Kommentar | Bundestag beschließt Kohleausstieg - Nicht ausgeschlossen

Fr 03.07.20 | 12:51 Uhr | Von Andreas Rausch
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Ein Schaufelradbagger, der im Tagebau Meuro im Einsatz war, steht am 27.02.2019 am Lausitzring in Senftenberg (Quelle: imago images/Rainer Weisflog)
Bild: imago images/Rainer Weisflog

Bis 2038 will sich Deutschland von der Kohle verabschieden - das ist jetzt beschlossene Sache. Auch die Lausitz in Brandenburg muss komplett umdenken. Zwar wird der Strukturwandel mit Milliarden versüßt, doch was das bringt, ist unklar. Von Andreas Rausch

Das Herz möchte einem beim Anschauen zerfließen. Ein ratloser Mann, kaum 45 Jahre alt, sitzt gebrochen in seinem Wohnzimmer: "Früher hieß es immer stolz, ich bin Bergmann, wer ist mehr? Und heute? Da zählt das alles nichts mehr. Da herrscht Hoffnungslosigkeit." Die Szene ist mehr als 20 Jahre alt, sie gehört zu einem Film aus rbb-Beständen über das Ende des Tagebaus Meuro bei Senftenberg. Den letzten in diesem Revier.

Viele der Kumpel dort gingen über einen ABM-Puffer direkt in die Arbeitslosigkeit. Perspektive hatte zu diesem Zeitpunkt kaum jemand: Der Markt wird bereinigt, die Menschen spielen, so scheint es, in diesem Nachwendeprozess keine Rolle. Nahezu jede Familie ist betroffen. Trostlos scheint die Zukunft im Revier. Nährboden für Filme, Melancholie, Populismus.

Und heute?

Viele Prophezeiungen

Heute gehen wieder Gespenster um. Die einen prophezeien einen zweiten Strukturbruch, den Todesstoß für die Industrieregion Lausitz. Der Abschied von einer funktionierenden Industrie werde eine neue Abwanderungswelle in Gang setzen. Während hier Kohlemeiler vom Netz gingen, bauten allein die Chinesen ein Vielfaches davon neu - das Klima habe also nichts von diesem Opfer.

Im Gegenteil, wir setzten mit dem Kohleausstieg den deutschen Wohlstand aufs Spiel, heißt es. Die ohnehin hohen Strompreise würden bald explodieren, Blackouts drohten. Und den Abschied versüße der Steuerzahler den Kohleunternehmen von RWE bis Leag noch mit zu vielen Milliarden Euro. Nicht ausgeschlossen.

Der Abschied von der Kohle sei zu zaghaft, am Ende habe sich die Lobby weitgehend durchgesetzt, es müsse viel früher und viel rabiater ausgestiegen werden, um die Welt noch retten zu können, so die Forderung.

Nichts ist ausgeschlossen

In allen Befürchtungen und Prophezeiungen stecken reale Gefahren. Vielleicht kommt der Ausstieg marktbedingt früher als 2038. Nicht ausgeschlossen.

Vielleicht ist die Leag überbezahlt dafür, dass sie nicht gegen die Kündigung ihrer Geschäftsgrundlage klagen wird. Nicht ausgeschlossen.

Vielleicht wird die Vorreiterrolle Deutschlands - das als einzige Industrienation praktisch parallel aus Atom- und Kohleenergie aussteigt, immerhin fast aus der Hälfte des aktuellen Strommix‘ - nicht zum Vorbild für andere, wie erhofft und damit auch für das Klima wenig nutzbringend. Nicht ausgeschlossen.

Und vielleicht sind auch die 40 Milliarden Euro, mit denen der Bund drohende Perspektivlosigkeit in den Revieren verhindern will, am Ende nicht das Allheilmittel. Auch das - nicht ausgeschlossen.

Kohleausstieg ist real und notwendig

Fakt ist: Der Kohleausstieg ist real und notwendig.

Fakt ist: Die Gefahr um die Versorgungssicherheit existiert so lange, wie es keine industriell nutzbaren Stromspeicher oder einen zügigen Ausbau von Gaskraftwerken gibt.

Fakt ist: Wenn sich Europa und die Welt nicht ebenso aus der fossilen Energiegewinnung verabschieden, bringt der deutsche Kohleausstieg dem Klima nichts.

Und Fakt ist, ohne einen sinnvollen Plan, Macher mit Ideen und Visionen vor Ort und einer klugen Ansiedlungspolitik bringen auch die versprochenen 40 Milliarden Euro allenfalls Schmerzlinderung, aber keinen Strukturwandel in die Regionen.

Der Tagebau Meuro aus dem eingangs angesprochenen Film heißt jetzt Großräschener See. Es gibt einen Hafen, ein Strand entsteht, es herrscht mehr Zu- als Abwanderung, Touristen kommen, es gibt Arbeit in Tourismus und Industrie. Die Stadt, die dem See den Namen gab, gilt heute als kleines Lausitzer Wunder, das graue Dreckloch von einst ist nicht mehr wiederzuerkennen.

Die Region hat sich vor 20 Jahren ohne Kohle neu erfinden müssen – dass das ohne einen guten Plan, Unterstützung und Macher vor Ort gegangen wäre? Ausgeschlossen. Das ist Fakt.

Sendung: Brandenburg aktuell, 03.07.2020, 19:30 Uhr

Beitrag von Andreas Rausch

12 Kommentare

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  1. 12.

    Bis 2038 will sich Deutschland von der Kohle verabschieden. Ach was! Von der Kohle haben wir uns doch bisher verabschiedet, aus dem Boden gekratzt, verbrannt und weg war sie. Den daraus erzeugten Strom oft sinnlos verbraucht. Ab 2038 soll die Braunkohle im Boden bleiben, ergo bleibt sie uns erhalten.
    Gemeint ist doch wohl, bis 2038 will sich Deutschland von der Energieerzeugung aus Kohle verabschieden. Das ist doch wohl ein kleiner Unterschied in der Formulierung.
    Ein weiterer Gedanke, jedermann kann für sich persönlich auch überlegen, wie man den Energieverbrauch senkt. Die Lichtverschmutzung ist doch beispielsweise auch ein Faktor der Umweltschäden.

  2. 11.

    Deutschland schafft sich ab bekommt ein weiteres Kapitel. Was die Ökos nicht verstehen sind einfache Zusammenhänge.
    - Anteil der deutschen Braunkohle am Klima
    - Milliarden wurden bislang wurden für die Phantasien der Ökos verpulvert fast keinem Ergebnis nutzen
    Kann jeder hier nachvollziehen:
    https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland#emissionsentwicklung-1990-bis-2017

  3. 10.

    Dazu habe ich eine andere Meinung.
    Den Klimawandel gab es immer und wird es immer geben. Warum heißt z.B. Grönland (Grünland) Grönland ? Weil das Eis früher grün war ?
    Lassen Sie uns auf einen gemeinsamen Nenner zurückkommen, auf den, dass es sich nicht eindeutig bestimmen lässt, wie wahrscheinlich die Risiken für das Klima wirklich sind. Große Unsicherheiten zeigen sich in allen Ergebnissen der Klimaforschung, wenn sie nicht, politisch motiviert, einseitig dargestellt werden, um einen Diskurs darüber zu unterbinden. Ich halte es für falsch und gefährlich, wenn überehrgeizige Wissenschaftler ihr Klimawissen milieu gerecht herausfiltern.
    (ich habe diese ewigen Beleidigungen so satt, Sie und Ihresgleichen sollten lernen, sich zu benehmen, Fakten bringen, Argumente, alles andere ist ein Armutszeugnis)(Vielleicht hilft ja auch die Naturwissenschaft. Sie siegt immer über jegliche Ideologie)

  4. 9.

    Ignoranz und Dummheit helfen nicht gegen den Klimawandel.
    Auch wenn er (nur)momentan an den auftauenden Permafrösten in Sibirien deutlich sichtbar wird , wird Deutschland die Folgen spüren. Das wird mehr als nur unangenehm .

  5. 7.

    Von weit weg läßt es sich immer gut hetzen. Sollen die Leute hier in der Lausitz weiter mit dem Dreck und dem Krach leben, nur damit Sie sich bestätigt in Ihren altmodischen Ansichten bestätigt fühlen? Die Menschen hier haben es verdient, genau zu wissen, wie sich ihre Zukunft ohne die Kohle gestaltet und wie sie sich darauf einrichten können.

  6. 6.

    als Hass würde ich das nicht bezeichnen, weiß aber, dass Menschen wie Sie gern solche Begriffe nutzen, müssen sie sich dann nicht mehr mit Argumenten auseinandersetzen.
    Für mich wäre es nur gerecht, wenn diejenigen, die das alles zu verantworten haben, auch die Folgen als Erste zu spüren bekommen.
    Wer, wie immer wieder Deutschland, sich anmaßt, das auserwählte Land zu sein und immer vorneweg gehen muss, andere gern belehrt und beschuldigt, sollte sich ab und zu einmal umdrehen, ob da überhaupt noch jemand ist, der folgen möchte.
    Wir steigern uns immer wieder in Dinge hinein, gar bis zum Exzess, wir überschätzen dabei allzu oft unsere Kräfte und Fähigkeiten. Das Zauberwort, mit dem die Regierung das immer wieder beim Volk schafft, heißt "Überheblichkeit": "Wir schaffen das", Wer sonst, wenn nicht wir. Wir sind die Größten,die Besten, koste es was es wolle .....und dafür gern bereit unsere Industrie, Bildung, Grundversorgung... zu opfern.

  7. 5.

    Will doch keener mehr investieren wenn die Einkünfte nicht mehr 100% sicher sind. Sind doch auch alles nur Öko-Kapitalisten oder glauben Sie die Investoren machen es wegen der schönen Umwelt? Guten Morgen

  8. 4.

    Oder halt bei den Leuten, die den Ausbau von Wind, Solar, und Speichertechnik verhindern? Also zurest bei unseren Politikern und dann bei Vernunftkraft und Co?

  9. 3.

    Wieso möchten Sie, dass diese Bezirke vom Netz genommen werden? Weil sich die Menschen dort für die Zukunft Ihrer Kinder einsetzen? Weil sie einen bewohnbaren Planeten erhalten möchten?
    Ich kann nicht verstehen, wieso sie so viel Hass gegen Andersdenkende pflegen.

  10. 2.

    Und wenn es Probleme mit der Versorgung geben sollte, dann bitte ich darum, dass die Berliner Bezirke und die Landkreise mit den höchsten Grünwähleranteil, vom Netz genommen werden. Die werden sicherlich Verständnis dafür haben.

  11. 1.

    "praktisch parallel aus Atom- und Kohleenergie aussteigt, immerhin fast aus der Hälfte des aktuellen Strommix‘"

    Was auch immer aktuell heißt, aber 2019 waren es knapp 42% und bisher im (speziellen Jahr 2020) sind es 32%.

    "Fakt ist: Wenn sich Europa und die Welt nicht ebenso aus der fossilen Energiegewinnung verabschieden, bringt der deutsche Kohleausstieg dem Klima nichts."

    Mehrere europäische Staaten sind schon aus der Kohle ausgestiegen, weitere Länder haben ein deutlich früheres Ausstiegsdatum. Fakt ist: Deutschland ist eher Schlusslicht denn Vorreiter beim Kohleausstieg.

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