Kommentar | Früherer Kohleausstieg - Nix wie raus - und dann?

In der Bundespolitik wird erneut über einen früheren Kohleausstieg als im Jahr 2038 diskutiert. "Unnötig und falsch" nennt Andreas Rausch die Debatte - und fordert stattdessen praktisch umsetzbare Lösungen für einen Ausstieg, egal wann dieser erfolgt.
Die EU will ihre Klimaschutzziele deutlich verschärfen, statt 40 nun 55 Prozent weniger Treibhausgase in der europäischen Luft, im Vergleich zu 1990. Das ist gut fürs Klima - und treibt zugleich den Blutdruck hoch. Denn prompt wird in Deutschland darüber diskutiert, ob es da nicht besser wäre, aus der schmutzigen Kohleverstromung früher auszusteigen, als das bisher Konsens war. Die Bundesumweltministerin selbst bringt einen Kohleausstieg 2030 ins Gespräch, statt des nach langen Geburtswehen im letzten Sommer beschlossenen Jahr 2038.
Es ist unnötig und damit falsch, jetzt eine politische Debatte über einen rascheren Ausstieg aus der Kohle zu beginnen. Wichtig wären andere Signale aus der Bundespolitik, um einen besseren Klimaschutz "Made in Germany" zu forcieren.
In Kohle machen lohnt nicht mehr
Im letzten Jahr hat Deutschland seine Klimaziele erreicht. Das Coronavirus ließ die Nachfrage nach Strom einbrechen. In der Folge feuerte die Energiewirtschaft als größter Umweltsünder auf Sparflamme, beim Lausitzer Energieversorger Leag ist die Rede von 25 Prozent Einbruch. Bis heute ist so viel Strom am Markt, dass es sich die Preise im Keller gemütlich gemacht haben. Parallel steigen die Kosten für den CO2-Ausstoß, im europäisch organisierten Handel mit sogenannten Verschmutzungsrechten.
Knapp 40 Euro sind mittlerweile für die Tonne Kohlendioxid fällig, das schmälert zusätzlich die Aussicht auf Gewinne für die Kohle-Unternehmen. In Kohle machen lohnt nicht mehr. Die Leag in der Lausitz hat zwischenzeitlich Konsequenzen gezogen, Kurzarbeit für einen Teil der Belegschaft, und einer von zwei brandenburgischen Tagebauen wird in den vorläufigen Ruhestand versetzt.
Geschäftsmodell könnte schon bald in sich zusammenbrechen
In internen Mitteilungen macht das Unternehmen wenig Hoffnung auf kurzfristige Änderung der Lage. Spürbar ist zudem das Bemühen des Unternehmens, sich andere Geschäftsfelder zu erschließen. Parallel prüft die EU-Kommission, ob die milliardenschweren Entschädigungszahlungen an RWE und Leag für den Ausstieg nicht völlig überzogen sind.
In der Lausitz soll mit dem Geld das Revier saniert werden, das dazu eigentlich verpflichtete Unternehmen wird dies aus den Kohleerlösen kaum aufbringen können. Dies alles sind Alarmsignale, die die Vermutung nicht weltfremd erscheinen lassen, dass sich das Geschäftsmodell Kohle sehr viel früher als 2038 erledigt haben könnte - auch ohne politische Beschlusslagen.
Politik muss genügend Großspeicher bereitstellen
Die Politik muss sich angesichts dieses Szenarios endlich darum kümmern, was mit einem früheren Ausstieg zwingend notwendig würde: Es gibt noch immer keine industriell nutzbaren Großspeicher für die fragilen Stromquellen Wind und Sonne, viele Ideen, viele Möglichkeiten, aber im Grunde nichts praktisch Nutzbares.
Ohne Speicher drohen bei einem Doppelausstieg aus Kohle und Atom große Probleme bei der Versorgungssicherheit, wie Szenarien der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus-Senftenberg aufzeigen. Hier muss viel mehr Aufmerksamkeit und Kraft hineingelegt werden, genauso wie in den massiven Ausbau der zuletzt schwächelnden Erneuerbaren Energien. Doch die dazu dringend erwartete EEG-Novelle hängt in der Wahlkampfwarteschleife fest.
Der Kohleausstieg kommt, womöglich früher als 2038. Das hat die Politik erkannt. Was parallel dazu "Klotzen statt Kleckern" erfordert, leider noch nicht.