Interview | Heart-of-Midlothian-Trainer Daniel Stendel - "In Schottland geht der erste Blick zu den Heimatklubs"

Do 28.05.20 | 10:59 Uhr
Daniel Stendel (Quelle: imago images / pmk)
Video: Mittagsmagazin | 10.02.2020 | 13 Uhr | Bild: imago images / pmk

Der Frankfurter Daniel Stendel trainiert den schottischen Erstligisten Heart of Midlothian FC. Nach dem Saisonabbruch sollen die Hearts absteigen. Im Interview spricht Stendel über sportliche Corona-Folgen, ein Abschieds-Bierchen mit Fans und seinen ganz persönlichen Song.

Heart of Midlothian FC - dieser Vereinsname sagt vermutlich vielen Fußballfans nichts. Dabei spielen die "Hearts" in der erstklassigen Scottish Premiership und messen sich regelmäßig mit den Stadtrivalen Celtic und den Rangers aus Glasgow.

Und auch ihr Trainer ist in der Region kein Unbekannter: Daniel Stendel kommt aus Frankfurt (Oder) und spielte in der Bundesliga und in der 2. Liga unter anderem für den Hamburger SV und Hannover 96. Nach zehn Jahren als Trainer bei den Niedersachsen kam er über eine Station beim englischen FC Barnsley nach Schottland.

Dort soll sein Verein als Tabellenletzter nach dem Liga-Abbruch nun absteigen. Über die Folgen der Corona-Krise, den besonderen Reiz des schottischen Fußballs und seinen Fans und seine Beziehung in die Heimat spricht der 46-Jährige im Interview.

rbb|24: Herr Stendel, die Saison in Schottland wurde abgebrochen. Wie sieht denn Ihr Alltag im Moment aus?

Daniel Stendel: Bei mir stehen viele Telefonate an. Ich bin seit gut zwei Monaten zurück in Deutschland. Ich tausche mich mit Kollegen in Schottland aus, über die Situation und was wir tun können. Aber im Großen und Ganzen gibt es gerade keine Großprojekte. Normalerweise würde jetzt die Planung der kommenden Saison anstehen. Das alles ist in Zeiten von Corona sehr schwierig, weil kein Mensch weiß, wann und wie es weitergeht. Und unter welchen Bedingungen.

Daniel Stendel im Duell mit Stefan Effenberg (Quelle: imago images / Rust)
Daniel Stendel, hier im Duell mit Stefan Effenberg, steig 2002 mit Hannover 96 in die Bundesliga auf. | Bild: imago images / Rust

Sie sind Trainer beim Heart of Midlothian FC. Sie steigen - Stand jetzt - mit den Hearts in die zweite Liga ab. Können Sie uns die Situation einmal aus Ihrer Sicht beschreiben?

Es hat sich über Wochen hingezogen, bis der schottische Verband eine Entscheidung getroffen hat, wie es mit der Liga weitergeht. Nun wurde entschieden, dass die Saison abgebrochen und Celtic Glasgow zum Meister erklärt wird. Und wir zum Absteiger. Was bei allen Schwierigkeiten, die im Moment bestehen, nicht wirklich fair und gerecht ist. Wir stehen auf dem letzten Platz, das stimmt. Aber es war klar, dass es bis zum letzten Spieltag einen Kampf um den Klassenerhalt geben würde. In Schottland geht die Saison über 38 Spieltage und da kann man nicht nach 30 Spieltagen einfach Schluss machen. Wir fühlen uns da schon etwas benachteiligt. Es ist ein komplizierter Prozess und wir werden schauen, was jetzt passiert.

Wurde seitens Ihres Vereins offiziell Einspruch eingelegt?

Ich denke, wir können das nicht einfach hinnehmen. Das würde niemand tun. Wir versuchen, im Konsens mit den anderen Klubs eine Lösung zu finden, die gerechter für alle ist.

Was passiert denn mit Ihnen im Falle eines Abstiegs?

Das ist auch eine dieser komplizierten Fragen. Weil es einerseits nicht klar ist, ob es in der ersten oder zweiten Liga weitergeht. Und, wenn es in die zweite Liga gehen sollte, wie der Klub dann aufgestellt ist. Wir können nur schwer abschätzen, wie die finanzielle Situation im schottischen Fußball insgesamt aussehen wird. Die Fernsehgelder sind nicht so hoch wie in Deutschland. Wenn kein Fußball gespielt wird und es keine Einnahmen gibt, wie sieht dann die Situation aus? Wie kann der Klub überleben? Das sind die Fragen, die geklärt werden müssen.

Sie haben im März freiwillig auf Ihr komplettes Gehalt verzichtet. Warum?

Der Heart of Midlothian FC ist auf Spieltagseinnahmen angewiesen - vor allem auf Ticketverkäufe. Von denen werden logischerweise auch Gehälter bezahlt. Und als feststand, dass wir in nächster Zeit nicht spielen können, mussten wir überlegen, wie wir den Klub und die Mitarbeiter über die schwere Zeit kriegen. Allein schon in meinem Trainerteam haben wir einige, die deutlich schmalere Verträge haben als ich. Bei ihnen spielen Kürzungen eine erheblich größere Rolle, als zumindest kurzfristig bei mir. Die Auswirkungen auf das normale Leben sind größer. Da bekommen Mitarbeiter möglicherweise ein Problem, ihre Miete zu bezahlen. Da wollte ich, dass die Menschen, die deutlich weniger verdienen als ich und trotzdem immer alles für den Klub geben, ohne finanzielle Einschränkungen leben können. Ich wollte sie dabei unterstützen.

Sie sind seit Dezember 2019 Trainer in Schottland. Was gefällt Ihnen am schottischen Fußball?

Klar, die schottische Liga zählt qualitativ nicht unbedingt zu den Topligen in Europa. Trotzdem hat sie ihren besonderen Reiz. Wir haben mit Celtic Glasgow und den Rangers zwei Topklubs, die auch international hohes Ansehen genießen. Die beiden spielen die Meisterschaft seit Jahren unter sich aus. Die restlichen Teams kennen außerhalb Schottlands wahrscheinlich kaum Menschen. Ich kannte Heart of Midlothian auch nur wegen ihres skurrilen Namens (lacht). Und trotzdem geht in Schottland der erste Blick nicht über die Grenze nach England zu den großen Klubs der Premier League, sondern tatsächlich zu den Heimatklubs hier. Das ist eine ganz besondere Anziehung, die da herrscht. Das Verhältnis zwischen Fans, Verein und dem Spiel selbst ist speziell und macht den Reiz aus.

Sie sind ein authentischer, sehr emotionaler Trainer. Passen Sie von Ihrer Art einfach auch gut auf die Insel?

Meine Art wird hier tatsächlich deutlich besser und positiver angenommen. Auch, weil die Menschen sich mehr mit den Trainern identifizieren. Und das Beste daran für mich ist: Ich muss mich nicht verändern (lacht).

War es schon immer Ihr Traum, mal ins Ausland zu gehen?

Ganz ehrlich: Nein (lacht wieder). Ich habe jahrelang als Jugendtrainer in Hannover gearbeitet und hatte eigentlich das große Ziel, weiter in Deutschland zu arbeiten. Das Ziel habe ich immer noch. Aber das erste größere Angebot, das interessant klang, kam eben aus England. Wobei ich sagen muss, dass mein Englisch nahezu "Zero" war (lacht). Ich hatte zwei Co-Trainer dabei, die gut Englisch sprachen, da war der Einstieg leichter. Und natürlich wurde auch mein Englisch mit der Zeit besser. Das war also nicht nur sportlich, sondern auch sprachlich eine Herausforderung. Aber mir hat das wirklich gut gefallen in Barnsley. Emotionalität spielt im Zusammenhang mit Fußball einfach eine große Rolle - und das passte.

Ich habe mir die Zeit vor dem Interview etwas versüßt und mir im Netz den "Daniel-Stendel-Song", den Fans der Hearts für Sie komponiert haben, angehört. "We’ve got a Diamond Daniel Stendel"…

(lacht) Der Song entstand nach einem Pokalsieg gegen die Glasgow Rangers. Ich hatte einen sehr schweren Start hier bei den Hearts und trotzdem würdigten die Fans unseren neuen Spielstil. Wir sind mutig aufgetreten. Wir haben nach vorne gespielt. Das hat die Menschen emotional mitgenommen und hoffen lassen, dass sich alles zum Positiven wendet. Und der Song war eines der Produkte aus diesem Sieg gegen die Rangers. Das ist natürlich schön.

In Barnsley, bei Ihrem Ex-Klub, waren Sie ebenfalls sehr beliebt. Nach Ihrer Entlassung sind Sie mit den Fans erstmal einen Trinken gegangen. Wie kam es dazu?

Die Fans haben mich eingeladen (lacht). Die wollten mich verabschieden. Und obwohl ich nur 20 Monate da war, hatten wir eine sehr enge Bindung. Die Enttäuschung und der Frust waren bei den Anhängern nach meiner Beurlaubung groß. Wir haben echt eine Menge erlebt in dieser Zeit. Und wann wird heute Mal ein Trainer freigestellt und alle, bis auf den Eigentümer, sind wütend über die Entscheidung. Dann habe ich zum Abschied mit dem einen oder anderen angestoßen. Es hielt sich aber alles im Rahmen. Auch wenn die Geschichten im Nachhinein natürlich viel größere Kreise gezogen haben.

Herr Stendel, Sie kommen gebürtig aus Frankfurt an der Oder. Wie eng ist Ihre Verbindung heutzutage in die Region?

Meine Eltern wohnen noch in Frankfurt. Die habe ich vor ein paar Tagen besucht. Das ist mein Hauptkontakt nach Frankfurt. Ab und zu rede ich aber auch mit ehemaligen Mitspielern, die noch in Frankfurt leben oder in den  Frankfurter Fußball involviert sind. Erst vor kurzem habe ich bei einer Spendenaktion des 1. FC Frankfurt mitgemacht - ein virtuelles Fußballspiel, bei dem ich in die Legenden-Elf berufen wurde. Obwohl ich eigentlich nur ein Jahr im Herrenbereich in Frankfurt gespielt habe (lacht). Bei solchen Aktionen merke ich aber schon die Verbundenheit zu den eigenen Wurzeln.

Können Sie Ihre Zeit als Jugendspieler beim 1. FC Frankfurt mal nachskizzieren…?

Ich habe gerade mit meinen Eltern darüber gesprochen. Als ich sie besucht habe, sind wir runter zum Stadion gelaufen - da hat sich natürlich einiges verändert. Ich habe mit sechs Jahren bei "Vorwärts Frankfurt (Oder)" angefangen. Ich war auf der Sportschule, wo ich alle Jahrgänge durchlaufen habe. Für alles, was ich fußballerisch kann, wurde die Grundlage in Frankfurt und bei den Trainern dort gelegt. Ich habe nach der Wende noch mein erstes Herrenjahr in Frankfurt verbracht, in der dritthöchsten Spielklasse, und wurde dann nach einem Spiel von einem Hamburger Scout angesprochen. Mein Traum war es immer, Fußballprofi zu werden - das war also meine Chance.

Dass Sie irgendwann wieder in Deutschland arbeiten wollen, dass haben Sie uns schon verraten. Jetzt bleibt nur die Frage: Bei welchem Verein denn am liebsten?

Tatsächlich habe ich immer gesagt, dass Traditionsvereine, bei denen es emotional zugeht und die eine besondere Verbindung zu den Fans haben, mich reizen. Wie St. Pauli, Dresden, Magdeburg – oder auch Union Berlin. Wer weiß.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Uri Zahavi, rbb Sport. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Version.

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