Interview | Fred Mahro, Bürgermeister in Guben - "Das Problem darf nicht nach Deutschland durchgewunken werden"

Viele Geflüchtete kommen über die deutsch-polnische Grenze auch in Guben an. Es herrscht viel Verunsicherung. Bürgermeister Fred Mahro spricht im Interview über temporäre Grenzkontrollen und die Verantwortung Polens an der EU-Außengrenze.
rbb: Herr Mahro, Sie sind Bürgermeister der Grenzstadt Guben, wie erleben Sie denn die Situation in ihrer Stadt?
Fred Mahro: Tagtäglich und live, dass Menschen über die Grenze gelangen. Ich selbst war bei mindestens zwei Aufgriffen vom Bundesgrenzschutz vor Ort. Ich habe auch gemerkt, in welchem erbärmlichen Zustand die Menschen dort sind, Kinder, ältere Menschen, die dort aufgegriffen worden sind. Die müssen natürlich erst einmal humanitär versorgt werden. Das ist völlig unstrittig. Jeder, der was anderes will, sollte sich mit der Situation persönlich vertraut machen.
Das zweite ist, dass ich die Verunsicherung bei den Beamten vom Bundesgrenzschutz wahrgenommen habe. Bei den Menschen, die dort ankommen, weiß man nicht, ob sie nicht medizinisch versorgt werden müssen.
Die Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt selbst sind auch verunsichert: Was machen sie eigentlich, wenn solche Menschengruppen dort kommen? Wie verhalten sie sich an der Stelle richtig? Das ist die Situation, die wir gegenwärtig in Guben zu verzeichnen haben und entlang der polnischen Grenze insgesamt. Das haben mir meine Kolleginnen und Kollegen auch bestätigt.
Wie viele Menschen kommen auf diesem Weg nach Guben und woher stammen sie?
Bei den beiden Situationen, in denen ich selbst beteiligt war, ging es einmal um 16 Personen und einmal waren es vier Personen. Aber wie gesagt, das ist sicherlich nur eine Momentaufnahme, bei der ich persönlich präsent gewesen bin. Das wird sicherlich ungleich höher sein, was dort der Fall ist. Aber exakte Zahlen liegen mir an der Stelle nicht vor.
Was passiert mit den Menschen, wenn sie in Guben sind?
Wir in Guben selbst können nur versuchen, mit dem Bundesgrenzschutz und mit der Landespolizei Möglichkeiten zu finden, die Menschen auch erst mal nach Eisenhüttenstadt [Anm. d. Red.: In Eisenhüttenstadt befindet sich das Erstaufnahmezentrum für Geflüchtete] entsprechend zu verbringen. Dort werden sicherlich die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet. Mehr können wir operativ nicht tun. Wir können nicht die Menschen in den Häusern aufnehmen. Das geht, glaube ich, alles nicht. Wir müssen hier die Regularien, die bei illegalen Grenzübertritten der Fall sind, tatsächlich auch als Bürger einhalten.
Haben Sie darüber mit ihrem Amtskollegen in Gubin, Bürgermeister Bartlomiej Bartczak, gesprochen?
Natürlich, denn er ist ja genauso betroffen wie wir. Jeder illegale Grenzübertritt passiert ja letzten Endes in Gubin wie auch in Guben. Auch die Bürgerinnen und Bürger in Gubin sind verunsichert, weil urplötzlich Menschen auftauchen, die dort eigentlich nicht direkt dazugehören. Das Problem ist dort gleichermaßen. So gut kenne ich Bartlomiej Bartczak mittlerweile auch, dass er das Humanitäre auf alle Fälle auch in den Vordergrund stellt, aber auch seine Ängste an Warschau übermittelt hat.
Was halten Sie vom Vorschlag von Bundesinnenminister Horst Seehofer, mehr gemeinsame deutsch-polnische Patrouillen Streife laufen zu lassen entlang der Grenze. Ist das der richtige Weg?
Ich will mir da kein X für ein U vormachen. Das ist für mich der zweite oder dritte Schritt. Wichtig ist für mich, dass wir viel weiter vorne ansetzen, nämlich dass wir jedes EU-Land - und das ist in dem Fall unser Nachbarland hier in Polen - auch ein Stück weit daran erinnern, welche Normen es bei illegalen Grenzübertritten gibt. Das kann nicht darauf abstellen, dass man jetzt nur auf die Schleuser schimpft und sagt, das sind die bösen Menschen. Natürlich sind das Menschen, die keinen Charakter haben und die letzten Endes für solche Machenschaften bestraft werden müssen. Das ist kriminell.
Aber es geht auch darum, dass man der polnischen Seite deutlich erklärt, dass auch sie die Außengrenze zu schützen haben. Aber wir dürfen diese Länder, wie Griechenland oder Polen, in der Situation nicht allein lassen. Das heißt, wir müssen dort mit den Menschen versuchen, diese Situation ein Stück weit zu unterbinden. Und es kann nicht so sein, dass man das Problem nach Deutschland durchwinkt. Das ist zu wenig.
Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft Heiko Teggatz fordert die Einführung temporärer Grenzkontrollen, was halten Sie davon?
Das ist ja nichts Neues. Wir haben damals eine Situation gehabt, als die Europameisterschaft stattgefunden hat, wo Polen auch temporäre Grenzkontrollen durchgeführt hat. Ich kenne es von den Grenzen in Dänemark. Es gab schon mehrfach in Europa solche Situationen, die allerdings immer anlassbezogen sind.
Ich bin kein EU-Jurist, um das jetzt bewerten zu können. Ich glaube aber schon, dass die Situation jetzt etwas Besonderes ist. Und ich glaube auch, dass man temporäre Kontrollen tatsächlich als ein probates Mittel einsetzen kann - neben den gemeinsamen Streifen, die angekündigt worden sind.
In Guben gibt es eine gemeinsame deutsch-polnische Streife, die Corona-bedingt eine Weile aussetzen musste. Seit vier Wochen geht sie wieder durch die Stadt. Soll diese deutsch-polnische Streife in diesem neuen Turnus mit eingebettet werden?
Ich gehe davon aus, dass das passieren wird. Und wenn es nur dazu dient, diese Gemeinsamkeit ein Stück weit in der Praxis zu vermitteln. Das heißt, die Männer und Frauen haben dort über ein Jahr Erfahrung, auch wenn Corona uns dort gehandicapt hat. Aber sie wissen, worauf es ankommt, wenn man gemeinsam Streife geht.
Ich glaube schon, dass sie als Multiplikator auf alle Fälle in Funktionen kommen können. Aber ich hoffe auch, dass man diese gemeinsame Wache, die eigentlich zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger in Gubin und Guben dient, nicht dazu missbraucht, um jetzt ein globales Problem entlang der deutsch-polnischen Grenze zu klären. Diese vier Beamten würde ich gerne für die tägliche Arbeit in Guben sehen. Dazu zählt allerdings jetzt auch das Thema mit den illegalen Grenzübertritten.
Sie haben dieser Tage von der Bundespolizei mehr Unterstützung für die Landespolizei gefordert, mit welchem Ergebnis?
Ich weiß noch nicht, was konkret aus den Worten von Horst Seehofer folgen wird. Wenn das natürlich eine personelle Aufstockung ist, dann kann es nur in einem Miteinander zwischen Landes- und Bundespolizei und auch Zoll gehen. Aber dass wir mehr Polizeipersonal entlang der deutsch-polnischen Grenze benötigen, das dürfte auch mittlerweile dem letzten Verantwortlichen klar geworden sein.
Was glauben Sie, wann es bei diesem Thema spürbare Entlastungen geben wird?
Ich will solche menschlichen Schicksale nicht mit einem Hochwasser vergleichen, aber vom Ansatz her ist es ja ähnlich. Wenn in Görlitz die Neiße steigt, dann ist sie in absehbarer Zeit auch ein Stück weit in Guben angekommen. Und das ist hier ja in gleicher Weise leider, wie gesagt, mit Menschen passiert. Und es kommt sehr darauf an, dass wir an der polnischen EU-Außengrenze wieder einen regulären Betrieb hinbekommen. Und das wird sich dann spürbar auch bei uns auswirken. Das heißt, das geht für mich nicht in erster Linie um die deutsch-polnische Grenze, sondern um die EU-Außengrenze, die hier wieder mal vor einer besonderen Situation steht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Fred Mahrow führte Thomas Krüger, Studio Cottbus.
Der Text ist eine redigierte und gekürzte Version. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: Studio Cottbus, 21.10.2021