Interview | Polnische Reparationsforderungen - "Das ist eindeutig Stimmungsmache vor der Wahl"

Sa 03.09.22 | 10:36 Uhr
Der deutsch-polnische Grenzübergang Stadtbrücke in Frankfurt (Oder). (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Audio: Antenne Brandenburg | 01.09.2022 | Verwaltungsdirektor Krzysztof Wojciechowski | Bild: dpa/Patrick Pleul

In Polen gibt es erneute Reprationsforderungen in Höhe von 1,3 Billiarden Euro. So will es Jarosław Kaczyński, der Chef der national-konservativen Regierungspartei PIS. Krzysztof Wojciechowski vom Collegium Polonicum erklärt im Interview, was dahinter steckt.

rbb|24: Herr Wojciechowski, was halten Sie von möglichen Reparationsforderungen von polnischer Seite?

Krzysztof Wojciechowski: Die Idee, dass man 80 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg mit Kriegsreparationen rausrückt, ist schlicht und einfach absurd. Wenn wir alle in Europa mit finanziellen, territorialen, juristischen, wirtschaftlichen Forderungen beginnen würden, würden wir in Teufelsküche geraten. Was wir brauchen, ist das Lösen von anstehenden, von zukünftigen Problemen im gegenseitigen Vertrauen und in einer harmonischen Atmosphäre.

Krzysztof Wojciechowski, Direktor des Collegium Polonicum Internationale Lehr- und Forschungseinrichtung der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
dpa/Patrick Pleul

Krzysztof Wojciechowski ist Verwaltungsdirektor des Collegium Polonicums, einer Gemeinschaftseinrichtung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und der Universität Poznan und gilt als Fachmann für die deutsch-polnischen Beziehungen.

Einer aktuellen Meinungsumfrage zufolge unterstützen 51 Prozent der Befragten in Polen die Forderung nach Reparationen, wie die Wochenzeitung "Wprost" berichtet [www.wprost.pl]. Wie kommt das?

Die Gesellschaft ist gespalten. Die Hälfte sagt nein zu Reparationen, dieser Gedanke ist passé, das ist dumm. Und die zweite Hälfte sagt: Ja, warum eigentlich nicht? Wissen Sie, gewisse Menschen lassen sich verführen von der Vision eines Geldregens aus Deutschland oder einer Aussage wie "Moralisch sind sie immer noch verpflichtet". Diese Menschen denken nicht so weit und lassen sich manipulieren. Die PIS (Regierungspartei in Polen, Anm. d. Red.) braucht jetzt Ablenkungsthemen: Der Alltag ist schwer geworden, es gibt viele Misserfolge in der Politik der Regierung, die Wahlen stehen an – also man muss die Wähler mit Ersatzthemen mobilisieren. Und das ist so ein Thema.

Welche Chance hat denn Polen auf Reparationszahlungen?

Das ist ein gutes, historisch bewährtes Rezept: Wenn man Kriegsentschädigungen anfordern und wirklich einholen will, muss man mit der Armee das Territorium besetzen, so eine halbe Millionen Menschen umbringen und dann wird gezahlt. Ich will hoffen, dass diese 1.000 Panzer, die PIS in Korea neulich gekauft hat, nicht dazu dienen werden (lacht ironisch). Aber im Ernst: Ich sehe null Chancen. Das wird nur dazu führen, dass sich auch in Deutschland die Stimmung radikalisiert und man sagt: Was sollen wir mit diesen Polen dort im Osten? Das sind doch Störenfriede, das sind verrückte Typen.

Was sollte die deutsche Seite Ihrer Meinung nach jetzt tun?

Ich bin ziemlich sicher, dass die deutsche politische Kultur, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat – und das ist eine Kultur der gewissen Demut, der Geduld, des Verständnisses – dass die sich durchsetzen wird und das man sozusagen diese Welle durchhalten wird. Eines Tages wird schon eine andere Regierung in Polen gewählt werden und die Sachen kommen dann in die gewohnten Bahnen. Nur eins muss man sagen: PIS - trotz dieser Verrücktheiten - stört das alltägliche deutsch-polnische Geschäft nicht. Die Wirtschaft läuft. Soziale Kontakte laufen auf Arbeitsebene, auch gewissen politische, kommunale und so weiter. Das ist eindeutig Stimmungsmache vor der Wahl.

Herr Wojciechowski, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch für rbb|24 führte Jakub Paczkowski.

Sendung: Antenne Brandenburg, 01.09.2022, 16:10 Uhr

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