Eröffnung im Mikado - Ausstellung "Halbe Stadt-Ansichten" widmet sich Frankfurter Plattenbauten

Di 02.05.23 | 17:32 Uhr | Von Robert Schwaß
Die Stadt Frankfurt (Oder) am 09.02.2023 (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Audio: Antenne Brandenburg | 02.05.2023 | Robert Schwaß | Bild: dpa/Patrick Pleul

Die Ausstellung "HALBE STADTansichten" eröffnet am Dienstag in Frankfurt (Oder). Eine Sammlung an Fotos, Geschichten und Bauplänen der ehemaligen und derzeitigen Bewohner zeichnet ein Bild der Entstehung des Plattenbauviertels der Innenstadt.

Schon von Weitem sind die Wohnblocks der Halben Stadt zu sehen. Von der Stadtbrücke an der deutsch-polnischen Grenze in Richtung Frankfurt (Oder) thronen der markante Pablo-Neruda-Block sowie weitere elf- bis 16-geschossige Plattenbauten über der Frankfurter Innenstadt. Frankfurt, so die Vision der Stadtplaner in den 70er-Jahren, sollte eine moderne Silhouette bekommen, sagte Antje Wilke, Mitarbeiterin im Institut für angewandte Geschichte.

Die Kulturwissenschaftlerin hat vor Kurzem ihr Studium an der Europa-Universität Viadrina abgeschlossen und nun die Ausstellung zum Wohnviertel Halbe Stadt entwickelt. Schon in ihrer Masterarbeit habe sich Wilke mit der Entstehung und Bedeutung des Wohnkomplexes beschäftigt.

Die Leiterinnen der Ausstellung Halbe Stadt-Ansichten stehen vor Platenbauten in Frankfurt
Antje Wilke und Magdalena Scherer haben die Ausstellung "Halbe Stadt-Ansichten" konzipiert | Bild: Robert Schwaß/rbb

Die Halbe Stadt als "sozialistische Stadtkrone"

Damals habe man von "einer sozialistischen Stadtkrone" gesprochen, als man sich entschied, ein neues Wohnviertel auf den Frankfurter Oderhängen zu errichten. "Auch, wenn dieser Begriff in offiziellen Dokumenten nie verwendet wurde“, erklärte die Ausstellungsleiterin weiter.

Zudem habe man mit der Halben Stadt versucht, die Wohnungsnot in Frankfurt (Oder) zu lindern. "Nach dem Krieg war das Stadtzentrum stark zerstört und entleert. Mit einem Wohnviertel ganz in der Nähe sollte auch das Zentrum gestärkt und die Kaufkraft gefördert werden“, so Wilke.

8.000 Menschen zogen in den 70er Jahren in die Plattenbausiedlung

Die Halbe Stadt galt zu DDR-Zeiten als Vorzeigeprojekt. Benannt ist das Viertel nach einer gleichnamigen Straße oberhalb des Stadtzentrums. Der Legende nach, mussten die Leute im Mittelalter um die halbe Stadt laufen, um vor Dunkelheit durch eines der beiden Stadttore gelassen zu werden.

Zu DDR-Zeiten wurde aus der Straße ein ganzer Wohnkomplex. Bis zu 8.000 Menschen fanden zwischen 1973 und 1978 in der errichteten Plattenbausiedlung Platz. Die Wohnungen waren damals begehrt, sagte Gudrun Herzog, die seit fast 50 Jahren in dem Viertel wohnt.

Fernwärme, eine Küche mit Durchreiche und drei Zimmer hätten die Wohnungen damals attraktiv gemacht. "Genug für unsere Familie mit zwei Kindern", sagte die 85-Jährige. Die Rentnerin wohne bis heute gerne im Viertel, auch wenn sich einiges verändert habe. Früher habe Herzog noch mehr persönlichen Kontakt zu den Nachbarn gehabt, heute würde sie viele nicht kennen.

Zu DDR-Zeiten ein beliebtes Ansichtskarten Motiv

Es seien Geschichten wie die von Gudrun Herzog, die Wilke und Magdalena Scherer interessieren. Die Geschichte des Wohnkomplexes habe es der Frankfurterin angetan, sagte Scherer, die im städtischen Kulturbüro arbeitet. Scherer selbst sei aber nicht im Viertel großgeworden.

"Es hebt sich von anderen Frankfurter Plattenbaugebieten ab, weil hier keine Wohnungen zurückgebaut wurden. Anders als beispielsweise in Neuberesinchen", sagte die Ausstellungsleiterin. Für die Ausstellung haben Scherer und Wilke Fotos von Bewohnern und Bewohnerinnen gesammelt. Ansichten von der damaligen Großbaustelle, aber auch aktuelle. Ergänzt wird die Ausstellung mit originalen Bauplänen und Gemälden.

Zudem sollen Anwohner während der Ausstellung aktiv miteinbezogen werden. So führen Bewohner bei Rundgängen durch das Viertel und zeigen ihre Lieblingsorte. "Auf einem Rundgang wird es auch die Möglichkeit geben, Postkarten aus der Halben Stadt zu verschicken“, sagte Scherer. "Zu DDR-Zeiten war das Wohngebiet ein beliebtes Motiv für Ansichtskarten".

Mediale Darstellung der "Platte" sorge für negatives Image

Dass der Wohnkomplex einst beliebtes Postkartenmotiv war, ist heute schwer vorstellbar. Die Balkonbrüstungen aus Wellblech sind brüchig. Viele der einstigen Neubauten sind sanierungsbedürftig. Auch die Halbe Stadt wurde zum Sorgenkind. Ein Schicksal, welches sie mit vielen Neubaugebieten teilt, erklärte Harald Engler vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung.

"Zu DDR-Zeiten war die Bevölkerungsstruktur in den Neubaugebieten homogener, nach der Wende zogen die, die es sich leisten konnten, weg“, sagte Engler. Auch die mediale Darstellung der "Platte“ habe einiges für das negative Image getan, so Engler weiter.

Dabei seien sie angesichts des bundesweiten Mangels an Wohnraum wohnungspolitisch wichtig. "Man wird wieder auf den seriellen Wohnungsbau zurückkommen, weil es der schnellste Weg ist, in kurzer Zeit viele Wohnungen zu errichten“, so Engler weiter.

Wird die Halbe Stadt künftig wieder attraktiver?

Im vergangenen Jahr schrieb das Viertel aufgrund einer Massenschlägerei unter Jugendlichen negative Schlagzeilen. Die Halbe Stadt als Problemviertel zu verunglimpfen sei trotzdem falsch, sagte Wilke. "Im Wohngebiet gibt es durchaus Konflikte und Herausforderungen, aber auch unglaublich viel Potenzial und Menschen, die sich engagieren". Während der Recherchen seien die Ausstellungsleiterinnen auf viele Bewohner getroffen, die gerne im Wohngebiet leben.

Die Ausstellung "HALBE STADTansichten“ bietet neben historischen Einblicken zur Entstehung des Viertels somit auch die Möglichkeit, in den Dialog zu treten. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 31. Mai im Mehrgenerationenhaus Mikado in Frankfurt (Oder)

Sendung: Antenne Brandenburg, 02.05.23, 16 Uhr

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