hauptverkehrsmitteln 1991 - 2018 (Quelle: TU Dresden)
Bild: TU Dresden

Neue Verkehrszahlen alarmieren Verbände

Die Ergebnisse einer umfassenden Verkehrsuntersuchung für Cottbus, die rbb|24 vorliegen, schrecken Gewerkschaften, Umweltverbände und Fahrgastvertreter auf. Demnach sank der Anteil des Umweltverbundes, also von ÖPNV, Radverkehr, dem Fußgängerverkehr von 59,4 Prozent  im Jahr 2013 auf 55,9 Prozent im Jahr 2018.

Damit verfehlt die Stadt ihre eigenen Beschlüsse im Integrierten Verkehrsentwicklungskonzept. Dort war dort von mehr als 60 Prozent Verkehrsanteil im Umweltverbund - zu erreichen bis Ende 2020 - die Rede.  Auch werden die Vorgaben des eigenen Energiekonzeptes 2030 ausgeblendet. Hier heißt es: "Die Einschränkung des MIV (PKW-Verkehrs) ist ein positiver Effekt, der das Umsteigen vom Auto zum Umweltverbund erleichtert." Die Stadt ist überrascht über die neuen Zahlen und hofft, dass bei der nächsten Untersuchung in fünf Jahren vieles besser aussieht.  

Verkehrspolitische Geisterfahrt trotz mehr Förderung

Die Bergarbeitergewerkschaft IGBCE protestiert angesichts der Planungen für den Autoverkehr in Cottbus und der aktuellen Verkehrszahlen. So müsse Cottbus seine verkehrspolitische Geisterfahrt stoppen, meint die IGBCE-Bezirksvorsitzende Ute Liebsch. Es sei ein Unding, dass Lausitzer Kraftwerke abgeschaltet werden und der Autoverkehr in Cottbus immer mehr Abgase produziert. Die Ausweisung neuer PKW-Stellflächen sei da das falsche Signal. Gebraucht werde mehr Straßenbahnverkehr bis ins Umland. Schließlich biete das Strukturstärkungsgesetz ab April eine 100-prozentige Förderung für die Cottbuser Straßenbahn. Knappe kommunale Gelder seien hier also keine gültige Ausrede.

Unterstützung bekommt die IGBCE von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Der Pkw-Verkehr in Cottbus müsse durch mehr Straßenbahnverkehr zurückgedrängt werden. Nur so gebe es in der Stadt viele neue Unternehmen und neue Jobs. Ohnehin plane die Gewerkschaft in Cottbus und im ganzen Land ab Juli viele Proteste für einen besseren ÖPNV.

Fahrgastvertreter entsetzt

Der Fahrgastverband IGEB hat die Cottbuser Zahlen und Pläne genau studiert. Für IGEB-Sprecher Jens Wieseke sind die desaströsen Nutzerzahlen des ÖPNV ein "Offenbarungseid" in Zeiten Klimawende. Die Stadtpolitik finde keine Antworten auf den Umstand, dass Einwohner immer mobiler werden. Cottbus habe im Wesentlichen nur eine Antwort: "Mehr Auto!“ Wieseke fordert mehr Straßenbahnen und weniger Parkplätze.

Klagefreudige Deutsche Umwelthilfe rückt Cottbus in den Focus

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht in der starken Konzentration von bodennahem Ozon in der Stadt eine Folge des starken Pkw-Verkehrs. Cottbus schramme den gesetzlichen Zielwert, weshalb die WHO voraussichtlich schon im kommenden Jahr empfehlen werde, diesen Wert zu senken. Darum habe die DUH und dessen Geschäftsführer Jürgen Resch die Stadt auf eine Bobachtungsliste gesetzt. Die Lösung des Problems könnten nicht neue Parkhäuser in der Cottbuser Innenstadt sein, fasst Resch seine Sicht zusammen.

Neue Straßenbahn-Planungen und die andere Realität

Zum Schluss weist die Stadtverwaltung noch darauf hin, dass die Cottbus gemeinsam mit dem Verkehrsbetrieb Cottbusverkehr eine Erweiterung im Straßenbahnnetz plane. Neue Strecken sollen so in Richtung BTU, Krankenhaus und den Süden der Stadt ausgewiesen werden. Nach Recherchen von rbb|24 haben dazu bislang aber keine Voruntersuchungen und keine Planungen begonnen. Auch gibt es keine Ausschreibung für die Voruntersuchung. Für Fahrgastsprecher Jens Wieseke ist die Sache klar: die Cottbuser werden von Teilen ihrer Verkehrsverwaltung an der Nase herumgeführt.

Sendung: Antenne Brandenburg, 19.02.2020, 16.10 Uhr

Beitrag von Rico Herkner

13 Kommentare

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  1. 13.

    Die Grafik ist klar, MIV zzgl. Mitfahrer sind weit vorn die Nr.1, danach haben sich die gewählten Volksvertreter zu richten.

  2. 12.

    Die Zahlen basieren auf der bundesweiten Mobilitätsstudie (SrV), die von der TU Dresden im März 2020 veröffentlicht wird.
    Die Grafik stellt den „modal split“ dar – also den Anteil der einzelnen Verkehrsarten am Gesamtverkehr.
    „MIV“ ist im Fließtext erklärt: Motorisierter Individualverkehr = PKW-Verkehr. „SPNV“ = Schienenpersonennahverkehr.
    Zum Nachteil Bus: Bei der Recherche verwiesen uns Straßenbauingenieure auf das „Vierte Potenz-Gesetz“: Demnach
    verschleißt eine Stadt-Busfahrt eine kommunale Straße etwa ebenso stark wie 28 Tausend Fahrten eines zwei Tonnen
    schweren PKW. Bei Kleinwagen fällt der Unterschied noch größer aus.

  3. 11.

    Was ist der Vorteil der Straßenbahn gegenüber Buslinien. Ich vermag keinen zu erkennen, außer dass eben künftig 100% Förderung aus dem Steuersäckel fließen. Gibt es auf der Strecke ein Problem (Liegenbleiber, Unfall, Schienenschaden, Baustelle, Oberleitungsschaden etc.), fährt die Bahn nicht mehr. Planung am Bedarf vorbei - die Schienen sind nicht so leicht neu zu verlegen, Pech gehabt. Wer möchte nachts lieber eine Straßenbahn als einen E-Bus am Haus vorbeirattern lassen? Bau, Anschaffung, Unterhalt etc. teurer als beim Elektrobus. Und und und... Die Vorteile der Straßenbahn erschließen sich mir einfach nicht.

    Zur Grafik im Artikel möchte ich anmerken, dass eine vernünftige Legende fehlt. Was ist MIV, was SPNV? Es gibt fünf farbige Linien und fünf farbige Beschriftungen - aber die Farben stimmen nicht überein. Was bedeutet "(G)" hinter dem Jahr 2008? Was geben die Zahlwerte wieder? Es gibt nicht einmal eine Untertitelung (Inhalt, Quelle, Datenbasis). Bitte nachbessern!

  4. 10.

    Wer Interesse an einem besseren ÖPNV in Brandenburg hat, sollte sich hier eine Unterschriftenliste für eine Verkehrswende laden: https://verkehrswende-brandenburg.vcd.org/mitmachen/

  5. 9.

    Meine Frau arbeitet in Cottbus im Einzelhandel in der Innenstadt, und sehr oft bis Abend, dann hole ich Sie immer mit dem Auto ab, denn in die Straßenbahn traut Sie sich am Abend nicht mehr.
    Für uns geht's es daher nur mit dem Auto!

  6. 8.

    Hallo Robert,

    so ein Konzept hat meistens einen Zweck, ein Stadtentwicklungskonzept (INSEK) hat bspw. den Sinn, dass dort alle potentiellen Maßnahmen für die Städtebauförderung erläutert werden. Dies schreibt die Städtebauförderrichtlinie des Landes so vor.

    Wenn in so ein Verkehrskonzept gerade jetzt, wo die großen Fördertöpfe für die Lausitz anstehen und Frau Tzschoppe mit tausenden Neu-Cottbusern durch Medizin-Fakultät etc. rechnet, keine großen Maßnahmen stehen, halte ich die ganze Übung für Zeit- und Ressourcenverschwendung. Und gerade Cottbus braucht Fördermittel dringend. Schließlich ist man trotz guter wirtschaftlicher Grundvoraussetzungen, bspw. den Kohle-Arbeitsplätzen, seit und für zig weitere Jahre in der Haushaltssicherung. Dies heißt im Regelfall: 90%-Förderquote und nur 10% kommunaler Eigenanteil.

  7. 7.

    Als Stadtbewohner finde ich das bisher vorgestellte Konzept in Ordnung (https://www.cottbus.de/verwaltung/gb_iv/stadtentwicklung/verkehrsplanung/mobilitaetskonzept_altstadt.html). Im Alstadtbereich soll es m.E. zu erheblichen Verbesserungen für Fahrradfahrer und Fußgänger kommen. In Anbetracht der Herausforderungen kann man es als "mickrig" monieren. Sollte das Konzept jedoch so umgesetzt werden, stellt es immer noch eine erhebliche Verbesserung im Vgl. zur aktuellen Situation dar. Das reicht selbstverständlich nicht aus, aber es wäre der berühmte Schritt in die richtige Richtung. In Zukunft braucht es mehr (sichere!) Radwege in die Außenbezirke, Ertüchtigung bestehender Fahrradstraßen ins Umland und besseren ÖPNV (insbes. zur Uni, Klinik & ins Umland usw.). Im sannierten Bahnhofsbereich braucht man viel mehr Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Auf das priv. KfZ können viele Menschen der Region dann verzichten, wenn auch diese Angebote vorhanden sind.

  8. 6.

    Zum Bahnhof führt auch kein Radweg. Im Gegenteil: am Spreewaldbahnhof wurden die Fahrradstellplätze anhand des alten Schrottbestandes vor dem Umbau bemessen, sodass es dort komplett chaotisch zugeht.
    3. Der Stadtring wurde nie geschlossen.
    4. Der Campus in Sachsendorf ist auch nicht mit der Tram angebunden.
    5. Apropos Sachsendorf: mit dem neuen Fahrplan fährt der Nachtbus in RIchtung Stadt nun nicht mehr durchs Wohngebiet (Gelsenkirchener Allee) sondern hält an der Uni wo in der Nacht kein Schwein mehr ist. Man darf nun 'nen knappen Kilometer durch die Dunkelheit rennen um diesen zu bekommen oder schon vor der Endhaltestelle einsteigen und braucht dann genauso lange als würde man mit dem Rad fahren. Nachts ist die Sprem ja für Fahrradfahrer frei :)... Ist ja auch schön wenn ich mit besoffen mit dem Rad irgendwen umkegele...
    6. Wer als Energie-Fan mit dem Zug anreist, hat besonders Glück. Er darf meist nicht über den Stadtring und muss sich Wege durch Sandow bahnen...

  9. 5.

    Hier ist so ziemlich alles schief gelaufen was schief gehen kann.
    1. Die Straßenbahn: Weder Lausitz-Park (Media-Markt und UCI-Kino), noch das Cottbus-Center in Sielow, geschweige denn die Uni sind mit der Straßenbahn erreichbar. Das war Siebzigerjahre-Planung der autogerechten Stadt mitten in den 1990ern. Bis heute hat sich in Cottbus daran nichts geändert.
    2. Der Radverkehr: das neue Verkehrskonzept ist ein Witz, da es darauf basiert, dass die Stadt sich selbst jede investive Maßnahme vom Hals hält. Machen wir die Stadt autofrei, das kostet nix und die Leute können sehen wo sie bleiben. Wichtige Fragen, bspw. nach der Nord-Süd-Verbindung mit dem Rad umschifft das Konzept gekonnt. Auf Höhe Blechen darf man entweder auf den vollen Bahnsteigen fahren oder durch die Sprem schieben. Super! Oder weiter nach Norden, nach der Stadthalle? Auf der Karl-Marx-Straße mit Ampel an Ampel? oder durch die Ebert-straße in den Straßenbahngleisen hängen bleiben? Sie haben die Wahl.

  10. 4.

    Bei den Ergebnissen der "Rettet den Diesel" Partei in der Gegend ist das ja auch wenig verwunderlich.

  11. 3.

    Schreibt Studio Cottbus jetzt über Kreuzberg? Oder lebe ich doch in Cottbus? Nein, doch: die gleichen Probleme! Warten auf die Straßenbahnanbindung seit Mauerfall! Leider haben Grüne und SPD in den letzten Jahrzehnten stattdessen immer mehr Parkplätze gebaut bzw. auf bestehendem Straßenland in fast allen Seitenstraßen markiert. Jetzt stöhnen alle über Staus und Verkehrsinfarkt durch zuviele Autos in der Innenstadt - und vielen fehlt die (saubere) Luft zum Atmen.
    @Studio Cottbus: Macht gerne mal einen Betriebsausflug oder eine Recherche in Kreuzberg. Hier könnt ihr die Folgen der autobesessenen Stadt"entwicklung" wunderbar begutachten. Am besten vom Bus aus, denn Busspuren gibt es hier auch fast keine - die Busse reihen sich während des Berufsverkehrs im Schneckentempo in den Autostau ein. Die einzigen Straßenbahnschienen an der ehemaligen Bezirksgrenze wurden letztes Jahr abgerissen....

  12. 2.

    Gegebenenfalls hatte die Landesregierung vor, die "Herausforderung" mit der Straßenbahn ganz anders zu lösen. Solange nämlich keine stadtgrenzenüberschreitende Straßenbahn existiert, kann der umliegende Kreis an keiner Kostenbeteiligung des aktuellen Fahrbetriebes interessiert sein. Er, der umliegende Kreis, hätte aber nach der Kreisgebietsreform die Mehrheit gegenüber der Stadt gehabt. Ebenso wäre es bei Brandenburg an der Havel und Frankfurt (Oder) gewesen. Das wäre über kurz oder lang auf das Ende der Straßenbahn hinausgelaufen, der sich dann die Landesregierung "achselzuckend gebeugt" hätte.

    Es ist anders gekommen. Die Stadt bestimmt, es sind nach dem Scheitern der Kreisgebietsreform neue Förderzusagen gekommen und die vertanen Jahre / Jahrzehnte werden hoffentlich überwunden.

  13. 1.

    Im Land Brandenburg hat man Jahrzehnte keine Förderung von TRAMS in Aussicht gestellt. Jetzt endlich können sich ein paar klamme Kommunen durchringen, neue Trams zu ordern und schwupps: versinkt diese Investition im Klagedschungel des Mitbewerbers so wie schon beim U-Bahn Desaster der BVG. Was in diesem Land alles "geklagt" wird, ist für einen gesunden Geist nicht mehr nachvollziehbar. Und die EU? Ja genau die ist verantwortlich für diesen Wahnsinn. 72 Trams hatte einst CV, derzeit sind noch 21 KTNF6 im Bestand, für ein Netz von 4 Linien. Es fehlt hinten und vorne an Fahrzeugen. Eine Netzerweiterung ist seit 1989 nicht mehr erfolgt. Die Endhaltestellen sind u.v. Nicht ein einziges eingemeindetes Dorf wurde in 30 Jahren an das TRAM-Netz angeschlossen. Gleiches gilt für den BTU-Campus. Mit Eröffnung des ÖPNV-Knotens am Bahnhof wurde auch noch der Takt ausgedünnt. Und jetzt fordern: autofreie Innenstadt! Ja gehts noch?

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