Interview | Cottbuser Stichwahl - "Das Wahlergebnis ist eine Chance, daran muss sich Schick messen lassen"
In Cottbus ist der erste AfD-Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt verhindert worden. Im Interview spricht die BTU-Sozialwissenschaftlerin Heike Radvan über die Bedeutung des Ergebnisses und über Demokratiefeindlichkeit in Ostdeutschland.
rbb: Frau Radvan, das Ergebnis der Cottbuser Stichwahl lässt sich aus zwei Perspektiven betrachten: Einerseits kann man sagen, eine große Mehrheit hat sich für einen demokratischen Bewerber entschieden, andererseits haben sich mehr als 30 Prozent für einen Kandidaten entschieden, der sich ausländerfeindlich geäußert hat. Wie bewerten Sie dieses Ergebnis?
Heike Radvan: Zuallererst ist dieses Ergebnis, dass Herr Schick hier als demokratischer Kandidat gewonnen hat, sehr zu begrüßen. Es ist ein deutlicher Sieg mit 68,6 Prozent. Die erste Prognose war da noch sehr anders. Dieses Wahlergebnis bietet eine große Chance für die Weiterentwicklung dieser Stadt, daran wird sich Herr Schick jetzt auch messen lassen müssen.
Cottbus ist unter anderem Wissenschaftsstandort. Wissenschaft braucht demokratische Kultur, braucht Weltoffenheit. Dafür steht Herr Schick und damit ist auch die Sicherheit verbunden, dass die Gelder im Strukturwandel in Richtung Innovation, Offenheit und Diversität der Stadtgesellschaft eingesetzt werden können. Das ist eine Chance, insofern begrüße ich das.
Gleichzeitig sind 31,4 Prozent (für den AfD-Kandidaten Schieske, Anm. d. Red.) demokratietheoretisch ein sehr großes Problem. Da entscheiden sich 31 Prozent der Wählenden für einen Kandidaten, der sich in seinem Wahlkampf rassistisch und sehr feindlich gegenüber demokratischen Institutionen geäußert hat, auch wenn da eine Strategie zu sehen ist, moderat rüberzukommen. Das heißt, diese Wähler stehen dafür. Ein weiterer Punkt ist die Wahlbeteiligung. 55,2 Prozent, auch das ist ein grundsätzliches Problem. Da entscheidet sich gerade mal etwas mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung überhaupt zu einer demokratischen Wahl zu gehen.
Der neue Cottbuser Oberbürgermeister Tobias Schick hat angekündigt, auch die AfD-Wähler einbinden zu wollen. Sie fordern wiederum, er müsse die demokratischen Kräfte stärken. Wie passt das zusammen?
Es gibt eine Vielzahl von Herausforderungen. Die 45 Prozent, die hier gar nicht zur Wahl gegangen sind, von denen wissen wir nicht, wie die gewählt hätten. Das sind Spekulationen. In der letzten Woche ist der Monitor zur Einstellung gegenüber demokratischen Strukturen in Ostdeutschland herausgekommen. Der zeigt, 39 Prozent in Ostdeutschland sind mit der Demokratie unzufrieden, nur jeder Dritte glaubt, dass der Politik etwas an den Bürgern liegt. Das ist sicherlich auch ein Grund für den Prozentsatz, der sich entscheidet, nicht zu wählen. Das ist eine Herausforderung, die sich mit Transparenz und Partizipation angehen lässt.
Da hat Herr Schick im Wahlkampf deutlich gemacht, dass er über Scheinpartizipation hinausgehen will und dass er Erfahrungen aus seiner vorhergehenden Tätigkeit mitbringt. Bürger wirklich einzubinden und mitgestalten zu lassen holt sie tatsächlich zurück in eine demokratische Struktur.
Außerdem braucht es, das hat der Kandidat auch deutlich gemacht, eine klare Position gegen extrem rechte Gewalt und extrem rechte Mobilisierung in der Stadt. Da hat Cottbus in den letzten Jahren ein Defizit gehabt, hier entgegenzutreten. Er muss also verschiedene Gruppen ansprechen und Partizipation ist eine Antwort dabei.
Sie haben die Demokratiefeindlichkeit in Ostdeutschland angesprochen. Gerade in die Region Cottbus fließen Milliarden an Strukturmitteln. Warum steht man trotzdem dem demokratischen System, das die Fördergelder bezahlt, so feindlich gegenüber?
Die Frage lässt sich nicht mit einem Grund beantworten. Ich nenne zwei, die ich dabei sehr wichtig finde. Das eine ist eine historische Perspektive, also zu fragen, wie viel Demokratieerfahrung konnte man eigentlich in der DDR-Gesellschaft machen? Das war sehr begrenzt. Das heißt, in den vergangenen 30 Jahren standen viele Ostdeutsche vor ökonomischen Herausforderungen und gleichzeitig vor der Herausforderung, das neue System, die demokratischen Institutionen auch nutzen zu können und das als positive Gestaltung wahrnehmen zu können. Wir müssen nach wie vor die Möglichkeiten schaffen, die Vorzüge der demokratischen Kultur auch in Ostdeutschland erlebbar zu machen. Auch dabei komme ich auf echte Partizipation zurück.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führten Meili Scheidemann und Max Ulrich. Es handelt sich bei diesem Beitrag um eine redigierte Fassung.
Sendung: Radioeins, 10.10.2022, 17:40 Uhr