Interview | Holocaust-Gedenktag - "Seine Geschichte hat mich nicht mehr losgelassen"

Fr 27.01.23 | 07:11 Uhr | Von Sylvia Tiegs
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Portrait von Gustav-Herzberg. (Quelle: X. Trost/privat)
Bild: X. Trost/privat

Erst im Jahr 2017 erfährt die Berlinerin Xenia Trost, dass sie einen Großonkel hatte, der im KZ Ravensbrück 1942 umgekommen ist. Sie will wissen, was für ein Mann Gustav Herzberg war und beginnt eine intensive Recherche.

Das Holocaust-Gedenken ist dieses Jahr vor allem den tausenden Homosexuellen gewidmet, die in den Konzentrationslagern starben. Gustav Herzberg aus Berlin war einer von ihnen. Er kam 1942 im KZ Ravensbrück ums Leben. Sein Schicksal wäre nie bekannt geworden, hätte seine Großnichte nicht Jahrzehnte später nachgeforscht. Ein Interview mit Xenia Trost.

rbb|24: Frau Trost, Sie haben Ihren Großonkel selbst nicht mehr kennengelernt, aber Sie haben sich ein Bild von ihm machen können. Was für ein Mensch war er?

Xenia Trost: Ich glaube, dass er ein sehr sensibler Mensch war, sehr naturverbunden, und nachdem, was ich gehört habe, auch sehr humorvoll.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie vom Schicksal ihres Großonkels in all seiner Dramatik erfahren haben?

Zum ersten Mal davon erfahren habe ich 2017, auf der Beerdigungsfeier von meinem Vater. Danach saßen wir noch mit meinen beiden Tanten zusammen. Ich hatte im Schreibtisch meines Vaters zwei Fotoalben gefunden und mitgebracht. Als ich neben der einen Tante saß, hat sie plötzlich auf ein Porträt gezeigt von einem sehr jungen Mann, den ich überhaupt nicht kannte, und gesagt: "Er hier ist 1942 im KZ umgekommen."

Da war ich natürlich erstmal ganz sprachlos, weil ich davon noch nie was gehört hatte in der Familie. Also habe ich ein bisschen gebohrt – immer wieder, wenn ich mit meinen Tanten gesprochen habe. Eine der beiden konnte sich auch sehr gut an ihn erinnern – zum Beispiel an die Puppen, die er ihr als kleines Mädchen geschenkt hatte. Sie hat ihn sehr gemocht. Und so habe ich von meiner Familie nach und nach Teile seiner Lebensgeschichte erfahren.

Sie haben auch Archive konsultiert und richtig geforscht nach der Geschichte Ihres Großonkels.

Ja, das stimmt. Meine Schwester hatte dann relativ schnell die Idee, dass wir einen Stolperstein für ihn verlegen lassen. So ein Stolperstein kommt immer dorthin, wo der letzte Wohnort war. Und dadurch kam Gustavs Stein nach Berlin-Mitte. Wenn man so einen Stolperstein beantragt, dann gehört dazu, dass man die Biografie recherchiert.

Xenia Trost in ihrem Laden. Großnichte von Gustav Herzberg. (Quelle: rbb/S. Tiegs)
Xenia Trost ist die Großnichte von Gustav Herzberg. Die Berlinerin ist Jahrgang 1963 und betreibt in Berlin-Karlshorst einen Laden für selbstgemachte Seifen. | Bild: rbb/S. Tiegs

Wie ist aus Ihrem Großonkel ein KZ-Häftling geworden?

Ich habe die Karteikarten aus dem KZ Buchenwald bekommen, da ist das Verhaftungsdatum eingetragen. Er wurde 1941 in Berlin von der Kripo verhaftet. Als Grund steht auf der Karteikarte: "Verdacht, gegen Paragraf 175 verstoßen zu haben".

...das war dieser berüchtigte Paragraf, der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte…

Genau. Und der bloße Verdacht reichte offenbar aus, dass mein Großonkel eine dreimonatige Strafe im sogenannten Arbeitserziehungslager Wuhlheide bekam. Das war ein sehr berüchtigtes Lager auf dem Gelände des jetzigen Tierparks Friedrichsfelde. Arbeitserziehung bedeutete dort Zwangsarbeit für die Reichsbahn.

Er hat versucht, aus dem Lager zu fliehen, dabei hat er sich verletzt. Er kam ins Polizeikrankenhaus. Aus dem Bericht von dort geht hervor, dass er Prellungen hatte und nur noch 50 Kilo gewogen hat. Für die Monate nach dem Krankenhausaufenthalt haben wir keine Dokumente gefunden. Das Nächste, was dann wieder auftaucht, ist die Eingangskarte vom Konzentrationslager Buchenwald aus dem Februar 1942.

Zur Person

Gustav Herzberg

- 1907 im Südharz geboren, 1935 Umzug nach Berlin

- Wohnung in Mitte, arbeitete als Kellner, Hausmeister und Chauffeur

- 1941 Verhaftung wegen des Verdachts, gegen §175 verstoßen zu haben (sexuelle Handlungen zwischen Männern standen unter Strafandrohung)

- drei Monate Haft im Arbeitserziehungslager Wuhlheide, Fluchtversuch

- Deportation ins KZ Buchenwald im Frühjahr 1942

- Deportation ins KZ Ravensbrück, Tod am 26. Juni 1942

- Seine Familie bekommt seine Asche, lässt ihn im Harz beisetzen

- Stolperstein-Verlegung 2020 in der Kurstraße 32 in Berlin-Mitte, im Beisein zweier Tanten und seiner Großnichte Xenia Trost

Er wurde von Buchenwald noch einmal deportiert, ins Konzentrationslager Ravensbrück. Dort starb er auch. Weiß man, unter welchen Umständen?

Nein, das weiß man auch nicht. Ich habe die Sterbeurkunde leider nicht gefunden.

Ihr Großonkel war in den Konzentrationslagern offiziell als Homosexueller geführt. Was machte das mit Ihnen, als Ihnen klar wurde, dass er aufgrund seiner sexuellen Orientierung, der Art, wen er liebte, sterben musste?

Das hat mich nicht wieder losgelassen. Meine Tante hat gesagt: "Er hat immer zu seiner Homosexualität gestanden." Auch in seinem kleinen Heimatort im Harz hätten das immer alle gewusst. Das fand ich natürlich auch beeindruckend für jemanden in der damaligen Zeit. Dass er sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, aber dazu gestanden hat.

Warum ist es Ihnen wichtig, die Erinnerung an Ihren Großonkel Gustav lebendig zu halten?

Es beschäftigt mich einfach immer noch. Seine Fotos sind für mich immer noch total interessant und aussagekräftig. Und ich habe während meiner Recherche Kontakte gehabt zu verschiedenen Initiativen hier in Berlin, die sich um das Gedenken an die homosexuellen Opfer in den Konzentrationslagern kümmern.

Dieses Jahr wird es eine Ausstellung in der Gedenkstätte Ravensbrück geben, wo 13 Biografien homosexueller Häftlinge vorgestellt werden. Da wir von meinem Großonkel so viel Material haben, so viele Fotos, wird er auch im Zentrum dieser Ausstellung stehen. 30 Kunststudenten der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel haben sich bereiterklärt, Holzschnitte zu seiner Biografie zu erstellen. Das passiert alles in diesem Frühjahr, und die Ausstellung kommt im April.

 

 

Haben Sie das Gefühl, Ihrem Großonkel widerfährt dadurch vielleicht ein ganz kleines Stückchen Gerechtigkeit, nach so vielen Jahrzehnten?

Ja, ich glaube schon.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sylvia Tiegs für rbb|24.

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