Interview | Ende der OB-Amtszeit in Cottbus - "Ich habe die Gleise gelegt - mein Nachfolger hat die Chance, die Züge draufzusetzen"

Di 18.10.22 | 20:32 Uhr
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Holger Kelch sitzt an seinem Arbeitspaltz im Rathaus Cottbus (Foto: rbb/Schneider)
Audio: Antenne Brandenburg | 17.10.2022 | Dirk Schneider | Bild: rbb/Schneider

Die Tage von Holger Kelch (CDU) als Cottbuser Oberbürgermeister sind gezählt. Ende November räumt er das Chefbüro. Im rbb-Interview spricht er darüber, was er erreicht hat und was für seinem Nachfolger Tobias Schick (SPD) wichtig werden könnte.

rbb: Herr Kelch, Sie sind noch rund sechs Wochen im Amt. Wie viele Termine stehen noch in Ihrem Kalender?

Holger Kelch: Das habe ich nicht gezählt. Es sind in der Regel wichtige Innentermine, um eine nahtlose Übergabe zu gestalten. Bei öffentlichen Terminen wird schon jetzt der zukünftige Oberbürgermeister Tobias Schick eingeladen. Da verlege ich mich auf das Tagesgeschäft.

Welche Aufgaben haben Sie noch zu erledigen?

HOLGER KELCH

  • Biografie-Auszug

Alles sehr gut für meinen Nachfolger vorzubereiten, so dass er gut unterrichtet in das Amt starten kann. Ich habe vor über einem Jahr die Zusage gemacht, ein geordnetes Haus zu übergeben. Ich glaube, das kann ich so zum Abschluss bringen, dass vieles noch geordnet wird. Er wird natürlich viele tausend Fragen haben. Die ersten Gespräche laufen.

Schauen wir auf Ihre knapp achtjährige Amtszeit und beginnen mit der Habenseite. Was sind Ihrer Ansicht nach Ihre großen Erfolge?

Ich möchte voller Stolz feststellen, dass wir überhaupt wieder einen Oberbürgermeister wählen durften. Im Land Brandenburg steht der Titel immer in Verbindung mit dem Status "kreisfreie Stadt" – und Cottbus ist kreisfrei geblieben. Bei einer groß angekündigten Kreisgebietsreform habe ich es unter meiner Leitung mit vielen Mitstreitern geschafft, dass die Landesregierung eingelenkt ist und wir uns weitaus wichtigeren Aufgaben [widmen konnten], wie zum damaligen Zeitpunkt die Bewältigung der Flüchtlingskrise, die Lösung der Fragen der Altanschließerbeiträge und alles das, was jetzt unter dem Thema Strukturwandel läuft - damals noch die Sorge eines erneuten Strukturbruchs in der Lausitz.

Nicht zu vergessen ist, dass wir durch die Restrukturierung eines strukturbestimmenden Gewerbesteuerzahlers [Kelch meint hier Vattenfall, d. Red.] zweistellige Millionenausfälle an Gewerbesteuern zu verbuchen hatten. Trotzdem haben wir in den Folgejahren eine Haushaltsgenehmigung auf den Weg gebracht, einschließlich einer grundlegenden Entschuldung der Stadt.

Das waren die Erfolge. Was hätte besser funktionieren sollen?

Ich bedauere, dass wir das Bild der Stadt Cottbus nach außen nicht so erfolgreich darstellen konnten, wie ich oder andere es wahrgenommen haben. Ich glaube, wir haben schon einen gewissen Aufschwung erlebt. Viele private Bauträger haben Brachflächen entwickelt und auch vernünftig entwickelt. Aber diese positiven Seiten haben wir in der Öffentlichkeit nicht so darstellen können, wie es die Stadt eigentlich bräuchte.

Die ganzen Herausforderungen für die Zukunft – Fachkräfte, Entwicklung des Wirtschafts- und des Universitätsstandortes – sind viel mit einem Image verbunden. Ich bin aber sicher, dass das meinem Nachfolger besser gelingen wird. Das hängt sicherlich auch mit der Sichtweise bestimmter bundesweiter Medien auf die Stadt und den Amtsinhaber zusammen. Ich glaube, dass dort die politische Nähe von Tobias Schick eher förderlich sein wird, ein positives Image für die Stadt abzubilden, als ich es vielleicht in der Vergangenheit tun konnte.

Der Cottbuser Oberbürgermeister Szymanski und Bürgermeister Kelch sitzen 2010 zu Beginn der fünften Jahreszeit im brandenburgischen Cottbus in einer Badewanne (Foto: dpa/Pleul)
Oberbürgermeister Szymanski und Bürgermeister Kelch sitzen 2010 zum Start der fünften Jahreszeit in einer BadewanneBild: dpa-Zentralbild

Glauben sie wirklich, dass das etwas mit dem Parteibuch des jeweiligen Oberbürgermeisters zu tun hat?

Das habe ich nicht gesagt. Aber die Sichtweise ist schon so, dass wir – gerade in den harten Auseinandersetzungen innerhalb der Stadtgesellschaft, was die Betreuung unserer Flüchtlinge angeht – sehr auf einseitige Berichterstattung verweisen konnten. Die Erfolge, die wir auch in der Integration erreicht haben, wurden nie so abgebildet, wie die Demonstrationen auf der Straße, leider auch mit einigen Überfällen. Da hat die Waage nur einseitig ausgeschlagen. Ich hoffe, dass es meinem Nachfolger gelingt, wieder ein Gleichgewicht der Waage herzustellen. Ich bin überzeugt, das wird ihm einfacher fallen.

Holger Kelch 2014 auf einer Wahlkampfveranstaltung der CDU mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Cottbus (Foto: dpa/Settnik)
Angela Merkel und Holger Kelch auf einer CDU-Wahlkampfveranstaltung 2014 | Bild: dpa-Zentralbild

Die Demonstrationen in Cottbus haben international für Aufsehen gesorgt - auch, weil es Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Geflüchteten gegeben hat. Nach meiner Erinnerung hatte die Stadtspitze anfangs lange gebraucht, sich zu positionieren. Hätte es aus heutiger Sicht damals schneller gehen können und sollen?

Sehen sie, genau das ist so das Spiegelbild, was bis heute nachwirkt und gerne auch noch vorgeschoben wird. Ich habe sehr deutlich auf die Problematik aufmerksam gemacht – und das schon im Jahr 2015 – was uns im Herbst 2015 erwartete: Ein, ich sage mal, doch recht ungebremster Zustrom von Flüchtlingen. Wir haben es trotz eines nicht genehmigten Haushaltes, trotz aller Herausforderungen, die nebenbei noch zu bewältigen waren – Stichwort Kreisgebietsreform – geschafft, eine nicht unerhebliche Zahl von Sozialarbeitern einzustellen. Wir haben die Inanspruchnahme von Hallen sehr eng gefasst. Wir haben sehr zügig alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen und zu betreuen.

Alles das hat keine Rolle gespielt. Es war wichtig gewesen, nach außen zu zeigen, dass eine Stadt mit engem finanziellem Spielraum trotzdem so viel bewältigt hat, auch dank eines großen ehrenamtlichen Engagements von vielen Helfern bis in die Verwaltung hinein, die nicht auf Überstunden geschaut hat. Und das ist genau der Punkt, den ich meine: Wer immer nur das eine sehen will, übersieht auch schnell das andere.

Mit der Flüchtlingskrise 2015 hat Cottbus wieder regelmäßig Demonstrationen erlebt. Dann kam die Pandemie, aktuell sind es Inflation und steigende Energiepreise. Was denken Sie, wenn Sie das beobachten?

Auch hier muss man sagen, dass es nicht wenige Menschen sind, die ob der Zeiten, die kommen, ein gewisses Unbehagen haben, wo Unsicherheit und auch möglicherweise wirtschaftliche Herausforderungen für jeden privaten Haushalt bestehen, wo man noch nicht abschätzen kann, wie stark es einen wirklich trifft. Wir haben nach wie vor gerade auch hier in Cottbus Menschen, die vollumfänglich oder teilweise auf soziale Leistungen angewiesen sind. Wir brauchen ja auch diese Menschen, gerade die im sogenannten Geringerverdienenden-Sektor. Das sind wichtige Träger, ob das die Verkäuferin ist oder Pflegekräfte sind. Für diese Menschen müssen Lösungen gefunden werden.

Wenn diese Menschen merken, uns hört keiner zu, wir werden nicht verstanden oder selbst die, die uns verstehen, schaffen es nicht, unsere Anliegen zu transportieren, dann ist das Demonstrationsrecht ein gutes Recht, das auf der Straße laut zu machen. Die Frage ist nur auch wieder hier, welchen Honig sich Extremisten daraus saugen. Da gucke ich nicht nur auf eine politische Seite.

Ein weiteres Thema, mit dem Cottbus immer wieder überregional in den Schlagzeilen ist, ist der vom Verfassungsschutz festgestellte rechtsextreme Hotspot, der sich in der Stadt gebildet hat. Seit 2019 ist die Rede von einer toxischen Mischszene aus Kampfsportlern, Rockern, Rechtsextremisten, Hooligans und Sicherheitsunternehmen. Wie hat dieses Thema Ihre Arbeit als Oberbürgermeister bestimmt und beeinflusst?

Für mich war es wichtig, mit der Installation der neuen Landesregierung wieder eine neue Gesprächskultur zum Innenministerium und speziell zum Verfassungsschutz aufzubauen. Das haben wir auch gemacht, weil ich immer das Gefühl hatte, dass man aus Potsdamer Sicht zwar über die Region und gerade auch die Stadt gesprochen hat, aber selten genug mit der Stadt.

Es ist nun mal so, dass in einem Rechtsstaat für bestimmte Aufgaben bestimmte Instanzen und verschiedene Kontrollgremien zuständig sind. Das entbindet uns aber nicht davon, dass wir als Stadt auch eine Verpflichtung haben. Wenn man aber über und nicht mit uns redet, hat man es schwer. Das ist dann immer die Geschichte zwischen Haase und Igel. Man hetzt dann hinterher. Aus meiner Sicht haben wir seit 2019 ein völlig anderes Interesse in Potsdam vorgefunden, um gemeinschaftlich dieses besondere Problem hier im Süden Brandenburgs anzugehen.

Leider Gottes - und das wird auch immer häufig bei den Medien völlig vergessen - kam eine Pandemie dazwischen. Vieles war in einer ganz anderen Zeitschiene angesetzt. Das Strategiepapier zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Cottbus, das wir im Juni der Öffentlichkeit vorgestellt haben, sollte eigentlich zwei Jahre eher dargestellt werden. Aber die Pandemie hat alle unsere Kräfte gefordert.

Ich gehe davon aus, dass es auch eine der Kernfragen der nächsten Jahre sein wird, wie erfolgreich wir in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und möglicherweise auch einen durch die krisenhaften Erscheinungen erstarkenden Linksextremismus in Cottbus zu tun haben.

Holger Kelch empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Stadthaus (Foto: dpa/Settnik)Kelch empfängt 2018 Bundespräsident Steinmeier in Cottbus

In die erste Halbzeit ihrer Amtszeit fallen die angesprochene Kreisgebietsreform und die Flüchtlingskrise. Da waren sie nach meiner Erinnerung ein Mann der klaren, vernehmbaren Worte gewesen. In der zweiten Halbzeit war es sehr viel ruhiger um sie geworden. Sie sind geradezu leise geworden. Warum?

Zum einen war es meine Krankheit [Kelch hatte mit einer Augenerkrankung zu kämpfen, d. Red]. Ich wurde ausgebremst. Ich habe mich nicht geschont, habe warnende Hinweise des Arztes nicht so ernst genommen und wenn man immer mit Vollgas fährt, streikt irgendwann der beste Motor. Der zweite Grund ist, dass sich auch Vieles zum Guten geändert hat, nachdem ich sehr laut geworden war - Schlüsseldatum 2019/2020. Das Land hat sich auf einmal ganz anders bewegt und uns hier in Cottbus besonders gewürdigt und unterstützt. Das sehen wir an den vielen Strukturwandelprojekten, auf die die Cottbuser wirklich sehr stolz sein können. Das ist in der Geschichte der Stadt einmalig, dass der Staat noch einmal so in eine Vorleistung geht und viele Projekte und Sachen anschiebt. Und wenn wir bekommen haben, heißt das auch erstmal: Zufrieden sein und das umzusetzen, was uns jetzt gegeben worden ist.

Holger Kelch, Daniela Gerd tom Markotten, Jörg Steinbach zur Eröffnung eines Infopunktes am Bahnhof Cottbus (Foto: dpa/Hammerschmidt)
Eröffnung des Infozentrums zum Strukturwandel in Cottbus 2022 | Bild: dpa

Cottbus ist im Aufbruch. Mit dem Strukturwandel gibt es neue Perspektiven. In den kommenden acht Jahren wird sich die Stadt stark zum Positiven verändern. Wie sehr schmerzt es Sie, dass Sie diesen Prozess nicht mehr als Oberbürgermeister begleiten und steuern können?

Mich schmerzt es weniger. Ich bin froh, dass ich die Gleise legen konnte. Als ich vor 20 Jahren nach Cottbus gekommen bin, habe ich etwas anderes vorgefunden. Auch vor acht Jahren war es nicht einfach gewesen. Ich bin auch sehr froh, dass bisher alles, was angekündigt wurde, auch tatkräftig umgesetzt worden ist. Es blieb nicht nur bei Zusagen des Bundes, der Deutschen Bahn, der Leag oder auch des Landes Brandenburg. Es wird mit Freude und sehr viel Energie daran weitergearbeitet werden. Insofern kann ich doch froh sein, dass ich die Gleise gelegt habe und mein Nachfolger die Chance hat, die Züge draufzusetzen und zu bestimmen, in welche Richtung mit welchem Tempo gefahren wird.

Cottbus darf es nicht versäumen, sich tolerant und weltoffen darzustellen.

Der Wandel bedeutet zum Beispiel auch Zuzug von Fachkräften. Daran hängen Wohnungen, Schulen, Kitas, ÖPNV. Wie gut ist Cottbus vorbereitet?

Wir wissen, wo wir hinwollen. Das Ziel ist definiert. Die Wege dazu sind immer auch von verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Mit einer entschuldeten Stadt ist man auch wieder kreditwürdig und kann das Geld zielgerichtet einsetzen, wo es für die Infrastrukturentwicklung [gebraucht wird].

Ich bin auch überzeugt, dass wir aufgrund der Energiesituation und der wirtschaftlichen Betätigungen in den nächsten ein, zwei Jahren ordentliche Gewerbesteuererträge haben. Das ist ein zusätzliches Geschenk, von dem man vor zwei Jahren noch gar nicht ausgehen konnte. Es wäre gut, dieses Geld zu nehmen, um auch Investitionen anzuschieben und nicht gewisse Wohltaten zu machen, die von kurzfristiger Natur sind. Dazu zählt auch als Investition in die Zukunft eine ordentliche Marketingkampagne zu fahren.

Was für mich auch noch wichtig ist: Cottbus darf es nicht versäumen, sich tolerant und weltoffen darzustellen. Allein die Universität mit einem Anteil der ausländischen Studierenden von 28 Prozent ist eine Chance zu sagen, dass wir in Cottbus ganz anders sind, als uns manchmal ein Teil der Medien gern dargestellt haben möchten. Es sind auch Investitionen in die Zukunft, diese jungen Leute möglicherweise nicht wieder in ihre Heimat zurückziehen zu lassen, sondern hier an die Hand zu nehmen und sie zu integrieren, so dass sie hier ihre Familien gründen und sich mit ihrem Wissen in die Gesellschaft einbringen können.

Die Cottbuser haben sich Anfang Oktober für Tobias Schick als nächsten Oberbürgermeister entschieden. Ist das aus Ihrer Sicht eine gute Wahl?

Es ist zumindest eine vernünftige Wahl gewesen. Ich bin überzeugt, dass Tobias Schick Gutes für Cottbus bringen wird. Ich habe gespürt, dass er es möchte und nach vorne schaut. Er versucht auch den Gemeinsinn herauszufordern und nicht die Gesellschaft weiter zu spalten. Das ist gerade in den nächsten Jahren wichtig. Eine Spaltung der Gesellschaft hilft uns mit dem, was die Stadt und die Gesellschaft vor sich hat, überhaupt nicht weiter.

Sie sind Mitte 50. Wie geht es für Sie beruflich weiter?

Da ist momentan ein gewisser Stillstand. Ich darf auch noch nichts machen, weder Nebentätigkeiten noch etwas anderes. Es gibt zwar lockere Gespräche, aber nichts, was schon so handfest ist, dass es für die Öffentlichkeit bestimmt ist. So hundertprozentig weiß ich es auch nicht.

In der Debatte um Ihre Nebentätigkeit, die das Stadtparlament nicht genehmigt hatte, ging es darum, dass Sie eine Beratertätigkeit ins Auge fassen. Ist das nach wie vor der Plan?

So ist erstmal der Plan, genau.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dirk Schneider für Antenne Brandenburg. Bei der vorliegenden Fassung handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Version.


Sendung: Antenne Brandenburg, 17.10.2022, 16:40 Uhr

 

1 Kommentar

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  1. 1.

    Herr Kelch wird uns Cotbussern in dankbarer Erinnerung bleiben. Insbesondere seine beiden Bürgergespräche mit dem Herrn Bundespräsidenten Steinmeier fanden unter großer Beteiligung der Bevölkerung statt und fanden großen Zuspruch.

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