Interview | Bundestag billigt Triage-Gesetz - "Es ist möglich, dass Patienten mit guten Chancen nicht behandelt werden können"

Fr 11.11.22 | 14:12 Uhr
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OP-Saal, verschwommenes Bild (Quelle: imago/Westend61)
Bild: imago/Westend61

Ein neues Triage-Gesetz soll die Benachteiligung alter oder behinderter Patienten auf Intensivstationen verhindern. Der Chefarzt der Cottbuser Intensivmedizin erklärt die Neuregelung - und warum sie aus seiner Sicht nicht gelungen ist.

Menschen mit Behinderung und alte Menschen sollen bei knappen Behandlungskapazitäten auf Intensivstationen im Falle von Pandemien nicht benachteiligt werden. Der Bundestag hat am Donnerstag dazu ein Gesetz zur sogenannten Triage [tagesschau.de] beschlossen.

rbb|24: Herr Soukup, als Chefarzt der Intensivmedizin am Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum (CTK) und als Mitglied der Ethikkommission haben Sie unmittelbar mit dem Thema Triage zu tun. Welche Regelungen hat der Bundestag denn genau getroffen?

Jens Soukup: Prinzipiell geht es in dem Triage-Gesetz darum, dass in dem Fall, wenn das letzte Intensivbett vergeben werden muss, entschieden wird, welcher der potentiellen Patienten behandelt wird und welcher nicht. Mit diesem Gesetz soll es ein bisschen Rechtssicherheit geben: Alle Patienten sollen gleichwertig behandelt werden, sodass nun rechtssicher und fair das letzte Bett vergeben werden kann.

Der Gesetzgeber legt also nicht konkret fest, wer behandelt werden soll?

Der Gesetzgeber gibt nur den Rahmen vor. Wir Ärzte treffen ja auch jetzt schon Entscheidungen für oder gegen eine Therapie mit dem Patienten oder mit einem Angehörigen, aber das ist hier noch eine Besonderheit, weil man die Entscheidung in einer Akutsituation treffen muss, eben weil man begrenzte Kapazitäten zur Verfügung hat.

Was halten Sie von dieser Entscheidung?

Das geht in die Kategorie: eigentlich gut gemeint, aber, aus meiner Sicht, recht schlecht gemacht. Die Gleichwertigkeit, die primär die Intention dieses Triage-Konzeptes war, ist nicht gegeben, weil man die sogenannte Ex-Post-Triage ausschließt.

Ex-Post-Triage heißt, ich darf nur unter den Patienten entscheiden, die aktuell für dieses Bett in Frage kommen. Ich kann also nicht die Patienten in die Entscheidung einbeziehen, die schon behandelt werden und eine schlechte Prognose im Verlauf entwickelt haben. Es ist ein bisschen wie: 'Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.' Der hat das Bett. Es muss dann unter den Patienten, die später kommen, ausgemacht werden.

Diese Regelung wird definitiv zu einer Belastungssituation bei uns Ärzten führen, weil wir wissen, dass es möglich ist, dass Patienten, die vielleicht eine Chance haben und über die entschieden werden muss, dann nicht behandelt werden können. Ein Patient, der vielleicht schon drei, vier Tage im Intensivbereich liegt und sich schlecht entwickelt hat, kann aber nicht in die Triage einbezogen werden.

Welche Regelung wäre denn aus Ihrer Sicht besser gewesen?

Es wäre besser gewesen, wenn man die Entscheidung unter allen Patienten auf der Intensivstation ausmacht. Es gab dazu auch Empfehlungen der Intensivgesellschaft Divi. Die haben sich bereits Gedanken gemacht, wie man das für die Patienten und die Angehörigen fair gestalten kann. Dazu gehört auch ein Mehraugenprinzip. Das haben wir jetzt auch.

Richtig ist, dass man die kurzfristige Erfolgswahrscheinlichkeit, also das kurzfristige Überleben betrachtet. Das ist in Ordnung. Aber es sollten alle Patienten betrachtet werden, nicht nur die, die zur Behandlung anstehen. Die Divi hatte ein wirklich gutes Konzept, darauf hatten wir uns am CTK auch eingestellt. Die Herausnahme der Ex-Post-Triage erfordert nun, dass wir uns im Klinikum mit der Ethikkommission wieder zusammensetzen und uns Gedanken machen müssen, wie wir das umsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Daniel Friedrich für Antenne Brandenburg.

Sendung: Antenne Brandenburg, 11.11.2022, 11:30 Uhr

24 Kommentare

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  1. 24.

    " Es kann nicht sein, dass ein Elternteil den vollen Beitrag zahlt und der andere nicht erwerbsfähige Elternteil sowie die Kinder kostenlos mitversichert werden. "
    Erst mit Einführung des SGB V im Jahr 1989 wurde die Familienversicherung in der heutigen Form eingeführt, indem der Leistungsanspruch von der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht entkoppelt wurde und die Familienangehörigen selbst anspruchsberechtigt wurden. Und das nicht ohne Grund :"
    Letztlich ist der Beitrag in der GKV nicht kostendeckend." natürlich nicht, und die Deckungslücke wird rasant größer, warum ? überlasse ich Ihren Nachforschungen

  2. 23.

    " Die Krankenkasse dürfte dabei wohl auch eine Rolle spielen. "

    ja, aber nicht die Krankenkassen sondern die KV ( Kassenärztl Vereinigung ) , der Kassenarzt ist gehalten eine gewisse Anzahl von Sprechzeiten in der Woche nicht zu unterschreiten

  3. 22.

    Lisa, Ihre Frage kann ich nicht beantworten. Ich bin Orthopäde und operiere im eigenen OP Zentrum.

    Mit Impfungen habe ich nichts zu tun.

  4. 21.

    "
    Jeder erwartet eine tolle medizinische Versorgung ohne Rücksicht auf Kosten "

    zu Unrecht ? die KV Beiträge sind sehr hoch und werden weiter erhöht , warum das so ist erspare ich mir auszuführen.
    Ich habe 35 Jahre eine FA-Praxis geführt und kenne mich etwas aus.

  5. 20.

    Wo ist das Problem, wenn ein Patient trotz Termin wartet?

    Natürlich gibt's Unterschiede zwischen den Versicherungen. Für Privatpatienten bekommen wir auch mehr Geld. Ohne Privatpatienten kann keine Praxis und kein Krankenhaus überleben.

    Außerdem gehen viele Patienten zu oft und wegen Kleinigkeiten zum Arzt. Die gute alte Hausapotheke ist heute wohl unbekannt

  6. 19.

    Ganz so unschuldig sind Patienten auch nicht.

    In meinem Fachgebiet kann man sehr viel Beitragsmittel sparen, wenn mehr ambulant als stationär operiert wird.

    Fast 70 % aller Eingriffe können ambulant durchgeführt werden.

    Dazu kommt, dass wir immer älter werden.

    Jeder erwartet eine tolle medizinische Versorgung ohne Rücksicht auf Kosten.

    Eine weitere Sparmöglichkeit wäre die Anschaffung der kostenlosen Familienversicherung.

  7. 18.

    Sie sind also der Meinung aus den Bürgerinnen und Bürgern sei noch mehr herauszuholen.
    Die Patienten dürften wohl nicht schuld an den steigenden Kosten sein.
    Allerdings bekommen andere Teilnehmer an diesem "Krankheitssystem" den Hals nicht voll.

  8. 17.

    Warum vergeben Sie dann überhaupt Termine? Die Krankenkasse dürfte dabei wohl auch eine Rolle spielen.

  9. 16.

    Leider sind sie da eine seltene Ausnahme. Ich finde es gut und richtig wie sie das handhaben. Der Gedanke, es ist ja " nur " eine Grippe, hat sich bei den meisten Menschen verfestigt. Leider! Ich glaube auch, das uns das noch lange begleiten wird. Sie sind ja Arzt, hab da mal eine Frage. Ich habe meine 4.Impfung bekommen von der Schwester der Praxis. Allerdings war keine Ärztin da, die ich hätte fragen können, da ich Halsschmerzen hatte und mir nicht sicher war wegen der Impfung. Ist das zulässi

  10. 15.

    Triage in Katastrophenfällen hat es immer gegeben. Ein Gesetz brauchte es dazu nicht, und bestraft wurde auch kein Arzt. Für mich sagt dieses Gesetz nur: wir fahren unser Gesundheits- und Rettungswesen ganz bewusst so, dass es nicht mit außergewöhnlichen Notlagen klar kommt, und sichern jetzt dafür rechtlich unseren Arsch ab.

  11. 14.

    Ein Anrecht auf Hilfe besteht bei Lebensgefahr. Diese wird vom Behandler festgestellt.

    Leider halten sich immer weniger Menschen an die Coronaregeln. Dies wird uns bitterböse auf die Füße fallen.

    In meiner Praxis besteht die Pflicht zum Tragen einer FFP2 Maske. Ohne Ausnahme. Wenn ein Patient dies nicht möchte, lehne ich die Behandlung ab und mache von meinem Hausrecht Gebrauch.

  12. 13.

    Hier geht's nicht um andere Projekte der Bundesregierung, sondern um die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Es kann nicht sein, dass ein Elternteil den vollen Beitrag zahlt und der andere nicht erwerbsfähige Elternteil sowie die Kinder kostenlos mitversichert werden.

    Letztlich ist der Beitrag in der GKV nicht kostendeckend.

  13. 12.

    Termine sind ein Richtwert. Wenn in meiner Praxis ein Notfall erscheint, wird dieser sofort rangenkommen. Gleiches gilt für am Vortag ambulant operierte Patienten.

    Es gibt keine Vorschrift, wie ein Arzt das Terminmanagement gestaltet.

  14. 11.

    Ich will mir das garnicht vorstellen, dass wg. fehlender Betten in der Intemsiv Menschen sterben. Das ist wie vorm Wasserhahn verdursten. Im Prinzip hat jeder ein Anrecht auf Hilfe. Wollen wir alle hoffen, dass es im Winter nicht zu solchen Entscheidungen kommen muss.

  15. 10.

    " Ich rufe meine Patienten nach ärztlicher Beurteilung auf "

    und das wissen Sie schon vorher ? wozu dann überhaupt Termine ?

  16. 9.

    " Familienversicherung abgeschafft wird - ist auch mehr Geld für eine bessere Versorgung da "

    die Regierung schmeißt mit Millionen und Milliarden € für andere Länder nur so um sich, und Sie reden von Familienversicherung ?

  17. 8.

    Natürlich ist es möglich, eine begonnene Behandlung zugunsten eines anderen Patienten zu beenden. Diese Abwägung im Rahmen der Triage erfolgte in den letzten Coronajahren oft.

    Wer zu erst kommt, wird behandelt - so funktioniert es nicht.

    Behandlungen erfolgen immer nach ärztlicher Beurteilung und nicht nach Reihenfolge

    Das gilt schon lange in jeder Notaufnahme und in jeder Praxis.

    Ich rufe meine Patienten nach ärztlicher Beurteilung auf und nicht nach Termin oder Reihenfolge der Anmeldung.

  18. 7.

    Das Gesetz schützt jetzt behinderte Menschen vor einer schlechteren Position bei einer Triange. Das ist auch gut so.

    Bisher war Behinderung ein Negativkriterium. Wir Ärzte spielen ungerne Entscheider über Leben oder Tod.

    Jetzt sind die Regeln klarer und niemand wird mehr vornweg schlechter gestellt.

    Allerdings müssten impfverweigerung eine große Rolle spielen.

  19. 5.

    Zusammenschlüsse von Arztpraxen und Kliniken plündern doch jetzt schon unsere Krankenkassen. Nehmen wir doch mal zum Beispiel das Kopfzentrum, die Aqua-Klinik in Leipzig. Es ist ein Plündern der Kassen durch unnötige und nicht durchgeführte Behandlungen und ich denke, der Raubbau und die Schieflage von Versorgung und Profit, Dividenden, wird weiter zunehmen. Finanzinvestoren haben fast unbemerkt hunderte Kliniken und Arztpraxen aufgekauft. Beliebt sind ophtalmologische Einrichtungen, SANOPTIS gehört Londoner Spekulanten (Monopol), die mit satten Gewinnen locken, direkt aus unserem Krankenversicherungssystem. Auffällig auch hier die hohe Zahl der Abrechnungen von Behandlungen, die entweder nicht nötig waren, oder anders abgerechnet wurden. Der Ausverkauf unseres Gesundheitssystems hat begonnen, wer wundert sich da noch. Die Investoren sitzen übrigens in Steueroasen und glänzen mit Intransparenz.
    Wer wird dafür zahlen? Der Versicherte.

  20. 4.

    Wenn die Beiträge auf ein kostendeckendes Maß erhöht werden und endlich die unbezahlbare Familienversicherung abgeschafft wird - ist auch mehr Geld für eine bessere Versorgung da
    Zukünftig werden immer weniger Beitragszahler immer mehr versicherte finanzieren müssen

  21. 3.

    Alle ohne Impfung und alle die keine Maske getragen haben, nicht behandeln und fertig. Es wäre so einfach. China macht es vor.

  22. 2.

    Es sollte mal lieber per Gesetz etwas für das medizinische Personal und die Krankenhäuser getan werden. Dann hätten wir auch mehr belegbare Betten.

  23. 1.

    Ehrlich gesagt, fände ich es auch besonders schwierig, jemandem der schon behandelt wird, die Weiterbehandlung zu verweigern. Und ehrlich gesagt, ist es nun mal so, dass der zuerst kommt auch zuerst behandelt wird. Man wird ja nicht warten, ob noch jemand anders kommt.

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