Interview | Hochwasserschutz-Experte - "Im gesamten Überschwemmungsgebiet herrscht ein Bauverbot"

Fr 15.09.23 | 19:45 Uhr
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Der Blick aus einem Hubschrauber zeigt am 19.07.1997, wie weit das Wasser der Oder nördlich von Frankfurt in das Landesinnere von Polen (r) vorgedrungen ist. 20 Jahre nach der Jahrhundertflut an der Oder ist die Gefahr extremhoher Pegelstände in Flüssen der Region nicht gebannt. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)
Audio: Antenne Brandenburg | 15.09.2023 | O-Ton: Wolfgang Müller | Bild: Wolfgang Kumm/dpa

Entlang der Oder soll ein neues Überschwemmungsgebiet festgelegt und damit das Gefahrenpotenzial für Mensch und Natur minimiert werden. Wolfgang Müller vom Landesumweltministerium erklärt, wie solche Gebiete festgesetzt werden.

Bei der Oderflut im Sommer 1997 wurden ganze Landstriche in Brandenburg unter Wasser gesetzt und ein Schaden von umgerechnet mehr als 300 Millionen Euro verursacht. In Tschechien und Polen kamen dutzende Menschen ums Leben.

Um Gefahren und Sachschäden abzuwenden, legt das Landesumweltministerium Überschwemmungsgebiete fest. Festgesetzt wird die bei einem Jahrhundert-Hochwasser natürlicherweise überschwemmte Fläche.

Zuständig für die Umsetzung in Brandenburg ist Wolfgang Müller, Mitarbeiter im Referat Hochwasserschutz im Landesumweltministerium. Aktuell arbeitet er an der Festsetzung eines neuen Überschwemmungsgebiets an der Unteren Oder.

rbb|24: Herr Müller, derzeit laufen die Planungen für die Festsetzung der Überschwemmungsgebiete der Unteren Oder - das betrifft vor allem die Uckermark. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Wolfgang Müller: Das Schadenspotenzial in diesen Gebieten durch Errichtung neuer Gebäude und Industrieanlagen soll sich nicht weiter erhöhen. Das ist eines der Hauptziele. Und dann soll der Abfluss des Hochwassers nicht verzögert und Umweltschäden vermieden werden.

71,5 Quadratkilometer würde die Gesamtfläche des neu festgesetzten Gebiets an der Oder betragen. Welche Orte und Regionen wären betroffen?

Von Hohenwutzen geht es los stromab bis zur Landesgrenze zu Polen bei Mescherin. Das Überschwemmungsgebiet geht von der Oder aus, die ja auch die Landesgrenze zu Polen ist, verläuft entlang der Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße und reicht bis an Schwedt ran. Allein die Polder haben eine Fläche von 46 Quadratkilometern. Dazu kommen zwölf Quadratkilometer, die bei einem hundertjährlichen Hochwasser überschwemmt werden und dann haben wir die sogenannten Vorländer, also die Fläche zwischen dem Fluss und dem Deich.

Um Überschwemmungsgebiete festzusetzen, benutzen Sie komplizierte Modelle und versuchen damit, das Ausmaß eines hundertjährlichen Hochwassers zu rekonstruieren. Wie aussagekräftig sind diese Berechnungen?

Man muss beachten: Das ist ein Berechnungsergebnis auf der Grundlage einer Statistik. Ein Hochwasser ist aber ein natürliches Ereignis, das heißt, es wird niemals genau diese Wassermenge abfließen, die wir annehmen. Sie wird immer entweder darunter oder darüber liegen. Und es wären auch nicht alle Flächen genauso betroffen, weil dann kommen immer bestimmte Ereignisse noch dazu. Es kann zum Beispiel irgendwo ein Deich brechen. Das hat alles Einfluss auf die Ausbreitung des Hochwassers.

Wie sind Bauvorhaben davon betroffen?

Im gesamten Überschwemmungsgebiet herrscht grundsätzlich ein Bauplanungs- und ein Bauverbot. Beabsichtigt hat der Bundesgesetzgeber damit – vor allem in Anbetracht der großen Hochwässer in der Vergangenheit und der aufgetretenen hohen Schäden –, dass in Überschwemmungsgebiete möglichst nicht mehr gebaut wird.

Die Pläne für die Untere Oder liegen noch bis Ende September in mehreren Ämtern aus. Gibt es denn schon Einwände?

Von Bürgern noch gar nicht. Von den Trägern öffentlicher Belange haben sich vier gemeldet, davon waren zwei keine Stellungnahmen sondern Nachfragen. Der richtige Schwung ist hier noch gar nicht angekommen. Das mag daran liegen, dass Einwände noch bis zum 16. Oktober beim Umweltministerium eingereicht werden können.

Warum musste das Überschwemmungsgebiet festgesetzt werden?

Die Berechnungen dazu liegen schon seit Dezember 2013 vor und können auch im Internet eingesehen werden. Das wurde auch bekannt gemacht. Es gibt ja die Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie der Europäischen Union, und solche Richtlinien sind in nationales Recht umzusetzen. Das hat Deutschland getan. Da ist vorgeschrieben, dass sogenannte Gefahren- und Risikokarten zu erstellen sind, in denen die verschiedenen Hochwasserereignisse darzustellen sind, nämlich die häufigen, die mittleren und die seltenen Ereignisse – und das mittlere ist das hundertjährliche Ereignis.

Laut dem Wasserhaushaltsgesetz waren alle Überschwemmungsgebiete eigentlich bis Ende 2013 festzusetzen. Das hat in Brandenburg nicht geklappt. Wann rechnen Sie mit dem Abschluss der Festsetzung für die Untere Oder?

Das Feststellungsverfahren ist doch relativ aufwendig: Diese Karten müssen produziert und ausgelegt, die Stellungsnahmen müssen ausgewertet werden. Wenn alles glatt läuft, dauert so ein Verfahren ungefähr ein Jahr. Frühestens im Frühjahr nächsten Jahres wird das Überschwemmungsgebiet festgesetzt. Kein Bundesland hat es meines Wissens nach geschafft, die Festsetzung bis zum 22. Dezember 2013 abzuschließen. Sanktionen gibt es deswegen aber nicht.

Neun Überschwemmungsgebiete wurden in Brandenburg schon festgesetzt - wie viele kommen noch dazu?

An großen Dingen stehen uns noch bevor: die Oder von Ratzdorf bis Frankfurt und die Zuflüsse der Oder im Oderbruch. Dann hätten wir die Oder komplett. Das sind aber keine großen Flächen. Was auch noch festgesetzt werden muss, ist das Überschwemmungsgebiet der Havel von Berlin bis Einmündung in die Elbe. Wenn wir damit durch sind, dann haben wir die großen Flächen in Brandenburg abgearbeitet. Wir haben noch eine Vielzahl kleinerer Flüsse, die auch alle ihr Überschwemmungsgebiet bekommen sollen und das dauert auf alle Fälle noch etliche Jahre.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Felicitas Montag. Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Version.

Korrekturhinweis, 16.09.2023, 12:45 Uhr: In einer früheren Version hatten wir in der letzten Frage versehentlich "Rathsdorf" und nicht Ratzdorf geschrieben. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen und bedanken uns für die Hinweise.

Sendung: Antenne Brandenburg, 15.09.2023, 16:30 Uhr

18 Kommentare

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  1. 18.

    "...Überflutungen 1997 oberhalb Frankfurt/O am schlimmsten waren...
    Warum nennen Sie dazu ein Gebiet ca. 80km unterhalb von FF als besseres Beispiel?
    Muss man nicht verstehen.
    Nochmal das gesamte Interview bis zum Ende lesen hilft aber sicher Ihr Urteil über die Kompetenz des Herrn zu korrigieren.
    "An großen Dingen stehen uns noch bevor: die Oder von Ratzdorf bis Frankfurt und die Zuflüsse der Oder im Oderbruch. Dann hätten wir die Oder komplett."

  2. 17.

    Mir unverständlich wie Internetexperten sich ein Urteil erlauben ohne sich mit den Fakten zu beschäftigen.
    Richtig Lesen reicht ja eigentlich schon aus.
    Steht doch hier in ziemlich klarem Deutsch.
    "An großen Dingen stehen uns noch bevor: die Oder von Ratzdorf bis Frankfurt und die Zuflüsse der Oder im Oderbruch. Dann hätten wir die Oder komplett."
    Nun könnte man über die Reihenfolge reden.
    Vielleicht war es einfacher im Norden anzufangen, weil es dort großteils ein Nationalpark ist in dem Baurecht jetzt schon extrem schwierig sein dürfte. Somit ist das der leichtere Teil der Aufgabe.
    Polderflächen oberhalb Finkenheerd werden schon länger gesucht und diskutiert. Großes Thema bei den Kleingärtnern in Fürstenberg/EH und der Deutschen Bahn in Neuzelle.
    Taugt der Bahndamm als 2ter Hochwasserschutzdeich und wenn sinnvoll wer bezahlt eine Verstärkung.
    Vielleicht nicht bekannt vor EH hat man den Deich inzwischen auf gut 2km um 200m weg vom Fluss versetzt.

  3. 16.

    Die Polska hat voe Ratibor am Oberlauf der Oder ein Hochwasserrückhaltebecken mitls. Stauwerk fertiggestellt, somit dürfte einiges an Wassermassen zurückgehalten werden. Auch dürfte damit der Pegel regulierbar sein. Warten wir es ab.

  4. 14.

    Mir ist unverständlich, warum Schreibtischexperten Überschwemmungsflächen am „Ende“ des Flusses suchen, wo doch die Überflutungen 1997 oberhalb Frankfurt/O am schlimmsten waren. Oberhalb Hohenwutzen z.B gibts die alten Polder bis Zollbrücke im Oderbruch zwischen Oder und „Strom“ sogar eingedeicht, hat nur noch keiner entdeckt, bis 1972 Kuhweide und Überschwemmungsgebiet, seither Ackerfläche. Stehen sicher mal Solarpaneele drauf. :-(
    Aber der Ziltendorfer Niederung wird auch das nicht helfen.

  5. 13.

    Ein Rathsdorf gibts auch und zwar zwischen Wriezen und Bad Freienwalde. Es hat nichts mit der Oder als Grenzfluß zu tun, nur im entfernten mit der Alten Oder, die aber hier leider nicht zur Diskussion steht. Wenn dem so wäre, würde man schnell feststellen, wieviel Bebauung innerhalb des Übetschwemmungsgebietes der Alten Oder stattfand. Von Rückbau keine Rede.

  6. 12.

    " die Oder von Rathsdorf bis Frankfurt und die Zuflüsse der Oder im Oderbruch."
    Wo steht da was von Neiße? Kann es sein, das das Gebiet nördlich von FF/O gemeint ist?

    "das Dorf, wo Oder und Neiße..."
    ... ist "etwas" südlicher.

  7. 11.

    Zwei Dinge:
    Kennt die Versicherungsbranche die Überschwemmungsgebiete nicht viel besser?
    Wenn in Polen und Tschechien Deiche höher gebaut werden, was bedeutet das für die deutschen Daten, z.B. an Oder und Elbe?

  8. 10.

    Ratzdorf liegt mehr südlicher, Rathsdorf ist ein Ortsteil von Wriezen.

  9. 9.

    "und die Zuflüsse der Oder im Oderbruch." Den wesentlichen Zufluß zur Oder im Oderbruch bei Küstrin hat aber Deutschland nicht unter Kontrolle - die Warthe. Hat man das mit Polen schon abgesprochen? Werden die anderen Überflutungsgebiete mit Polen koordiniert? Wird es grenzübergreifend bei den geteilten Städten koordiniert? In Ffo wäre das z.Bsp. der Haacksee rechtsseitig der Oder als Überflutungsgebiet im Stadtgebiet Ffo interessant, der aber auf polnischem Gebiet der Stadt liegt. Auch der Schutz der polnischen Stadtteils von Ffo, wäre wichtig, da dort einige Uferstraßen tiefer liegen als im deutschen Teil. Bei den anderen geteilten Städten gibt es sicher vergleichbare Situationen.

  10. 8.

    "Liegt doch vor dem Deich also nicht im Überschwemmungsgebiet solange der Deich hält. " Ich würde es vom Fluß aus betrachten (also analog zu den Deichen am Meer) und sagen hinter dem Deich - aber sicher bin ich mir auch nicht. Mit den Deichen ist so eine Sache. Im langjährigen Trend seit Beginn der Aufzeichnungen sieht man einen kontinuierlichen Anstieg der mittleren Niederschlagsmenge, es kommt also übers Jahr gerechnet immer mehr Wasser runten und damit auch in die Flüsse. Nun kommt das nicht gleichmäßig als Landregen, sondern es nimmt die Variabilität zu. Zu rechnen wäre also neben Niedrigwasser auch mit immer wieder großen Flutereignissen mit durchaus neuen Jahrhundertpegeln. Sind die Deiche darauf wirklich schon gerechnet worden beim Bau/Wiederaufbau? Die Oder kann zwar durch viele Schleusen stark reguliert werden, bei Jahrhundertfluten sind die auber auch überfordert. Die Höhe der Flutspundwand in Ffo reichte gerade so, Überflutungsflächen vor Ffo wären als sehr interessant.

  11. 7.

    Auch wenn‘s offenbar nicht gefällt: das Dorf, wo Oder und Neiße zusammentreffen heißt Ratzdorf - nicht Rathsdorf.
    Nicht daß der Experte sich noch verläuft …

  12. 6.

    Nochmal lesen!
    Es geht nur um das was derzeit bearbeitet wird. Und da ist der Durchstich bei Hohenwutzen keine verkehrte Wahl der Abgrenzung.

  13. 5.

    Liegt doch vor dem Deich also nicht im Überschwemmungsgebiet solange der Deich hält.
    Oder sagt man hinter? Wo ist vor und wo hinterm Deich?
    Ob man diese Fläche als Polder nutzt, ist noch in Diskussion. Aber nicht Priorität. Die schwarze Elster ist momentan im Fokus des brandenburgischen Hochwasserschutzes.

  14. 4.

    Irgendwie verstehe ich etwas nicht.
    Die Berechnungen liegen seit 10 Jahren vor und nun fängt man mit der öffentlichen Beteiligung an und hofft in 1-2 Jahren fertig zu sein.
    Was ist denn seit 2013 geschehen bzw. wurde gemacht?
    Und letztenendes sind die Gebiete durch den Deich bzw. Oderhänge weitestgehend festgesetzt.
    Wo jetzt die Ursache für 10 Jahre Verzögerung lese ich nicht heraus.
    Brauchte man noch die Daten aus der fluggestützten Vermessung, die man in den letzten Jahren immer wieder durchführt?

  15. 3.

    "Von Hohenwutzen geht es los stromab bis zur Landesgrenze zu Polen bei Mescherin." Es gibt auch traditionelle Überschwemmungsgebiete weiter stromaufwärts, nicht erst ab Hohenwutzen.

  16. 2.

    Was passiert mit bereits existenten Bebauungen/Siedlungen im Überschwemmungsgebiet - z.Bsp. Ziltendorfer Niederung mit Thälmann-Siedlung und Aurith (Vorwerk)?

  17. 1.

    Wenn man große Pläne machen möchte, sollte man sich auskennen:
    Es heißt Ratzdorf.
    Hoffentlich ist das kein Merkmal zur Expertise.

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