Interview | MOL-Landrat Gernot Schmidt - "Große Zuwächse wird es bei der Windenergie nicht mehr geben"

Mo 16.12.19 | 16:57 Uhr
Audio: Antenne Brandenburg | 20.11.2019

Ausbau von Bahnverbindungen, Handyempfang, erneuerbaren Energien: Auf die ostbrandenburgischen Landkreise kommt einiges zu. Gernot Schmidt, Landrat in Märkisch-Oderland, wirft einen Blick in die Zukunft und lässt 2019 Revue passieren.

rbb: Herr Schmidt, der Kenia-Koalitionsvertrag ist beschlossen. Wo sehen Sie das größte Konfliktpotenzial mit der kommunalen Ebene?

Gernot Schmidt: Wir haben in Teilen der Landesregierung eine klare Ideologisierung der Politik. Im Umwelt- und Landwirtschaftsressort, das mit rund einer Milliarde an EU-Fördergeldern nicht unsolide ausgestattet ist, gibt es eine neue Führerschaft. Zum Beispiel auf den Politikfeldern ländliche Räume, Landnutzung und Landwirtschaft werden wir debattieren müssen. Macht man Politik mit den Landnutzern oder gegen die Landnutzer? Macht man Politik nach wissenschaftlicher Expertise oder nach ideologischen Ansätzen?

Für mich ist noch ein zweiter Punkt sehr wichtig: Wie weiter mit der Infrastruktur, dem Ausbau der ÖPNV-Schienenverbindungen? Auch für die Ansiedlung von Wirtschaft und die Pendlerströme wird diese Infrastruktur immer zentraler. Da können wir uns den Schlendrian der letzten fünf Jahre einfach nicht mehr leisten.

Die neue Landesregierung hat beschlossen Schulden aufzunehmen: eine Milliarde für den Zukunftsinvestitionsfond. Sie als Kommune sind angehalten, keine Schulden zu machen. Wie sehen Sie das?

Schulden und Investitionen sind zwei unterschiedliche Dinge. Wenn man Geld nicht in Straßenanliegerbeiträgen und Rückzahlung von Altanschließeranträgen verbrennt, sondern für Bildung, Innovation und Ansiedlung ausgibt, dann ist das eine gute Sache, weil so auch was zurückkommt. Aber diese Diskussion um Verteilung zugunsten von Minderheiten und auf Kosten von Mehrheiten muss endlich ein Ende finden, denn so bleibt unser Land nicht zukunftsfähig.

Welche Minderheiten meinen Sie?

Wir haben in vielen Bereichen eine klare Stärkung von Grundstückseigentümern und Einzelinteressen. Die Politik knickt ein auf Kosten der Mehrheiten. Ob bei Elektromobilität, Straßenanliegerbeiträgen oder anderen Dingen – es gibt immer Mehrheiten, die die Geschenke für Minderheiten finanzieren müssen.

Im BrandenburgTrend wurde die Akzeptanz der Windkraft abgefragt: Nur 48 Prozent finden, dass die Aufstellung höherer und leistungsfähigere Windräder in die richtige Richtung geht. 47 Prozent sind dagegen. Wie bewerten Sie das Thema?

Mit dem jetzt vorliegenden Koalitionsvertrag hat sich Windkraft über die Regionalpläne hinaus in Brandenburg erledigt. Die Windenergie hat sich beim jetzigen Bestand stabilisiert. Große Zuwächse wird es nicht mehr geben. Das ist eigentlich mehr ein Medienhype.

Am Breitbandausbau ist Märkisch Oderland schon beteiligt. Glauben Sie auch an 5G Handyempfang im ländlichen Raum?

Ich glaube daran. Aber vor uns liegen die Mühen der Ebene. Wir wollen alle 5G, aber nicht den Funkmast vor der Haustür. Wir müssen diesen Prozess moderieren und uns um eine Verbindung zwischen dem eigenen Wollen und einer gesellschaftlichen Akzeptanz einer Technologie, die unsere Region vorwärts bringt.

Gab es in 2019 ein privates oder berufliches Ereignis, das Sie besonders bewegt hat?

Dieses Jahr war eine Zäsur. Die Landtagswahl war ein sehr wichtiges Ereignis. Ich glaube, dass sich die Situation - in einer medial sehr aufgeheizten Stimmung – anders darstellt, als viele gedacht haben.

Mich hat sehr verwundert in den zurückliegenden Jahren – und ich bin schon 30 Jahre in der Region tätig – dass bestimmte Anstandsregeln der Empathie, des Zuhörens, des Mithörens und des Beurteilens von Vorgängen verloren gegangen sind in einer Zeit des enormen wirtschaftlichen Wohlstandes. Wir hatten auch mal Zeiten, in denen waren 30 Prozent der Bevölkerung arbeitslos.

Es ist ein Problem, dass wir in Brandenburg eine Partei bekommen haben, die sozusagen ihre Meinung zur einzigen Wahrheit erklärt. Das ist eigentlich der tiefere Sinn dieser Partei. Man muss offen drüber reden, dass eine Partei, die für sich die Wahrheit pachtet und nicht die Vielfalt der Diskurse und der Demokratie zulässt, ein Volk und ein Land in die Sackgasse führt.

Diese Partei hat in 2019 bei den Kreistagswahlen in Märkisch Oderland die meisten Stimmen bekommen.

So ist das Leben. Es kann anders werden. Wir werden uns in Sachfragen sachlich auseinandersetzen. Die Zusammenarbeit ist ja auch in vielen Sachfragen sachlich. Aber Demokratie ist so, dass man Wahlen und Stimmen akzeptieren muss. Es gibt ja auch andere Mehrheiten im Kreistag.

Ich werde diese Partei per se in Sachfragen auch nicht verunglimpfen. Aber wenn ihre ideologischen Ausflüge ansetzen, werde ich eine klare Linie ziehen und ich werde bestimmte Dinge nicht tolerieren.

Welches Ereignis in 2020 hat für Sie besondere Bedeutung?

75 Jahre Kriegsende hat für mich ganz zentrale Bedeutung. Wir werden eine große Veranstaltung in Seelow durchführen. Bedingt durch die Schlacht um die Seelower Höhen und durch die Ostgrenze Deutschlands haben wir da eine besondere Rolle. Auch durch unsere Geschichte haben wir als Brandenburger eine besondere Beziehung zu den Völkern der ehemaligen Sowjetunion. Das ist alles eine besondere Brisanz.

Wir werden zu diesem Ereignis die Leningrader Symphonie auf den Seelower Höhen aufführen. Ich glaube, dieses Musikstück steht auch für die Würde der Seite, die den Krieg mit Lasten und Opfern gewonnen hat. Das wird in der deutschen Außenpolitik Richtung Osten und Putin sehr oft vergessen und ich werfe sogar einigen Leuten vor, dass ihnen die Empathie und das Gefühl für die Menschen im Osten fehlt.

Das Gespräch führte Andreas Oppermann

Sendung: Antenne Brandenburg, 20.11.2019, 16:40 Uhr

 

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