Bundestags-Entscheidung über Ersatzkraftwerke - Warum das Wieder-Hochfahren von Jänschwalde so schwierig ist
Falls Russland seine Gaslieferungen stoppt, muss die Energieversorgung anders gewährleistet werden. Auch im Kohlekraftwerk Jänschwalde wird der Wiederbetrieb von zwei Blöcken vorbereitet. Aber das ist gar nicht so einfach, erklärt Andreas Rausch.
Wenn das Gas noch knapper wird, soll es möglich sein, wieder mehr Kohle für die Stromerzeugung zu nutzen. Der Bundestag soll deshalb am Donnerstagabend über die Bereithaltung von Ersatzkraftwerken entscheiden.
In der Lausitz betrifft das das Kraftwerk Jänschwalde. Trotz des beschlossenen Kohleausstiegs sollen nun zwei Blöcke wieder hochgefahren gehen, wenn der Bedarf da ist. Der eine wäre im Oktober 2022 endgültig abgeschaltet worden, der andere im Oktober 2023. Damit wird das Kraftwerk, entgegen allen Prognosen, spätestens im Winter wieder auf Volllast fahren können. Das war eigentlich so nicht vorgesehen.
Kann man denn die Blöcke einfach wieder so hochfahren?
Kohlekraftwerke sind zum einen recht unflexibel. Man kann sie zwar relativ schnell abschalten, aber um sie dann sozusagen aus einer Stand-by-Funktion wieder auf Volllast hochzufahren, dauert es eine Weile. Vereinbart ist mit der Bundesnetzagentur, dass, wenn der Bedarf angemeldet wird, sie in zehn Tagen Strom liefern müssen.
Allerdings ist in der Verabredung eigentlich nur davon die Rede, dass sie punktuell Schwächen im Stromnetz ausgleichen müssen. Und die aktuelle Gesetzgebung, um die es am Donnerstagabend im Bundestag geht [tagesschau.de], sieht ja vor, bis März 2024 theoretisch auf Volllast fahren zu können. Dafür ist noch einiges an Instandhaltung notwendig. Denn dafür sind die Blöcke gar nicht vorgesehen gewesen. Der Bedarf wird gerade beim zuständigen Energieversorger Leag beziffert. Da weiß man noch nicht genau: Funktioniert das eigentlich alles so, wie es dann im Gesetz steht?
Gibt es weitere Streitpunkte oder Hindernisse?
Es gibt eine Auseinandersetzung zwischen der Grünen Liga und der Leag. Dabei geht es um das Kühlwasser, das so ein Kraftwerk zwingend benötigt. "Werden die Blöcke E und F stark ausgelastet, gehen der Spree weitere 13 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr durch die Kühltürme verloren", sagt René Schuster, Braunkohle-Experte der Grünen Liga. "Seit die Blöcke zuletzt in Betrieb waren, hat sich der Wassermangel im Spreegebiet durch die Dürrejahre massiv verschärft. Ein erneutes Ansteigen des Kühlwasserverbrauchs kann deshalb auf Kosten der Trinkwassergewinnung für Berlin und Frankfurt (Oder) gehen."
Leag-Sprecherin Kathi Gerstner erwidert: "Die Versorgung des Kraftwerkes Jänschwalde mit Kühlwasser erfolgt über die Wasserhebung im Tagebau Jänschwalde." Es werde dafür kein Wasser aus der Spree entnommen und auch die Trinkwasserversorgung werde nicht gefährdet. Etwa 30 Prozent des zur Kühlung genutzten Wassers würden im Anschluss der Spree zugeführt. "Zudem ist davon auszugehen, dass die beiden Kraftwerksblöcke hauptsächlich in den Wintermonaten zum Einsatz kommen würden, wenn der Wasserbedarf des Kraftwerkes zur Kühlung geringer und der Abfluss in der Spree durch verstärkte Winterniederschläge ausreichend hoch ist", so Gerstner.
Ein weiteres Problem könnten die Genehmigungen für den Betrieb der Kraftwerksblöcke sein. Durch das schrittweise Auslaufen bis zur geplanten Endabschaltung im Oktober 2022 und 2023 wurde an den Blöcken nicht mehr gearbeitet, sie verfügen in Teilen nicht mehr über die nötigen Voraussetzungen, aktuelle Standards zu erfüllen. Das war ja auch nicht mehr nötig. Deshalb ist für den Weiterbetrieb, auch zeitlich befristet bis 2024, eine Ausnahmegenehmigung nötig, da ein Update der Blöcke auf die aktuellen Standards nicht realisierbar ist. Der Leag liegen nach eigenen Aussagen bislang keine Erkenntnisse vor, inwiefern über Sonderregeln nachgedacht wird.
Wie viel hat die nun quasi stornierte Stilllegung gekostet?
Im Energie-Sicherungsgesetz steht, dass den Anlagen-Betreibern die Kosten für die "Vorhaltung und Herstellung der Betriebsbereitschaft der Reserve-Anlagen" erstattet werden. Mehrkosten entstehen jedoch nur in Bezug auf die höheren Anforderungen an die Betriebsbereitschaft für einen Dauerbetrieb und die Kohlebevorratung aufgrund des neuen §50b des Energiewirtschaftsgesetzes. Diese Mehrkosten können sich nach aktueller und vorläufiger Schätzung auf etwa 550 bis 600 Millionen Euro für die Laufzeit der Maßnahme belaufen.
Als die Sicherheitsreserve eingeführt wurde, war die Rede von 230 Millionen Euro pro Jahr an die Betreiber. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums sollten die Kraftwerksbetreiber für die Quasi-Stilllegung ihrer Anlagen sieben Jahre lang diesen Betrag erhalten, unterm Strich also 1,61 Milliarden Euro. Eine interne Berechnung der Bundesregierung geht jedoch von einer möglichen Belastung aus, die mehr als doppelt so hoch ist. In dem Papier von Juni 2015 soll unter der Rubrik "Kosten des Instruments für Stromkunden bzw. Steuerzahler" neben besagten 230 Millionen Euro jährlich eine "einmalige und zusätzliche" Leistung von ein bis zwei Milliarden Euro aufgeführt sein.
Wieviel Gas können denn die Kohlekraftwerke ersetzen?
Eher wenig. Die Hoffnung, dass das Problem damit gelöst wird, ist nicht gegeben. Im Grunde ist es so: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat ja mit dem Alarmplan Gas die Losung ausgegeben, alles zu sparen, was irgendwie geht. Wir sollen unsere Duschköpfe ändern, wir sollen unser Heizverhalten überdenken. Im Moment verfeuern wir quasi pures Geld, wenn wir aus teurem Erdgas Strom erzeugen.
Im deutschen Strommix werden ungefähr zehn Prozent aus Erdgas bezogen, der Rest aus Atom- beziehungsweise Solar-, Wasser- und Windkraft sowie Braun- und Steinkohle. Diese zehn Prozent kann man nicht komplett durch Kohle ersetzen, nur ein Stück weit. Aber im großen Maßstab ist das jetzt nicht so wahnsinnig viel. Die Hauptmengen an Gas gehen eigentlich in die Heizung der Privathaushalte, also in unser aller Wohnungen, und in die Industrie. In die Chemie-, Stahl- und Glasindustrie, wo viel Gas gebraucht wird, um dort die Prozesse in Gang zu halten.
Wie ist diese Rolle rückwärts in der Region angekommen?
Ambivalent. Man könnte natürlich sagen: Ja, an der Kohleregion Lausitz hängen ja immer noch viele Arbeitsplätze. Die Leag hat allein 7.000 festangestellte Beschäftigte, dazu noch ungefähr genauso viele indirekte Arbeitsplätze. Man könnte denken, die Leag würde jetzt aufatmen, weil der Kohleausstieg möglicherweise dadurch noch mal verzögert wird. Das ist aber ganz anders - auch hier ist der Fachkräftemangel angekommen.
Die Leag ist gerade dabei, sich zu einem sogenannten grünen Konzern zu wandeln, also auf alternative Energieträger wie Wind- und Solarkraft umzusatteln. Auch Gas und Wasserstoff sind im Gespräch. Der Standort Jänschwalde soll zu einem wasserstoffbasierten Kraftwerk umgerüstet werden. Und da geht es im Moment um Arbeitsplätze. Aktuell braucht man 200 Menschen, um diese beiden Blöcke wieder hochzufahren. Nur 100 konnte die Leag bisher wieder akquirieren. 100 Arbeitskräfte werden aktuell noch gesucht.
Was bedeutet dieser Schritt jetzt für den gesamten Strukturwandel-Prozess?
Es verschärft den Kampf um Arbeitsplätze - um es mal pathetisch zu sagen. Es gibt ja mittlerweile Großprojekte wie das Bahnwerk in Cottbus, das ist seit dem Frühjahr im Bau, dort sollen 1.200 Arbeitsplätze entstehen. Wir haben den "Lausitz Science Park", das ist ein Wissenschaftsgebilde, das sich ein wenig am Berliner Wissenschaftspark Adlershof orientieren soll. Dort sollen sich verschiedene Institute ansiedeln und bis zu 10.000 Arbeitsplätze entstehen.
Auch die Leag hat nicht vor, auf Null zu schrumpfen. Sie will ein großer Player bleiben. Im Moment gibt es einen heftigen Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze. Die aktuelle Entwicklung ist sicher für die Versorgungssicherheit wichtig. Aber es gibt natürlich auch die Befürchtung, dass damit der Strukturwandel ein wenig gehemmt wird - wenn man sich um Arbeitskräfte balgt und der Prozess an sich dadurch vielleicht etwas verzögert wird.
Lässt sich das Ziel, 2030 aus der Kohle auszusteigen, überhaupt noch halten?
Im aktuellen Gesetzentwurf steht, dass daran nicht gerüttelt wird - idealerweise. Aber hinter den Kulissen hört man alles. Wir leben in Zeiten, in denen quasi nichts sicher ist. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach mal von einer Zeitenwende. Man muss also abwarten, auch bis der nächste Winter vorbei ist. Ich würde nicht unterschreiben, dass der Kohleausstieg 2030 wirklich postuliert ist.

Die wichtigsten Punkte in Kürze:
Personal: Aktuell befinden sich zwei Blöcke des Kraftwerks in einer sogenannten Sicherheitsbereitschaft, also für einen Einsatz im Notfall. Eigentlich sollten die beiden Blöcke demnächst stillgelegt werden. Für den Kraftwerksbetrieb braucht es 200 zusätzliche Mitarbeiter:innen. Aktuell werden noch 100 Leute gesucht. Darunter unter anderem Maschinisten und E- oder Leittechniker.
Instandhaltung: Das Wiederhochfahren der Blöcke aus dem Ruhebetrieb darf nicht länger als zehn Tage dauern. Allerdings gilt diese Vorgabe für punktuelle Hilfen. Sind die Blöcke wieder in Betrieb, braucht es eine Instandhaltung und der Aufwand dafür wird gerade noch berechnet.
Technik: Die Blöcke sind genehmigungstechnisch nicht mehr auf dem vorgeschriebenen Stand. Dürfen sie also trotzdem wieder ans Netz gehen? Und unter welchen Bedingungen? Der Betreiber Leag erklärt nämlich: Eine technische Nachrüstung wäre so schnell gar nicht umsetzbar.
Kühlwasser: Die Grüne Liga befürchtet, dass die notwendige Kühlung der Kraftwerksblöcke in Volllast mit Spreewasser die angespannte Wassersituation in der Region weiter verschärfen werde. Dazu sagt die Leag: Das Kraftwerk Jänschwalde werde vornehmlich mit Wasser aus dem Tagebau Jänschwalde gekühlt, es werde kein Wasser aus der Spree entnommen, die Trinkwasserversorgung in Berlin und Frankfurt (Oder) sei nicht in Gefahr.