Zahl der Organspender auf historischem Tiefstand - "Ein Verlust von tausend Lebensjahren"

So 18.02.18 | 17:00 Uhr | Von Maximilian Horn
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Symbolbild: Einsetzen einer neuen Niere bei einer Nierentransplantation in einer Klinik (Quelle: imago/Ute Grabowsky)
Video: Brandenburg aktuell | 18.02.2018 | Maximilian Horn | Bild: imago/Ute Grabowsky

Im vergangenen Jahr gab es deutschlandweit einen historischen Tiefstand bei Organspenden. Aus Brandenburg kamen 2017 gerade einmal 18 Spender. Experten sehen mangelhafte Krankenhausstrukturen als Hauptgrund. Von Maximilian Horn

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Simone Promies wartet auf eine Spenderniere - seit acht Jahren. Die Nieren der 41-jährigen Zollbeamtin aus Frankfurt (Oder) sind durch Zysten irreparabel beschädigt. Die einzige Heilungsmöglichkeit: eine Organtransplantation. Bis es soweit ist, ist Promies auf die Dialyse angewiesen.

Jede Nacht schließt sich Promies an einen sogenannten "Cycler" an. Das Gerät von der Größe eines Druckers unterstützt ihren Körper beim Reinigungsprozess. "Ohne dieses Gerät könnte ich nicht leben", sagt Simone Promies. Sie lebt - aber mit Einschränkungen. Abends kann Promies nicht ausgehen, weil sie an die Dialyse muss. Fluggesellschaften lehnen es ab, ihr Gerät zu transportieren, weshalb sie vor allem in Deutschland Urlaub macht.

Eine Organspende würde alles verändern: "Ich würde dann einfach wieder ein ganz normales Leben führen können", sagt Promies. Allerdings ist eine Lebendspende im Familienkreis riskant. Promies' Schwester wäre dazu bereit - aber was, wenn sie eines Tages ebenfalls Zystennieren bekommt? Die Alternative: die Niere eines Verstorbenen. Doch postmortale Spenderorgane sind rar.

Jeden dritten Tag stirbt ein Patient, der wartet

Weil in Deutschland nicht genügend Spenderorgane zur Verfügung stehen, warten viele Menschen vergeblich - und sterben. Rund an jedem dritten Tag ist im vergangenen Jahr ein Patient gestorben, weil es nicht rechtzeitig eine passende Niere, Leber, Lunge oder ein Herz gab. Während in Deutschland 10.000 Menschen auf ein Spenderorgan warten, sinkt die Zahl der postmortalen Organspender. 2017 lag sie deutschlandweit bei 797. Laut der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) ist das der niedrigste Stand seit 20 Jahren.

Im gesamten Bundesland Brandenburg gab es im Jahr 2017 lediglich 18 postmortale Organspender. Im Jahr zuvor waren es noch 35. Dr. med. Detlef Bösebeck, Geschäftsführender Arzt der Region Nord-Ost der DSO, sagt dazu: "Das ist ein Verlust von 1.000 Lebensjahren: Weil jeder Spender im Schnitt drei Organe spendet, die etwa 50 Jahre halten."

Gründe für die niedrigen Zahlen

Als Grund für niedrige Spenderzahlen wird vielfach die Bereitschaft der Patienten gesehen. In diesem Kontext wird auch oft der Spendenskandal von 2012 genannt, der viel Vertrauen gekostet haben soll. Laut DSO-Mann Bösebeck spielt der Skandal aber keine Rolle mehr: Die Spendenbereitschaft sei hoch, insbesondere in Ostdeutschland: "Wir erleben in Brandenburg, und auch in den anderen neuen Bundesländern, eine höhere Bereitschaft zur Organspende als in den alten Bundesländern. Weil das Verständnis der Mitbürger für Leid und Krankheit groß ist und der Gedanke der Organspende auch an die Solidarität appelliert", sagt Bösebeck.

Vielmehr seien mangelhafte Krankenhausstrukturen der Grund. Natürlich gebe es von Jahr zu Jahr Schwankungen bei den Organspenderzahlen in den einzelnen Krankenhäusern, das sei normal. Trotzdem müsse man fragen: "Sind die Krankenhäuser auf die Organspende unterschiedlich gut vorbereitet? Gibt es genügend Zeit für Gespräche mit den Angehörigen? Gibt es genügend fachlich qualifiziertes Personal, das in der Lage ist, sich auch noch um die Organspende zu kümmern neben der allgemeinen Patientenversorgung?"

Ein weiteres Problem sieht Bösebeck im sogenannten Bettendruck. Dabei gehe es weniger um finanzielle Aspekte als vielmehr um den Wegfall von Kapazitäten: "Wenn ein Organspender 48 Stunden lang die Intensivstation blockiert, und ich da in der Zwischenzeit drei operierte Hüften unterbringen könnte, dann ist natürlich der Druck vonseiten der operierenden Abteilung, die ja ein Intensivbett braucht, enorm", sagt Bösebeck. "Dann hat es natürlich der Leiter der Intensivstation schwer zu sagen: Na hier liegt aber ein Toter und wir brauchen noch ein bisschen Zeit, bis wir die Organentnahme gemacht haben."

"Gespräche am Lebensende sind ganz wichtig"

Eine Voraussetzung der Organspende ist der diagnostizierte Hirntod. Dieser kann infolge schwerer Hirnverletzungen eintreten, die in neurochirurgischen Zentren behandelt werden. Daher ist die Wahrscheinlichkeit für potenzielle Organspender hier am höchsten. In Brandenburg gibt es sieben Kliniken mit einer Neurochirurgie. Darunter sind auch das Carl-Thiem-Krankenhaus in Cottbus und das Klinikum Frankfurt (Oder). Beide konnten im vergangenen Jahr keinen einzigen Organspender realisieren.

Das Klinikum Frankfurt (Oder) will sich lediglich schriftlich äußern. Grund für die niedrigen Spenderzahlen sei die mangelnde Bereitschaft der Patienten zur Organspende. In Cottbus ist man gesprächiger: "Den sogenannten Bettendruck haben wir sicherlich hin und wieder auch", sagt Jens Soukup, Chefarzt und Transplantationsbeauftragter. Bei Entscheidungen ließe man sich aber weder durch Zeit noch durch Kosten beeinflussen. Soukup betont, seine Mitarbeiter seien ausreichend geschult und es gebe auch genügend Zeit für Gespräche: "Gerade auch wenn es um Gespräche am Lebensende geht. Das sind ganz, ganz wichtige Gespräche, unabhängig von Organspende oder nicht", sagt Soukup.

Patientenverfügungen als Hinderungsgrund

Soukup sieht einen anderen Grund für die gesunkenen Spenderzahlen: die Patientenverfügungen. "Sie nehmen zu einem überwiegenden Teil gar nicht Bezug auf eine Organspende", erklärt Soukup. "Und die Angehörigen wollen dann, gerade wenn Aussichtslosigkeit besteht, und genau die Dinge zutreffen, die auch der Patient verfügt hat, dass das auch umgesetzt wird. Und da ist es dann sehr schwierig, zumindest für uns, auch in den Gesprächen, diese in Richtung Organspende zu bringen."

Um das zu verstehen, muss man sich die typische Situation im Vorfeld einer Organspende vergegenwärtigen. Ein Beispiel: Nach einem Unfall mit Kopfverletzung kommt der Patient im Krankenhaus auf die Intensivstation. Er leidet unter einer schweren Hirnblutung, ist nicht ansprechbar. Die Prognose der Ärzte ist "infaust": Das bedeutet, dass der Patient aufgrund seiner Verletzungen keine nennenswerten Heilungschancen hat.

Lesen Sie weiter auf Seite 2:  Große Unterschiede bei Spenderzahlen der Kliniken

5 Kommentare

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  1. 5.

    Es kann nicht als "Verlust von ..." genannt werden, was nur der simplen, mathematischen Berechnung nach gewonnen sein könnte.

    Dazwischen stehen die unterschiedlichen ethischen Grundlagen von Menschen, die weit mehr mit diesem behaupteten Defizit zu tun haben als die gezielten finanziellen Machenschaften.

    Zwei Positionen:

    1. Die Ethik der Lebensrettung, fast um jeden Preis und um jede technisch entwickelte Möglichkeit.
    2. Die Ethik, dass ein noch lebender Organismus faktisch nicht ausgenommen werden darf wie eine Weihnachtsgans. Selbst bei einem toten nicht.

    Deshalb eben gibt es die ausdrückliche Zustimmungserklärung für den Fall, dass jemand - gewiss anerkennenswert - Position 1 zuneigt.

  2. 4.

    Krankenhäuser werden von immer mehr Menschen wegen der Krankenhauskeime gemieden.

  3. 3.

    Da muss man sich bei den Ärzten bedanken,
    die soviel betrogen haben, weil sie reich dabei werden wollten ohne Rücksicht auf die Menschen die dringend auf eine Spende warten.

  4. 2.

    Die Menschen, denen Organe entnommen werden sind nicht hirntot. Wenn Sie sich damit befassen würden, wüssten Sie das.
    Die Dialyse ist ja Wohl das kleiner Übel als Menschen zu ermorden.

  5. 1.

    Tja, das die Organspenden zurückgehen, liegt auch an den Skandalen der letzten Jahre. Eine Hoffnung ist aber z.B. die künstliche, implantierbare Niere der Universität von Kalifornien. Die wird kommen, die klinischen Tests laufen in 2018 an. https://pharm.ucsf.edu/kidney.

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