Interview | Hochwasserschutz-Experte - "Im gesamten Überschwemmungsgebiet herrscht ein Bauverbot"

Entlang der Oder soll ein neues Überschwemmungsgebiet festgelegt und damit das Gefahrenpotenzial für Mensch und Natur minimiert werden. Wolfgang Müller vom Landesumweltministerium erklärt, wie solche Gebiete festgesetzt werden.
Bei der Oderflut im Sommer 1997 wurden ganze Landstriche in Brandenburg unter Wasser gesetzt und ein Schaden von umgerechnet mehr als 300 Millionen Euro verursacht. In Tschechien und Polen kamen dutzende Menschen ums Leben.
Um Gefahren und Sachschäden abzuwenden, legt das Landesumweltministerium Überschwemmungsgebiete fest. Festgesetzt wird die bei einem Jahrhundert-Hochwasser natürlicherweise überschwemmte Fläche.
Zuständig für die Umsetzung in Brandenburg ist Wolfgang Müller, Mitarbeiter im Referat Hochwasserschutz im Landesumweltministerium. Aktuell arbeitet er an der Festsetzung eines neuen Überschwemmungsgebiets an der Unteren Oder.
rbb|24: Herr Müller, derzeit laufen die Planungen für die Festsetzung der Überschwemmungsgebiete der Unteren Oder - das betrifft vor allem die Uckermark. Welches Ziel verfolgen Sie damit?
Wolfgang Müller: Das Schadenspotenzial in diesen Gebieten durch Errichtung neuer Gebäude und Industrieanlagen soll sich nicht weiter erhöhen. Das ist eines der Hauptziele. Und dann soll der Abfluss des Hochwassers nicht verzögert und Umweltschäden vermieden werden.
71,5 Quadratkilometer würde die Gesamtfläche des neu festgesetzten Gebiets an der Oder betragen. Welche Orte und Regionen wären betroffen?
Von Hohenwutzen geht es los stromab bis zur Landesgrenze zu Polen bei Mescherin. Das Überschwemmungsgebiet geht von der Oder aus, die ja auch die Landesgrenze zu Polen ist, verläuft entlang der Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße und reicht bis an Schwedt ran. Allein die Polder haben eine Fläche von 46 Quadratkilometern. Dazu kommen zwölf Quadratkilometer, die bei einem hundertjährlichen Hochwasser überschwemmt werden und dann haben wir die sogenannten Vorländer, also die Fläche zwischen dem Fluss und dem Deich.
Um Überschwemmungsgebiete festzusetzen, benutzen Sie komplizierte Modelle und versuchen damit, das Ausmaß eines hundertjährlichen Hochwassers zu rekonstruieren. Wie aussagekräftig sind diese Berechnungen?
Man muss beachten: Das ist ein Berechnungsergebnis auf der Grundlage einer Statistik. Ein Hochwasser ist aber ein natürliches Ereignis, das heißt, es wird niemals genau diese Wassermenge abfließen, die wir annehmen. Sie wird immer entweder darunter oder darüber liegen. Und es wären auch nicht alle Flächen genauso betroffen, weil dann kommen immer bestimmte Ereignisse noch dazu. Es kann zum Beispiel irgendwo ein Deich brechen. Das hat alles Einfluss auf die Ausbreitung des Hochwassers.
Wie sind Bauvorhaben davon betroffen?
Im gesamten Überschwemmungsgebiet herrscht grundsätzlich ein Bauplanungs- und ein Bauverbot. Beabsichtigt hat der Bundesgesetzgeber damit – vor allem in Anbetracht der großen Hochwässer in der Vergangenheit und der aufgetretenen hohen Schäden –, dass in Überschwemmungsgebiete möglichst nicht mehr gebaut wird.
Die Pläne für die Untere Oder liegen noch bis Ende September in mehreren Ämtern aus. Gibt es denn schon Einwände?
Von Bürgern noch gar nicht. Von den Trägern öffentlicher Belange haben sich vier gemeldet, davon waren zwei keine Stellungnahmen sondern Nachfragen. Der richtige Schwung ist hier noch gar nicht angekommen. Das mag daran liegen, dass Einwände noch bis zum 16. Oktober beim Umweltministerium eingereicht werden können.
Warum musste das Überschwemmungsgebiet festgesetzt werden?
Die Berechnungen dazu liegen schon seit Dezember 2013 vor und können auch im Internet eingesehen werden. Das wurde auch bekannt gemacht. Es gibt ja die Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie der Europäischen Union, und solche Richtlinien sind in nationales Recht umzusetzen. Das hat Deutschland getan. Da ist vorgeschrieben, dass sogenannte Gefahren- und Risikokarten zu erstellen sind, in denen die verschiedenen Hochwasserereignisse darzustellen sind, nämlich die häufigen, die mittleren und die seltenen Ereignisse – und das mittlere ist das hundertjährliche Ereignis.
Laut dem Wasserhaushaltsgesetz waren alle Überschwemmungsgebiete eigentlich bis Ende 2013 festzusetzen. Das hat in Brandenburg nicht geklappt. Wann rechnen Sie mit dem Abschluss der Festsetzung für die Untere Oder?
Das Feststellungsverfahren ist doch relativ aufwendig: Diese Karten müssen produziert und ausgelegt, die Stellungsnahmen müssen ausgewertet werden. Wenn alles glatt läuft, dauert so ein Verfahren ungefähr ein Jahr. Frühestens im Frühjahr nächsten Jahres wird das Überschwemmungsgebiet festgesetzt. Kein Bundesland hat es meines Wissens nach geschafft, die Festsetzung bis zum 22. Dezember 2013 abzuschließen. Sanktionen gibt es deswegen aber nicht.
Neun Überschwemmungsgebiete wurden in Brandenburg schon festgesetzt - wie viele kommen noch dazu?
An großen Dingen stehen uns noch bevor: die Oder von Ratzdorf bis Frankfurt und die Zuflüsse der Oder im Oderbruch. Dann hätten wir die Oder komplett. Das sind aber keine großen Flächen. Was auch noch festgesetzt werden muss, ist das Überschwemmungsgebiet der Havel von Berlin bis Einmündung in die Elbe. Wenn wir damit durch sind, dann haben wir die großen Flächen in Brandenburg abgearbeitet. Wir haben noch eine Vielzahl kleinerer Flüsse, die auch alle ihr Überschwemmungsgebiet bekommen sollen und das dauert auf alle Fälle noch etliche Jahre.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Felicitas Montag. Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Version.
Korrekturhinweis, 16.09.2023, 12:45 Uhr: In einer früheren Version hatten wir in der letzten Frage versehentlich "Rathsdorf" und nicht Ratzdorf geschrieben. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen und bedanken uns für die Hinweise.
Sendung: Antenne Brandenburg, 15.09.2023, 16:30 Uhr