Demos gegen hohe Preise - Von Rechten organisierte Proteste finden Anschluss an die gesellschaftliche Mitte

Di 27.09.22 | 14:55 Uhr
Symbolbild: Transparent mit der Aufschrift „Nordstream 2 statt Gasumlage“ (Quelle:dpa/J.Büttner)
Video: Brandenburg Aktuell | 26.09.2022 | Robert Schwaß | Bild: dpa/J.Büttner

Zehntausende protestierten am Montag in ostdeutschen Städten gegen hohe Energiepreise, organisiert zumeist durch Rechtsextremisten. Auch in Frankfurt (Oder), wo die Stadt um ihre Bürger in Not kämpft. Von Olaf Sundermeyer

Der Blick aus der neunten Etage des Oderturms fällt auf einige Traktoren und Lastwagen, hinter denen sich zahlreiche Menschen zu einem Protestzug formieren. In Frankfurt (Oder) wie in vielen anderen Städten Ostdeutschlands wachsen die Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen gegen die Energiepreise und die Krisenpolitik der Bundesregierung. Aus Angst wird hier Wut.

"PCK statt USA"

Oberbürgermeister René Wilke (Linke) begegnet dem Protest an diesem Montag mit einer eilig einberufenen Pressekonferenz in den Räumen der Stadtverwaltung. Um seine Argumente im Kampf gegen die Krise zu verkünden: Er will den Menschen die Verunsicherung in der Krise nehmen, um "extreme soziale Auswirkungen zu verhindern." Über Beratung und Hilfe durch Sozialamt, Jobcenter, städtische Wohnungsgesellschaften und Stadtwerke. Unter anderem über die Ausweitung der Wohngeldberechtigung, die durch das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung beschlossen wurde.

"Man kann ja nicht behaupten, dass 'Die da oben', dass die Politik nichts tut", sagt Wilke. Der Sozialbeauftragte der Stadt neben ihm ergänzt: "Wir lassen niemanden allein, dieser Spruch des Kanzlers war nicht nur eine Phrase. Auch hier wird niemand allein gelassen." Unterdessen stellt der Geschäftsführer der lokalen Stadtwerke nüchtern fest: "Diese Zeit wird für Energiekunden die schmerzhafteste Zeit, die sie je erlebt haben."

Inzwischen laufen 1.800 Menschen lärmend durch die Straßen ihrer Stadt - mobilisiert durch Telegram-Kanäle zum Beispiel des rechtsextremen Netzwerks "Freie Brandenburger", durch Mundpropaganda, durch lokale Chats und Facebookgruppen. Darunter auch Mitarbeiter aus der Verwaltung von OB Wilke, von der Handwerkskammer, Kleinunternehmer, Rentner, Familien mit kleinen Kindern, Frankfurter aus der gesellschaftlichen Mitte, auch die lokale AfD läuft mit. Parteifahnen sind tabu.

Die Forderungen hier sind allgemein politisch. "PCK statt USA", "Ampel ausschalten", "Nordstream 2 einschalten", "Deutschland: SPD, Grüne und FDP weben Dein Leichentuch", "Bundestag = Irrenhaus, werft die Irren endlich raus", "Stop US-NATO". Es werden russische Fahnen geschwenkt, die "deutsch-russische Freundschaft" wird beschworen. Auch in anderen Städten des Ostens protestieren an diesem Abend Tausende Bürger.

Zustimmung für die AfD steigt

Ihre Botschaften klingen ähnlich, so auch in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt [ndr.de]. In Cottbus versammeln sich zur gleichen Zeit rund 1.800 Menschen hinter der rechtsextremen Demonstrationsinitiative "Zukunft Heimat" , die "für ein bezahlbares Leben" auf die Straße geht. Und für den Oberbürgermeisterkandidaten aus den eigenen Reihen, den Aktivisten und AfD-Landtagsabgeordneten Lars Schieske, der sich in wenigen Tagen der Stichwahl um das Amt des Cottbuser Rathauschefs stellt.

Bundesweit steigt in der Krise die Zustimmung für die AfD. In Ostdeutschland ist sie nach der aktuellen Sonntagsfrage von Insa/"Bild" mit 27 Prozent die stärkste Kraft. Wie einst die Flüchtlingskrise, wirkt auch diese Krise als Katalysator für die AfD.

Das beobachtet auch der Soziologe Christoph Schulze vom Moses-Mendelssohn-Zentrum (MMZ) der Universität Potsdam: Das aktuelle Protestgeschehen sei "im Wesentlichen durch dieselben Leute geprägt, wie im vergangenen Winter". Damals hatte die AfD im Verbund mit der außerparlamentarischen Rechten die Corona-Krise für ihre Sache zu nutzen versucht: Das MMZ erkannte darin das "dichteste Protestgeschehen in der Geschichte des heutigen Landes Brandenburg (...), verortet in der Demonstrations- und Bewegungspolitik der extremen Rechten".

"Wie uns der Anschluss gelingt"

Heute gehe es wieder darum, eine "grundlegende Stimmung des Misstrauens gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen zu erzeugen", sagt Schulz. "Es geht immer um die Erzählung, dass uns die Mächtigen absichtsvoll schaden wollen, indem sie uns zur Impfung zwingen, oder uns jetzt in einen Krieg treiben." Dazu passt die Einschätzung von Michael Brück, einem der wesentlichen Organisatoren hinter den Straßenprotesten der rechtsextremen "Freien Sachsen".

Der Neonazi kam vor zwei Jahren aus Nordrhein-Westfalen nach Sachsen, zuvor war er jahrelang für die rechtsextreme Kleinstpartei "Die Rechte" aktiv, mit den fast identischen Protestkonzepten zu Flüchtlingen oder Corona. "Aber aus Dortmund bin ich weggezogen, weil uns dort der Anschluss an die gesellschaftliche Mitte nicht gelungen ist, das ist hier im Osten anders. Wie uns der Anschluss gelingt, zeigt sich ja jetzt im heißen Herbst", räumte Brück am Rande einer Montagsdemonstration Anfang September in Leipzig ein.

Dafür stimmt er sich etwa mit Jürgen Elsässer vom rechtsextremen Magazin "Compact" aus Brandenburg ab, dem Sprachrohr der Proteste. Auch mit Andreas Kalbitz ist er im Gespräch. Der ehemalige Landes- und Fraktionsvorsitzende der Brandenburger AfD und erfahrene Protestorganisator gehört zu den Aktivposten der ganzen Sache. Kalbitz trat vor einigen als Demonstrationsredner vor 3.000 Menschen in Lumbin in Vorpommern auf, am Ende der Gas-Pipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. "Die Protestwelle im heißen Herbst geht über die Provinz, nicht über Berlin", kündigte Michael Brück das aktuelle Protestgeschehen bereits vor Wochen an.

Aufruf der Linken folgen nur wenige Dutzend

Für den Frankfurter Oberbürgermeister René Wilke ist es ein politisches Dilemma: Sind die Forderungen nach einer Öffnung der Gas-Pipeline bis zum Ende der Russland-Sanktionen und einem Nato-Austritt Deutschlands in seiner Partei schließlich ebenfalls verbreitet. Die Linke mobilisiert ihrerseits zu einem "heißen Herbst" gegen die Bundesregierung, wenngleich nur mit mäßigem Erfolg: Den Aufrufen des Bundesvorstands in seine Stadt folgen nur wenige Dutzend Menschen. Andererseits will Wilke die Bedürftigen in seiner Stadt erreichen, ohne den Protest zu befeuern. Liefe er bei den Demonstrationen mit, würde er diese legitimieren.

Öffentlich vorgetragene politische Positionen erlaubt er sich in dieser Krise nicht. Aufforderungen der Protestorganisatoren, auf ihrer Demonstration zu reden, will er nicht nachkommen. "Ich glaube nicht, dass in diesem Format ein Gespräch stattfinden kann", sagt Wilke betont sachlich. Gleichwohl würde er mit jedem Bürger seiner Stadt sprechen, den Sorgen und Ängste in der Krise umtreiben.

Nun arbeitet Wilke an einem eigenen "Format". Er denkt über eine Art Messe für Hilfsangebote in der Krise nach, um die Angstgetriebenen zu erreichen. Unterdessen wird für die nächste Demonstration am kommenden Montag in Frankfurt sowie überall in Ostdeutschland mobilisiert.

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