Eberswalde - Abschiebung kurz vor Weihnachten lief schief

Fr 21.01.22 | 17:00 Uhr
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Streifenwagen der Polizei bei einer Alarmfahrt mit Blaulicht. (Quelle: dpa/Jochen Tack)
Audio: Antenne Brandenburg | 21.01.2022 | Anna Bayer | Bild: dpa/Jochen Tack

Eine Familie aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien sollte zum Jahresende aus Eberswalde abgeschoben werden. Es kam zu dramatischen Szenen. Was steckt dahinter? Von Anna Bayer

Am Montagabend, vier Tage vor Weihnachten halten mehrere Polizeiwagen vor einem Haus im Brandenburgischen Viertel in Eberswalde. Die Polizisten sind schwer bewaffnet. Sie sind hier, um eine tschetschenische Familie abzuschieben: Den Vater, die Mutter und die beiden Söhne, 16 und 20 Jahre alt.

Als die Mutter erfuhr, dass sie nach Russland gebracht werden sollte, griff die 53-Jährige zu einem Küchenmesser und ging auf die Beamten zu, wie die Polizei berichtet. Dann richtete sie das Messer gegen sich selbst und drohte damit, sich selbst zu verletzen. Ihr Mann sagt, seine Frau habe aus Verzweiflung gehandelt. "Als sie gekommen sind und uns gesagt haben, dass sie uns nach Russland abschieben, dann hat sie wohl entschieden, dass es keinen anderen Ausweg gibt", erklärt er.

Er selbst sei vor Aufregung zusammengebrochen. Doch da seine Frau das Messer in der Hand hielt, konnten Rettungssanitäter ihm nicht sofort helfen. Spezialeinheiten der Polizei hätten die beiden beruhigt und dann überwältigt, so ein Polizeisprecher. Ob die Abschiebung wegen des Schwächeanfalls abgebrochen wurde oder deswegen, weil der 16-jährige Sohn der Familie zu dem Zeitpunkt nicht anwesend war, bleibt unklar.

Die "aussichtslose" Lage der Familie

Thomas Janoschka vom Bürgerinnenasyl Barnim kritisiert die Art und Weise, wie die Abschiebung durchgeführt wurde. "Sie müssen sich vorstellen, Sie sind in Ihrer Wohnung und dann kommen schwer bewaffnete Polizisten zu Ihnen in die Wohnung", sagt er. Das sei für alle Beteiligten extremer Stress, extrem unangenehm und löse große Ängste aus.

Ihre Lage sei nun aussichtslos, sagt der Familienvater: "Alle, die die Situation kennen, wissen, dass Probleme die ganze Familie betreffen. Es kann gut sein, dass alle Probleme bekommen würden." In Tschetschenien werde er verfolgt und in der brutalen Diktatur unter Ramsan Kadyrow gelte Sippenhaft.

Warum wurde der Familie dann kein Asyl gewährt? Die Ausländerbehörde Barnim und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geben dazu keine genauen Gründe an. Auf Anfrage des rbb teilt die Ausländerbehörde Barnim schriftlich mit, dass die vorgebrachten Flucht- und Verfolgungsgründe der Familie im Rahmen eines Asylverfahrens geprüft worden seien. Das hierfür zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe nach eingehender Prüfung den Asylantrag abgelehnt. Als die Familie dagegen klagt, bestätigt das Gericht die Entscheidung.

NGOs kritisieren Abschiebungen nach Russland

Thomas Janoschka begegnen Geschichten wie diese bei Geflüchteten aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien immer wieder. Die Behörden konstruierten ihre eigene Realität, sagt er. "Sie sagen, man muss ja, wenn man Tschetschene ist, nicht in Tschetschenien leben, man kann ja innerhalb von Russland einen anderen Ort suchen und dahin fliehen." Das sei aber nur ein theoretisches Konstrukt, denn die Möglichkeit der tschetschenischen Diktatur, die Menschen auch überall in Russland ausfindig zu machen, sei groß. "Deswegen haben die Leute Angst, wenn sie da irgendwo in Russland sein müssen."

Peter Franck, Russlandexperte bei Amnesty, bestätigt die Beobachtung von Thomas Janoschka. Das BAMF und die Gerichte beriefen sich immer wieder auf die Möglichkeit, sich "inländische Fluchtalternativen" zu suchen. Doch in der Realität könne man nicht unerkannt in Russland leben. "In dem Moment, in dem man in Russland Sozialhilfe in Anspruch nehmen oder sein Kind für die Schule anmelden will, muss man sich bei den Behörden registrieren. Dazu ist man ohnehin verpflichtet. Und so können die tschetschenischen Behörden finden, wen sie suchen," sagt der Experte. Um von den Leuten des Machthabers Ramsan Kadyrow nicht aufgespürt zu werden, müssten die Betroffenen komplett abtauchen. Wer in Tschetschenien Kritik an den Regierenden übe, der werde hartnäckig verfolgt, im Extremfall lebensbedrohend, sagt Franck.

Gegen die Mutter wird ermittelt

Auch die vierköpfige Familie aus dem Barnim sollte zunächst nach Moskau abgeschoben werden, wie die Ausländerbehörde mitteilt. Insgesamt besteht wenig Hoffnung, dass sie bleiben darf, auch wenn die Abschiebung erst einmal gescheitert ist. Erschwerend kommt hinzu: Gegen die Frau wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung eingeleitet.

Sendung: Antenne Brandenburg, 21.01.2022, 16 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Wie kann es sein, dass die Abschiebung überraschend kommt? Nicht Aufenthaltsberechtigte, warum auch immer, bekommen klar gesagt, dass sie innerhalb einer Frist das Land zu verlassen haben. Kommen sie dem nicht nach, ist die Abschiebung jederzeit möglich. Das Versteichen lassen der Frist ist eine Straftat. Diese Menschen halten sich dann illegal im Land auf. In einem Rechtsstaat sollten geltende Gesetze angewendet werden.

  2. 1.

    Ja so wird Deutschland erpresst. Auch wenn ich Mitgefühl habe, darf nicht jeder da bleiben

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