Fachkräftenachwuchs in Südbrandenburg - Immer mehr Lausitzer Handwerker setzen auch auf lernschwache Schüler

Sa 15.04.23 | 08:03 Uhr | Von Aline Anders-Lepsch
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Azubi Leon Alexander Köppen in einem Betrieb in Cottbus (Foto: rbb/Screenshot)
Video: Brandenburg aktuell | 14.04.2023 | Aline Lepsch | Bild: rbb/Screenshot

Eine Ausbildung ist für Jugendliche mit einer Lernschwäche nicht selbstverständlich. Bewerbungen von Förderschülern landen oft direkt auf dem Ablehnungsstapel. Doch in der Lausitz hat sich das geändert. Von Aline Anders-Lepsch

Ganz souverän schiebt Leon Alexander Köppen ein Blech nach dem anderen in die Presse. Seit acht Monaten lernt er im Metallbaubetrieb von Daniel Weiser in Kolkwitz (Spree-Neiße). Innerhalb von dreieinhalb Jahren wird er zum Fachpraktiker ausgebildet. Es ist im Grunde eine Metallbauerausbildung - aber mit einem geringeren Theorieanteil, denn der 20-Jährige ist Autist.

"Es wird mehr Rücksicht auf mich genommen, weil man weiß, dass ich eine Lernschwäche habe", so Leon Alexander Köppen. Schleifen und Abkanten mache ihm am meisten Spaß, sagt er.

Azubi Leon Alexander Köppen im Betrieb (Foto: rbb/Screenshot)
Leon Alexander Köppen | Bild: rbb/Screenshot

Vor der Einstellung: Bedenken

Dass der 20-Jährige einen Ausbildungsplatz findet, war für ihn ganz klar, wie er sagt. Doch die Realität sieht für Jugendliche mit Lernschwäche oder einer Behinderung anders aus. Auch die erste Reaktion von Daniel Weiser sei gewesen "Nein, brauchen wir nicht", sagt der Firmenchef. "Meine Bedenken waren die Betreuung. Wie intensiv ist die Betreuung für den Leon, wie sehr muss ich den Meister dafür abstellen: zwei, drei Stunden am Tag?"

Daniel Weiser gehe es wie vielen anderen in der Branche, sagt Christian Jakobitz. Als Inklusionsberater der Handwerkskammer Cottbus begleitet er im Süden Brandenburgs sowohl die Jugendlichen als auch die Betriebe. "Ich denke, dass die Berufsorientierung und die Offenheit der Unternehmer ganz stark gefragt sind."

Es sei in Zeiten des Fachkräftemangels wichtig, dass bei Bewerbungen nicht pauschal ausgeschlossen werde, sondern Chancen eingeräumt würden, sagt Jakobitz. Unternehmen sollten sich beraten lassen, wie eine Ausbildung möglich wäre. "Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass wir durch das Thema Inklusion viele Fachkräfte gewonnen haben."

HWK-Cottbus-Inklusionsberater Christian Jakobitz im Gespräch (Foto: rbb/Screenshot)
Inklusionsberater Christian Jakobitz | Bild: rbb/Screenshot

Um sich kennenzulernen und auszuprobieren, kann ein Praktikum ein Eisbrecher sein. Auch Leon Alexander Köppen ist auf diesen Weg zu dem Lausitzer Metallbauunternehmen gekommen. "Er hat genau zu uns gepasst, weil er einfach ein cooler Typ ist, und da war das andere einfach nebensächlich", sagt Firmenchef Daniel Weiser.

Er hat die Stärken des 20-Jährigen entdeckt und sie für den Betrieb genutzt. So sei er für Serienfertigungen genau der Richtige. "Und wenn es 1.000 Stück sind - der würde das immer ordentlich machen", so Weiser. "Die Produkte kommen eins wie das andere heraus - und das ist natürlich ein Vorteil."

Betriebe werden immer offener

Die Investition an Zeit und Muße lohne sich für die Betriebe, sagt der Inklusionsbeauftragte Christian Jakobitz. Auch nach der Ausbildung werden die Unternehmen unterstützt. Je nach Grad der Lernschwäche oder Behinderung fördert das Amt für Soziales auch die Stelle oder die Arbeitsplatzausstattung.

Er beobachte, dass die Offenheit der Betriebe "stark zugenommen" habe, sagt Jakobitz. "Ich habe meine Stelle im Jahr 2014 mit drei Jugendlichen mit Behinderungen oder Schwerbehinderungen in den Betrieben angefangen. Jetzt kommen pro Jahr 30 Azubis dazu." Insgesamt gebe es im Zuständigkeitsbereich der Handwerkskammer Cottbus aktuell mehr als 90 Azubis in den Betrieben. "Das sind nur die, von denen wir es wissen. Ich denke, es gibt ganz viele Jugendliche, die den Weg selbst gefunden haben."

Im Metallbaubetrieb von Daniel Weiser gibt es neben Leon Alexander Köppen noch einen zweiten jungen Mann mit Inklusionshintergrund, der zurzeit eine Ausbildung macht. Er wird laut Firmenchef im nächsten Jahr übernommen. "Und beim Leon bin ich auch sehr positiv überrascht. Es läuft sehr gut - und ich würde es auch wieder tun."

Sendung: Antenne Brandenburg, 14.04.2023, 14:40 Uhr

Beitrag von Aline Anders-Lepsch

20 Kommentare

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  1. 20.

    Es hat mit dem Schulsystem zu tun! Es gibt z.B. einfach keinen gleichwertigen handwerklichen praktischen Unterricht, siehe Waldorfschule!. Dieser würde auch anders lernende Kinder fördern oder neue/ andere Fähigkeiten wecken. Dann vielleicht erstmal einen Lehrberuf und später wenn’s noch sein muss studieren.

  2. 19.

    "Er hat genau zu uns gepasst, weil er einfach ein cooler Typ ist, und da war das andere einfach nebensächlich"
    Diese Einstellung wünsche ich mir öfter. Nicht die Behinderung oder andere Äußerlichkeiten sollten entscheiden.
    Daher wünsche ich mir mehr Inklusion. Die meisten Menschen ohne Behinderung wissen gar nicht, was sie verpassen, weil ihre Angst vor der Behinderung die Kontaktaufnahme unmöglich macht.
    Ich hatte das Glück, einen Großcousin mit Behinderung zu haben, der erste Chef meines Mannes hatte ein Kind mit Behinderung in der Gruppe seiner Tagesmutter. Ohne diese Erfahrungen hätte ich meinen Mann aufgrund meiner Berührungsängste nicht kennengelernt und der damalige Chef hätte meinen Mann vielleicht nicht eingestellt.
    Wenn manche Leute mitbekommen, dass ich nicht die Betreuerin meines Mannes bin, sondern die Ehefrau, staunen sie, wenn wir dann noch erzählen, dass mein Mann Programmierer ist, kommen sie aus dem Staunen gar nicht mehr raus.

  3. 18.

    Normalerweise fangen Förderschüler i.d.r. keine Ausbildung an, sondern gegen in Werkstätten für behinderte Menschen.

    Ich bilde in meiner Praxis auch Azubis mit Lernschwäche aus, jedoch keine reinen Förderschüler.

    Auch Schüler mit MSA können Lernschwächen haben.

  4. 17.

    Früher wären dies jungen Leute als ganz normale Handwerker ausgebildet worden. Aber auch im Handwerk galt und gilt zumeist,je besser der Schulabschluss,desto ehr eine Zusage zum Job.Das aber unter den Abiturienten die größten Handwerksdeppen mit linken Händen zu hauf vorkommen,die auch kein Interesse an schmutzigen Händen haben,wird meist zu spät bemerkt.

  5. 16.

    Es wurde auch Zeit das die Betriebe von ihrem hohen Ross runter kommen und es wieder so wie früher wird.Im Handwerk galten Mal zwei rechte Hände mehr als ein Schulabschluss.Dann wurden auf einmal der Realschul und später sogar der Gymnasiale Abschluss gefordert.Nur heute will sich ja kaum noch jemand die Hände ohne große Zugeständnisse bei Geld,Arbeitszeit,etc schmutzig machen.Fuer nen Appel und Ei wie wir immer sagten,kommt heute keiner mehr arbeiten,auch nicht in der Lehre.

  6. 15.

    Erschreckend. Wie können so viele Kommentare nur am Thema vorbeigehen. Meinen Respekt an die Betriebe bzw. Unternehmen, welche sich für Menschen mit Lernschwäche etc. öffnen und diesen eine Chance geben.

  7. 14.

    Wenn es so wäre, warum werden dann ihrer Meinung nach "Abiturienten" bevorzugt? Sie widersprechen sich ja damit. "nachweisliche Tatsachen" Wo steht das?
    Übrigens in dem Artikel geht es um Schüler aus Förderschulen und nicht um welche mit normaler mittleren Reife.

  8. 12.

    Tja "Jollek", keine Klischees, sondern nachweisliche Tatsachen. Ich kenne eine Vielzahl von Abiturienten, die sprichwörtlich nicht mal nen Nagel in die Wand bekommen. Aber darum geht es in diesem Bericht nicht, will sagen, daß man mehr Schülern mit normalen Schulabschluss auch wenn die Noten schlechter sind, eine Chance geben sollte.
    Wenn für einen normalen handwerklichen Beruf Abiturienten bevorzugt werden, obwohl ein normaler Schulabschluss reichen würde, dann stimmt was nicht. Vielleicht sollte man jedem Bewerber durch ein Kurzpraktikum am Arbeitsplatz die Chance geben.

  9. 11.

    Das Thema lautet ganz anders. Es muss dem endlich ein Riegel vorgeschoben werden, dass sich arbeitsscheue Selbstverwirklicher und Dauerstudenten, Klimakleber, Last Generation und Extinktion Rebellion Fanatiker auf Kosten der Allgemeinheit aushalten lassen. Ich habe noch nie mitbekommen, dass dort Menschen mitmachen, die produzierende Berufe, einschließlich Pflege, erlernen oder praktizieren.
    Keiner von denen will Busfahrer oder Zugführer werden, nicht gut genug Schichtdienst und Feiertage, fordern aber den Ausbau. Wollen billig wohnen aber keiner wird Bauarbeiter oder Handwerker. Dieser Lebenslüge muss man endlich etwas entgegensetzen. Auch Finanziell, auch steuerlich etwa. Bevorzugt Kitaplätze und Wohnungen gerade wegen der Arbeitszeiten.
    Etliche Berufsausbildungen werden jetzt als Studium verkauft.

  10. 10.

    Für die Einstellung von Menschen mit Besonderheiten wie Autismus oder anderen Einschränkungen bekommen die Betriebe finanzielle Unterstützung, was durchaus gut und richtig ist. M.E. hat man sich nun einfach die Not zur Tugend gemacht, indem man besonderen Menschen beschäftigt. Es bleibt zu hoffen, dass sie auch nach dem Auslaufen der Förderung weiter beschäftigt werden. Es gilt eher Kompetenzen zu erkennen und auszubauen als Noten zu bewerten.

  11. 9.

    Chapeau!
    Auf "Mann mit Inklusionshintergrund" muss man erst mal kommen.
    Für diese hervorragende Wortschöpfung bekommt man im rbb-Journalisten-Ranking bestimmt maximale Rang-Punkte.

  12. 8.

    Lernschwächeren Chancen zu geben ist eine Selbstverständlichkeit und nicht geeignet für positive Darstellungszwecke von Mängeln in der Bildung mangels Alternativen.
    Professionelle Personaler wissen was sie tun und gehen mit den Noten und anderem entsprechend um (um die Perlen herauszufischen).

  13. 7.

    Lernschwächeren Chancen zu geben ist eine Selbstverständlichkeit und nicht geeignet für positive Darstellungszwecke von Mängeln in der Bildung mangels Alternativen.
    Professionelle Personaler wissen was sie tun und gehen mit den Noten und anderem entsprechend um (um die Perlen herauszufischen).

  14. 6.

    "In den meisten Fällen ist es so, dass Menschen mit schlechten Schulnoten in handwerklichen Bereichen deutlich besser sind als schulische Überflieger. Die meisten Abiturienten haben oft 2 linke Hände, wenn es um praktische Arbeit geht."

    Erster Beitrag und gleich alle Klischees bedient.

  15. 5.

    Im Artikel geht es nicht um schlechte Schulnoten, sondern um Jugendliche mit Lernschwäche bzw. Behinderung.
    Da muss man m.E. schon unterscheiden.

  16. 4.

    Keine Frage, die schulische Bildung muss verbessert werden. Dennoch wird es immer Menschen geben, die durch alle Raster fallen und eben nur bis zu einem gewissen Grad in der Schule gebildet werden können. Deshalb finde ich es sehr gut, wenn man endlich aufhört, junge Menschen allein nach ihrem Notendurchschnitt zu bewerten, und sie statt dessen ihren Fähigkeiten entsprechend einsetzt. Ich kann mich noch gut an meinen UTP-Unterricht erinnern. Da fielen oft gerade die durch guten Leistungen auf, die ansonsten in der Schule nicht gerade als besonders helle galten. Und es ist auch sehr schön zu sehen, wie jemand aufblüht, wenn er mal für seine Leistung gelobt wird und so ein Erfolgserlebnis hat. Das stärkt das Selbstwertgefühl und holt so manchen auch letztlich von der Straße.

  17. 3.

    Na endlich kann man da nur sagen...

  18. 2.

    „doch in der Lausitz hat sich das geändert
    Notgedrungen. Und nicht weil man „weit vorne“ ist! “ - klingt nicht gut und eher dreist, Mangel so darzustellen als wenn Mangel was Gutes wäre.
    Aufgabe der Bildungsveranstaltungen ist es, endlich die letzten Bildungsplätze zu verlassen und dafür zu sorgen, dass Brandenburger Abschlüsse begehrt sind statt abgewertet werden, bei Bewerbungen, was für Benachteiligung aller Brandenburger (besonders der Guten) sorgt. Die Absolventen können dafür nichts. Die Bildungsveranstaltungen in Brandenburg aber eine ganze Menge.

  19. 1.

    Es ist gut, daß Arbeitgeber endlich kapieren nicht nach Schulnoten zukünftige Arbeitnehmer einzustellen. In den meisten Fällen ist es so, dass Menschen mit schlechten Schulnoten in handwerklichen Bereichen deutlich besser sind als schulische Überflieger. Die meisten Abiturienten haben oft 2 linke Hände, wenn es um praktische Arbeit geht. Deshalb sollte man gerade in handwerklichen Berufen bei der Einstellung nicht nach Schulnoten gehen, sondern nach praktischer Qualifikation.

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