Interview | Ein Jahr Bund-Länder-Abkommen zum Kohleausstieg - "Nur Geld allein hilft uns nicht viel"

Vor einem Jahr haben Bund und Länder mit einer Vereinbarung den Startschuss für den Strukturwandel nach der Braunkohle gegeben. Im Interview spricht Christine Herntier, Bürgermeisterin von Spremberg und Mitglied der Kohlekommission über bereits Erreichtes - und was noch offen ist.
Deutschland will bis zum Jahr 2038 aus der Braunkohleverstromung aussteigen. Was einfach klingt, ist ein organisatorischer Kraftakt: In den Braunkohle-Regionen, beispielsweise in der Lausitz, hängen Jobs von tausenden Menschen daran. Die Energieproduktion gilt als wirtschaftliches Rückgrad der Region.
Um die Kohle-Regionen nicht den Gefahren eines Strukturbruches auszusetzen, versprach der Bund Unterstützung. Vor einem Jahr, am 27. August 2020, wurde eine wichtige Bund-Länder-Vereinbarung unterzeichnet. Mit der Vereinbarung konstituierte sich eine Arbeitsgruppe, die die Verteilung der Strukturmittel koordiniert. Brandenburg bekommt für die Lausitz beispielsweise 10,3 Milliarden Euro.
Christine Herntier, Bürgermeisterin von Spremberg (Spree-Neiße), war Teil der sogenannten Kohlekommission, die das Ausstiegsdatum verhandelt hat. Außerdem ist sie Sprecherin der Lausitzrunde, ein Bund aller Bürgermeister der Region.
rbb|24: Frau Herntier, wieviel ist vom Strukturwandel in der Lausitz jetzt bereits zu spüren?
Christine Herntier: Er ist schon zu spüren. Er ist natürlich einmal dadurch zu spüren, dass sich das Braunkohle-Unternehmen, die Leag, intensiv damit beschäftigen muss, den Kohleausstieg bis spätestens 2038 zu managen. Was den anderen Teil des Kompromisses betrifft, also den eigentlichen Strukturwandel, den ich mit verhandelt habe, da ist es so, dass in Brandenburg ein transparenter Prozess aufgesetzt wurde, ein Werkstattprozess, an dem auch die Kommunen aktiv beteiligt sind. Das war ja etwas, worum die Lausitz-Runde von Anfang an gerungen hat - eben den Menschen den ganzen Prozess besser erklären zu können und die direkt Betroffenen in den Prozess einbeziehen zu können.
Von den insgesamt 40 Milliarden Euro für den Strukturwandel will der Bund in der Brandenburger und sächsischen Lausitz 17 Milliarden investieren. Beruhigt das die Menschen in der Region?
Ich erkläre das ja auch den Bürgerinnen und Bürgern von Spremberg und habe ihnen gesagt, dass diese große Summe mit Ideen untersetzt werden muss - und zwar mit Ideen, die ineinander greifen. Nur Geld allein hilft dabei nicht viel. Uns geht es darum, hier wirklich einen Strukturwandel zu schaffen. Das heißt nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen, neue Unternehmen in zukunftsfähigen Industrien und Branchen anzusiedeln und uns geht es natürlich darum, dem großen Manko der Lausitz, also der Entfernung zu den europäischen Modellregionen, und dem demographischen Wandel etwas entgegenzusetzen.
Ärgert es Sie dabei, dass immer wieder beispielsweise über den Ausbau der Autobahn rund um das Spreewald-Dreieck diskutiert wird? Das ist doch eigentlich schon eine beschlossene Sache.
Das ärgert mich natürlich, denn das kostet auch Zeit. Wir wissen doch, wie lange es dauert solche großen Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland umzusetzen. Wenn man so lange darüber diskutiert, geht ganz einfach Zeit verloren. Aber grundsätzlich ist es richtig Straße und Schiene auszubauen. Dadurch rücken wir näher an die Metropolregionen wie Berlin oder Leipzig, aber auch in Richtung Polen oder Tschechien. Was mich aber viel mehr ärgert ist, dass Gelder für Projekte ausgegeben werden, die gar nichts mit dem Strukturwandel in der Lausitz zu tun haben.
An welche Projekte denken Sie da beispielsweise?
Das ist das Projekt des Robert-Koch-Instituts in Wildau. Niemand in der Lausitz hat etwas dagegen, dass das RKI in Wildau ein Institut errichtet. Aber es ist niemandem in der Lausitz zu erklären, dass hunderte Millionen Euro an Strukturmitteln dafür ausgegeben werden. Das wird uns in der Lausitz im Strukturwandel nicht helfen, egal welche Begründungen im Nachhinein gefunden werden.
In der Politik wird nun viel darüber diskutiert, dass der Kohleausstieg schon deutlich vor 2038 vollzogen werden soll. Wie kommt denn das bei Ihnen und in der Region an?
Ich war in der Kommission, ich habe die Arbeit in dieser Gruppe auch beobachtet, was das Thema Energiewirtschaft betrifft. Und all denjenigen, die jetzt getrieben vom Wahlkampf immer neue, kürzere Zeiten für den Kohleausstieg zur Sprache bringen, denen stelle ich eine Frage: Wo ist die Lösung dafür? Diese Antwort wurde mir noch nicht gegeben. Wir haben schon 2018 gesagt, wo sind die Netze? Wo sind die Speicher? Wo sind die Regularien, um den Aufbau der Erneuerbaren besser managen zu können?
Wir steigen nächstes Jahr aus der Atomverstromung aus. Deshalb gibt es den Checkpoint: 2023 ist der erste, dann '26, '29, '32. Ich glaube 2023 wird man zum ersten Mal ehrlicher mit dem Thema umgehen können, wann Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigen kann.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Alexander Schmidt-Hirschfelder für Inforadio.
Sendung: Inforadio, 27.08.2021, 7:05 Uhr