Kommentar | Brandenburg und der Kohleausstieg - Die Lausitz wandelt sich, aber anders

Lange ging in der Lausitz die Angst um, dass der Kohleausstieg zu einer zweiten Deindustrialisierung führt. Heute redet davon niemand mehr. Im Gegenteil: Der Strukturwandel wird die Lausitz doppelt verändern, kommentiert Andreas Rausch.
Vor zwei Jahren, am 03. Juli 2020, beschloss die damalige Bundesregierung den Kohleausstieg. Bis spätestens 2038 sollen demnach alle deutschen Kohlekraftwerke, von denen zwei in Brandenburg stehen, vom Netz gehen. Gleichzeitig sollen Milliarden in den Aufbau neuer Wirtschaftszweige und Infrastruktur in den betroffenen Regionen fließen.
"Wo sind sie denn, die konkreten Projekte? Oder sollen die Kumpel künftig Bockwurst an Touristen verkaufen, die sich für den Nachlass fossiler Industrien interessieren?" Es ist eine Weile her, dass man in der Region zwischen Spreewald und Oberlausitzer Bergland diese Fragen gestellt bekommen hat.
Erwartbar waren sie, in einer Region, deren Selbstbewusstsein (und bescheidener Wohlstand) sich in erheblichem Maß aus der 150-jährigen Braunkohletradition speist und der man eben diese Tradition für beendet erklären wollte. Denn der Politik fiel auf die große Frage nach dem Danach ihre übliche Standardantwort ein – viel Geld bereitzustellen, was schon irgendwie als Pflaster taugen würde.
40 Milliarden Euro waren es am Ende, allein die Lausitz soll 17 Milliarden davon abbekommen. Damit will die Politik verhindern, dass abermals massenhaft Menschen die Region verlassen. Die Abwanderungswelle nach dem Zusammenbruch der DDR und ihrer extensiv ausgebauten Kohleindustrie ist nämlich bis heute schmerzhaft in Erinnerung geblieben.
Was tun mit dem Geld?
Im Dschungel an Zuständigkeiten und auch bürokratischen Maschinerien trieben die hochfliegenden Strukturwandel-Versprechungen zunächst skurrile Blüten. In Wildau entstand eine Außenstelle des Robert-Koch-Instituts, finanziert aus Kohleausstiegsmitteln, obwohl dort nie Kohle in der Erde gelegen hatte.
Andernorts wurden Zuschüsse für kommunale Dauerschubladenprojekte beantragt: Von Radwegen bis zu Schulerweiterungen, für die bisher schlicht kein Geld da war. Was hatte und hat das mit einem Strukturwandel im Kohlerevier zu tun, dessen Ziel doch das Weiterbestehen einer Industrieregion sein soll?
Instandhaltungswerk, Uniklinik, Sciencepark
Doch dann drehte der Wind. Im Frühsommer 2022 war Spatenstich für ein Großprojekt der Deutschen Bahn AG in Cottbus, die hier künftig ICE-Züge warten will und dafür 1.200 Jobs schafft. Parallel stellt die BTU Cottbus-Senftenberg ein Megaprojekt für den Stadtrand vor: Der Lausitz-Science-Park soll der Link zwischen Wissenschaft, Forschung und praktischer Umsetzung von Strukturwandel werden, mit atemberaubenden 10.000 Arbeitsplätzen und einem geschätzten Umsatz von 1,2 Milliarden Euro.
Allein die Steuereinnahmen würden dem Cottbuser Kämmerer Freudentränen in die Augen treiben! Und da ist noch nicht die Rede von Brandenburgs einziger Universitätsmedizin, deren Aufbau in Cottbus es gar in den Ampel-Koalitionsvertrag geschafft hat. Allerdings sind die konkreten Planungen dazu noch nicht fertig. Auch hier - wen wundert es? - reden die Beteiligten von mehreren tausend neuen Arbeitsplätzen und damit Zuzug statt Abwanderung.
In der Lausitz fehlen inzwischen Arbeitskräfte
Nach Jahrzehnten der Mangelverwaltung und Rezeptsuche gegen den schleichenden Bedeutungsverlust rückt Cottbus in den internationalen Fokus, wird interessant und muss damit in vielerlei Hinsicht erst umgehen lernen. Es muss gebaut werden: Infrastruktur, Energieversorgung, Wohnungen. Und Cottbus ist nicht allein. Andere Kommunen wie zum Beispiel Spremberg (Spree-Neiße) erfreuen sich ungebremster Nachfrage. Das dortige Industriegebiet ist prallvoll und muss erweitert werden.
Von Arbeitsplatzabbau ist hier wie da kaum noch die Rede. Im Gegenteil, es wird immer offensichtlicher, dass der Lausitz Arbeitskräfte fehlen. Längst konkurrieren die verschiedenen Player in der Region um wertvolle Fachkräfte. Selbst der Platzhirsch Leag hat keinesfalls vor, sich mit der Kohle aus der Region zu verabschieden. Das Unternehmen forciert seinen eigenen Wandel zu einem "grünen Energieerzeuger". Der Plan der Politik in der aktuellen Energiekrise, bereits abgeschriebene Kohlekraftwerkskapazitäten wieder hochzufahren, verschärft die Situation. 200 Arbeitsplätze muss die Leag dafür neu besetzen am Standort Jänschwalde, besetzen konnte sie bislang nur die Hälfte dieser Stellen.
Wie also weiter?
Im Rennen um Arbeitskräfte führt der Weg nicht an gezielter Zuwanderung vorbei. Die Lausitz muss sich international interessanter machen und um Zuzug werben, nicht perspektivisch sondern jetzt. So wird sich eine lange vergessene Region am Rande der Republik schon bald doppelt verändern. Aus einem Kohlerevier von gestern wird eine boomende Region von morgen.
Nach Jahrzehnten zwischen Abwanderung und Überalterung müssen die regional Verantwortlichen unerwartet Wachstum und veränderte Ansprüche managen. Die Lausitz wird bunter, internationaler und ein Landstrich mit Zukunft. Hoppla! Das wäre in der Tat ein wahrer Strukturwandel – wenn ihn die Region hinbekommt.
Sendung: Antenne Brandenburg, 04.07.2022, 5:30 Uhr