Wegen Coronapandemie - Polnische Schüler protestieren für Unterricht zu Hause

Do 15.10.20 | 14:42 Uhr | Von Jan Pallokat
Symbolbild: Mundschutzmaske hängt an Schütertisch. (Quelle: dpa/Weber)
Audio: Antenne Brandenburg | 15.10.2020 | Jan Pallokat | Bild: Eibner-Pressefoto

Steigende Fallzahlen und ungenügende Hygienekonzepte sorgen an polnischen Schulen für Unmut. Um ihre Familien zu schützen fordern deshalb tausende Schüler den Heimunterricht. Die zuständigen Behörden lehnen dies allerdings bisher wegen schlechter Erfahrungen ab. Von Jan Pallokat

Polen ist aktuell das einzige der Deutschen Nachbarländer, dass bisher vom Auswärtigen Amt in Berlin noch nicht ganz oder nur teilweise als Risikogebiet eingestuft wurde. Doch auch dort steigen die Zahlen der Corona-Infizierten drastisch an. Innerhalb eines Tages stiegen die Todesfälle um 116 auf 3.217, und damit auf einen neuen Höchstwert seit Ausbruch der Pandemie. Und auch bei den Neuinfektionen verzeichnete Polen, bei nur der Hälfte der Einwohner im Vergleich zu Deutschland, mit 8.000 einen neuen Rekord. Jetzt machen die Schüler mit einer Online-Petition mobil und fordern freiwillig den Schulunterricht nach Hause zu verlegen.

Bisher 3.000 Unterschriften auf Petition

Angesichts von 4,5 Millionen Schülern in ganz Polen ist es eine kleine Protestaktion. Bisher haben gerade einmal etwa 3.000 Personen die Petition unterzeichnet, die im Hinblick auf steigende Corona-Zahlen abermalige Schulschließungen fordert. Und doch engagieren sich Schüler in ganz Polen unter dem Hashtag "#protestuczniow" [Twitter] (deutsch: Schülerprotest für Fernunterricht) und rufen sogar dazu auf, dem Unterricht in den Gebäuden fernzubleiben oder zumindest als Symbol schwarzgekleidet zu erscheinen.

"Wenn mein Opa sich ansteckt, wird er sterben"

Die Petition angestoßen hat die Gymnasiastin Alicia aus der Kreisfreien Stadt Bielsko-Biała in der Woiwodschaft Schlesien. "Ich kam nach dem Auftritt unseres Premierministers auf die Idee, weil er nichts zu der Situation an unseren Schulen gesagt hat. Denn ich weiß, wie viele Schüler mit ihren Großeltern zusammenleben. Die Älteren sind nicht so stark, wie wir Jungen." Die Klassenräume seien eng und Distanz halten unmöglich. Oft gebe es keine Desinfektionsmittel. "Ich habe selbst einen kranken Opa", sagt Alicia. "Wenn er sich bei mir ansteckt, wird er sterben. Die Mehrheit derjenigen, die protestieren sind sehr gute Schüler. Es geht uns nicht darum, dass wir nicht lernen wollten. Wir haben einfach Angst."

Nach den Erfahrungen mit dem Online-Unterricht in der ersten Jahreshälfte und den langen Sommerferien, sehnten sich viele Schüler und ihre Eltern nach Normalität. Die aber will sich nicht einstellen, denn in der Praxis ist es schwer, die Auflagen einzuhalten, die die Kontakte begrenzen sollen. Mancherorts sitzen Schüler den ganzen Tag im Klassenraum, ohne sich in der Pause außerhalb der Schule bewegen zu können. Frust und Aggression machten sich breit.

Lehrer fordern Tests und kleinere Klassen

Auch die Lehrer sind angespannt. Viele hätten selbst Angst nachdem zwei Pädagogen gestorben waren, die sich mit Corona infiziert hatten. In einem Brandbrief an die Behörden forderte der Lehrerverband deshalb unter anderem kostenlose Tests an den Schulen und kleinere Klassen. Dabei war Lehrermangel schon vor der Pandemie ein Problem.

Opposition kritisiert Situation in Schulen

Hinter die Proteste stellten sich Kommunen, wie die von der Opposition regierte Stadt Warschau. Vize-Bürgermeisterin Renata Kaznowska sagte dazu: "Die Situation ist unruhig. Wir haben aus den Schulen 1.565 Menschen in Quarantäne, 236 mit Corona-Infektion. Darunter sind 87 Lehrer, 129 Schüler und 20 Verwaltungskräfte. Hinzu kommen die Grippe-Saison und zahlreiche Krankschreibungen. Es wird immer schwieriger Studienpläne zu schreiben."

Durchwachsene Erfahrungen mit Fernunterricht

Der Verzicht auf vorbeugenden Online-Unterricht, wenigstens zum Teil, hat auch mit durchwachsenen Erfahrungen zu tun, wie sie nicht nur in Polen gemacht wurden. Schüler litten unter der Situation und schlechtere fielen weiter zurück.

Bildungsminister Dariusz Piontkowski sagte gegenüber Radio Danzig: "Die nicht nur polnische, sondern europäische und weltweite Erfahrung zeigt, dass Fernunterricht Nachteile und Einschränkungen mit sich bringt. Der direkte Kontakt zwischen Schüler und Lehrer ist unersetzlich. Und deshalb müssen wir landesweite Schulschließungen so lange wie möglich vermeiden."

Mehr Flexibilität in der Krise

Auch viele Schuldirektoren räumen ein, dass reiner Online-Unterricht keine gute Lösung ist. Sie verlangen aber mehr Flexibilität. Denn bisher muss, wer für seine Schule Online- oder Mischunterricht anordnen will, vorher eine behördliche Genehmigung einholen.

Selbst wenn ein konkreter Corona-Fall aufgetaucht ist, könnten die Schulleiter ohne grünes Licht vom Gesundheitsamt nicht einfach Klassen nach Hause schicken. Oft genug, wenn das Testergebnis erst am Abend eintrifft und die Not-Stundenpläne bereits geschrieben sind, sei es schwer überhaupt noch jemanden zu erreichen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 15.10.2020, 14:40 Uhr

Beitrag von Jan Pallokat

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