Arbeitsbedingungen in Grünheide - Werden Bauarbeiter auf der Tesla-Baustelle ausgebeutet?

Die Tesla-Ansiedlung in Grünheide begeistert viele. Aber dem Unternehmen eilt auch ein Ruf voraus: schlechte Arbeitsbedingungen. Inzwischen sind die Produktionshallen des Werks fast fertig. Wie ist es den Menschen ergangen, die sie gebaut haben? Von Lucia Heisterkamp und Philip Barnstorf
Die Abendsonne senkt sich über das abgelegene Industriegelände in Königs Wusterhausen im Osten Brandenburgs, als die drei Minibusse anrollen. Sie halten vor einem kargen, einstöckigen Gebäude, eine Pension mit Zweibettzimmern, circa zehn Euro pro Nacht. Rund 20 Männer steigen aus den Bussen. Hinter der Fensterscheibe eines Busses hängt ein Schild, darauf der Name einer polnischen Firma – und "Tesla".
"Hallo, arbeiten Sie bei Tesla?" Die Männer sprechen polnisch miteinander, nur einer kann etwas deutsch. Auf die Frage nach seinem Arbeitsgeber winkt er ab und verschwindet zusammen mit seinen Kollegen in der Unterkunft.
Ermittlungen zu den Arbeitsbedingungen
Knapp 20 Kilometer entfernt liegt die Baustelle, auf der Europas größtes Elektroautowerk entsteht. Sie ist zu diesem Zeitpunkt im Sommer 2021 laut dem Brandenburger Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) zu 80 Prozent fertiggestellt.
Seit Tesla-Chef Elon Musk vor gut zwei Jahren angekündigt hat, seine "Gigafactory Europe" ausgerechnet in Brandenburg bauen zu wollen, steht die Region nicht mehr still. Für die Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen kommt die Tesla-Ansiedlung einem Sechser im Lotto gleich: Tausende Arbeitsplätze für den strukturschwachen Osten Brandenburgs werden erwartet. Grünheide, die 9.000 Seelen-Gemeinde, in der die Fabrik gebaut wird, steht plötzlich im Schlaglicht internationaler Berichterstattung.
Für Tesla soll mehr Grundwasser angezapft werden
Doch von Anfang an gibt es auch Gegenwind: Zwar freuen sich die meisten Anwohner über die neuen Nachbarn, aber einige befürchten, dass es mit der Idylle vorbei ist, wenn demnächst 12.000 Mitarbeiter täglich auf dem Weg zur Fabrik durch ihre Gegend brausen. Umweltschützer sorgen sich um Wasserknappheit in der ohnehin regenarmen Region, wenn Tesla zukünftig pro Jahr bis zu 1,4 Millionen Kubikmeter verbraucht. Und noch ein Vorwurf steht im Raum: schlechte Arbeitsbedingungen bei Tesla.
In den USA legt sich das Unternehmen immer wieder mit Gewerkschaften an. Wer bei Tesla arbeitet, muss eine strenge Verschwiegenheitsklausel unterschreiben. Es drohen Entlassung und Geldbußen, wenn man zu viel über den Arbeitgeber erzählt. Und obwohl die Fabrik in Brandenburg noch nicht einmal ganz fertig ist, sind Arbeitsverhältnisse auf der Tesla-Baustelle auch hier schon Thema: Im September 2021 berichtet das Wirtschaftsmagazin "Business Insider" [Bezahlschranke] von Bauarbeitern, die bis zu 14 Stunden am Tag arbeiteten und unter dem Mindestlohn bezahlt würden. Sollten die Vorwürfe stimmen, wäre dies ein Verstoß gegen deutsches Arbeitsrecht. Das Landesamt für Arbeitsschutz und der Zoll ermittelten damals, aber das Landesamt konnte keine Verstöße feststellen und der Zoll äußerte sich nicht. Vielleicht bloß Einzelfälle, die Medien zufällig entdeckten? Immerhin sind Lohndumping und Schwarzarbeit verbreitet im deutschen Baugewerbe. Ist Brandenburgs Prestige-Baustelle eine Ausnahme?
Vom Hostel an der Grenze zur Baustelle
Auf der Suche nach jenen Menschen, die in Grünheide Schächte buddeln, Kabel verlegen, Rohre schleppen, landet man in den billigsten Herbergen in der Region. Hunderte Bauarbeiter sind hier untergebracht, die meisten von ihnen kommen aus Osteuropa. Doch wie in Königs Wusterhausen will kaum jemand mit Reportern sprechen.
Einer ist schließlich doch bereit: Yaroslav (Name von der Redaktion geändert) ist in einem kleinen polnischen Hostel kurz hinter der Grenze untergebracht, knapp 70 Kilometer östlich von der Tesla-Baustelle. Graue Wände, schmale Gänge, in denen hier und da das Licht nicht funktioniert. Abends sitzt Yaroslav in Shorts und Tanktop in der Kantine des Hostels und schaufelt Pasta in sich rein. Über einen Arbeitsvermittler hat er bei einem polnischen Bauunternehmen angeheuert, das für Tesla Erdarbeiten erledigt.
Seit zwei Wochen arbeitet er inzwischen auf der Baustelle, wird jeden Morgen zwischen sechs und sieben Uhr von einem Bus abgeholt und mit seinen Kollegen nach Grünheide gefahren. Abends geht es zurück ins Hostel. Insgesamt sechs Monate will Yaroslav in Brandenburg schuften und dann zurück in seine ukrainische Heimat. Wie viel Geld er dabei verdienen wird, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Auch einen Arbeitsvertrag hat sein Chef ihm bisher nicht ausgehändigt. Dennoch sagt er: "Ich arbeite gerne bei Tesla." Er ist optimistisch, dass sich der Job für ihn am Ende lohnt. Das wird sich ändern, wie sich später zeigt.

Fragen zum Unternehmen sind unerwünscht
Wochen später wird zum ersten Mal präsentiert, was Yaroslav und andere in Grünheide aufgebaut haben. Ein Tag im Oktober 2021, Elon Musk persönlich hat zu einem Tag der offenen Tür geladen. Normalerweise ist der Zugang zum Gelände für Außenstehende verboten. Nun dürfen rund 9.000 Besucher, die meisten aus der Region, die fast fertige Fabrik von innen besichtigen. Wer durch die gigantischen Hallen mit dem Presswerk, der Gießerei und der Fertigungsanlage läuft, hat das Gefühl, in einem Science-Fiction-Film gelandet zu sein: Aluminium-Gießmaschinen - so groß wie kleine Häuser - außerdem Hunderte Roboter, zum Schweißen, Stanzen, Schrauben. Alle 45 Sekunden sollen sie eine fertige Karosserie ausspucken. Der Bau eines gesamten Autos soll gerade einmal zehn Stunden dauern. Zum Vergleich: VW braucht fast dreimal so lange.
Bis zu 500.000 Teslas sollen in Grünheide künftig jedes Jahr vom Band rollen. Es ist eine Hightech-Anlage wie es sie bisher kein zweites Mal in Deutschland gibt. Junge, gut gelaunte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tesla-Shirts führen durch die Fabrik und geben Auskunft zu den Maschinen. Fragen zum Unternehmen selbst sind dagegen unerwünscht. Niemand bei Tesla darf namentlich zitiert werden, viele Journalisten haben trotz Anfrage kein Ticket erhalten. Über die Menschen, die die Fabrik gebaut haben, erfährt man hier erwartungsgemäß nichts.
Eine Überraschung ist das nicht, schließlich ist der Konzern für seine rigide Informationspolitik bekannt. Die sowieso schon kleine PR-Abteilung ist extrem wortkarg. "Bei Tesla redet nur Elon Musk und wenn der was zu sagen hat, twittert er", sagt ein deutscher Subunternehmer des Konzerns. Und für kritische Fragen hat CEO Musk nur wenig übrig. Angesprochen auf die Wasserknappheit in der Region lacht er laut bei einem Besuch in Grünheide im Sommer 2021: "Sieht das hier vielleicht wie in einer Wüste aus? Das ist lächerlich!" Auch mit Gewerkschaften hat er sich schon auf Twitter angelegt.
Bauarbeiter: Arbeiten bis zu 17 Stunden am Tag
Alles eine Frage der Dimension? Nach Musks Aussagen will er mit den Elektroautos dem Klimawandel Einhalt gebieten - und damit hätte er nicht weniger auf dem Zettel, als die Menschheit zu retten. Vielleicht sind knappes Trinkwasser in Brandenburg oder Bauarbeiter, die für Dumpinglöhne arbeiten, für Musk einfach nur Lappalien?
Einer dieser Bauarbeiter ist Piotr (Name von der Redaktion geändert). Auch ihn treffen wir im polnischen Grenzgebiet vor einer Unterkunft. Er lenkt für eine polnische Firma Baufahrzeuge auf der Tesla-Baustelle und erzählt, dass er ungefähr zehn Euro pro Stunde verdiene. Für solche Arbeiten am Steuer von Baufahrzeugen schreibt das Gesetz in Deutschland 12,85 Euro Baumindestlohn vor.
Genau wie Yaroslav aus der Ukraine hat auch Piotr von seinem Chef noch keinen Arbeitsvertrag bekommen, dabei arbeitet er seit drei Monaten auf der Baustelle. "Es heißt immer nur nächste Woche, nächste Woche", sagt Piotr. Trotz allem sei er unterm Strich zufrieden mit seinem Job. "Ich bin froh, auf der Baustelle von Tesla zu arbeiten. Das ist ein sehr berühmtes Unternehmen." Und der Lohn sei immer noch besser als in Polen. Manchmal arbeiteten sie bis zu 17 Stunden am Tag. Erlaubt sind nach deutschem Arbeitsrecht maximal zehn Stunden plus Pausen. "Überstunden bringen Extrageld", sagt Piotr. Insgesamt bleibe genug übrig, um seine Familie daheim zu unterstützen. "Du arbeitest, dann schläfst du. Hier gibt’s nicht viele Möglichkeiten, das Geld auszugeben."
Krasser Gegensatz zum Tesla-Image
Unterbezahlung, zu lange Arbeitszeiten, fehlende Verträge. Solche Geschichten überraschen Agniezsca Bollmann nicht. Die 50-Jährige sitzt in ihrem Büro in Frankfurt (Oder). Mit ihrer Beratungs-Agentur hat sie sich auf Firmen und Angestellte spezialisiert, die grenzübergreifend arbeiten. Arbeitnehmer von einem der dutzenden Subunternehmen von Tesla kämen nur selten zu ihr. "Die haben große Angst, ihren Job zu verlieren", vermutet sie. "Deshalb beschweren sie sich nicht, solange sie dort arbeiten." Aber manchmal meldeten sich Leute, die nicht mehr auf der Tesla-Baustelle sind. Ihr seien eine Handvoll Fälle bekannt, in denen Bauarbeiter keinen Arbeitsvertrag erhalten hätten oder ihnen ein Teil ihres Lohns vorenthalten wurde. Mal würden sie unter dem Mindestlohn bezahlt oder Kost und Logis würden vom Lohn abgezogen, so dass kaum etwas übrig bliebe. Das sei dann eine rechtliche Grauzone.
"Die ausländischen Subunternehmen haben oft keine Ahnung von deutschem Arbeitsrecht. Sie wissen nichts vom Baumindestlohn", sagt Bollmann. Sie wüssten nur, dass sie Tesla möglichst billige Arbeitskräfte anbieten müssten. Weil der US-Konzern nicht der direkte Arbeitgeber ist, ist er rechtlich nicht in der Pflicht. Doch Yaroslavs und Piotrs Behauptungen stehen in krassem Gegensatz zum Image, das sich Tesla gerne selbst gibt. So schreibt das Unternehmen in seinem Impact-Report 2020, es setze sich dafür ein, dass alle eigenen Mitarbeiter und die von Zulieferern mit "Respekt und Würde" behandelt würden.
Auf Nachfrage erklärt das Unternehmen, ihm seien keine Verstöße gegen das Arbeitsrecht in Grünheide bekannt. Auch lasse Tesla sich von seinen Auftragnehmern vertraglich garantieren, dass diese sich ans Arbeitsrecht hielten. Schließlich verpflichte Tesla seine Auftragnehmer zusätzlich dazu, ihrerseits auch ihre Subunternehmer entsprechend zu verpflichten.

Zoll macht Stichproben
Zuständig für Kontrollen in Sachen Arbeitsrecht auf Baustellen in Ostbrandenburg ist der Zoll in Frankfurt (Oder). Konfrontiert mit den Aussagen von Piotr und Yaroslav, sagt Sprecherin Astrid Pinz: "Ich kann nicht sagen, ob die beiden Fälle uns durch die Lappen gegangen sind." Generell könne sie sich zu spezifischen Baustellen nicht äußern. Der Zoll habe "alle Baustellen im Blick". Pinz sagt aber auch: "Wir sind mit unseren Stichproben nicht jeden Tag vor Ort." Hat die Zollbehörde überhaupt genug Leute, um eine Riesenbaustelle mit Tausenden Bauarbeitern wie bei Tesla effektiv zu kontrollieren? "Eine Aufstockung des Personals der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist geplant", sagt Pinz.
Das befürwortet auch Dirk Kuske von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, denn: "Mindestlohnverstöße bei so einer gigantischen Baustelle nachzuweisen, ist natürlich schwierig." In der Vergangenheit hat er die Baustelle immer wieder selber besucht. Aber seit Tesla den Bau nicht mehr vom deutschen Unternehmen Max Bögl, sondern von einem polnischen Konzern leiten lässt, ist das vorbei. "Der polnische Generalunternehmer beschäftigt vor allem Landsleute. Da haben wir keine Mitglieder und kommen insofern auf die Baustelle nicht mehr rauf", sagt Kuske. Er schätzt, das polnische Unternehmen habe für den Auftrag schlicht den niedrigsten Preis geboten. Ist das ein Indiz für Lohndumping? Spezifische Fälle von der Tesla-Baustelle kennt Kuske nicht. Aber er sagt: "Generell kommt sowas immer wieder vor, gar keine Frage."
Yaroslav: 1.200 Euro für eineinhalb Monate Arbeit
Die Berichte von Yaroslav und Piotr lassen sich nicht vollständig verifizieren. Wir wollen die beiden noch einmal treffen, um uns Beweismaterial wie Kontoauszüge zeigen zu lassen. Piotr aus dem polnischen Hotel stimmt per Whatsapp einem weiteren Treffen zu. Einen Tag vor dem Termin antwortet er plötzlich nicht mehr. Auch auf Anrufe reagiert er nicht. Wir können nur vermuten, dass er Angst bekommen hat, seinen Job zu verlieren, wenn sein Arbeitgeber durch ihn Probleme mit deutschen Behörden bekommt. Seine Firma teilt auf Nachfrage mit, dass sie sich in Deutschland an alle Gesetze halte.
Auch mit Yaroslav, dem Ukrainer, verabreden wir ein weiteres Gespräch per Zoom einige Wochen nach dem ersten Treffen. Er arbeitet inzwischen nicht mehr auf der Tesla-Baustelle. Ein Arbeitsvertrag sei ihm zwar noch ausgehändigt worden, aber am Ende habe er für etwa 1,5 Monate Arbeit in Vollzeit gerade mal 1.200 Euro erhalten. Die Kosten fürs Hostel habe sein Arbeitgeber davon noch abgezogen. "Das Ergebnis ist furchtbar", sagt Yaroslav, "Ich fühle mich betrogen. Das ist zu wenig Geld für viel Arbeit."
Vollständiges Bild ist schwierig
Die Schuld sieht Yaroslav nicht bei Tesla, sondern bei seinem polnischen Arbeitgeber. Der hätte nicht nur ihn sondern auch rund ein Dutzend weitere Bauarbeiter so behandelt. Möchte er etwas dagegen unternehmen, etwa vor einem Gericht? "Das ist sinnlos. Niemand sonst macht das", sagt Yaroslav. Er möchte das Thema lieber schnell vergessen. Wir konfrontieren Yaroslavs Arbeitgeber mit den Vorwürfen; schreiben E-Mails und rufen mehrmals an. Eine Antwort erhalten wir nicht.
Es ist am Ende schwierig, ein vollständiges Bild von dem zu erhalten, was auf dem streng bewachten Tesla-Gelände passiert. Ob Bauarbeiter dort systematisch ausgebeutet werden oder ob Yaroslav und Piotr doch Einzelfälle sind. Agniescza Bollmann von der Beratungs-Agentur sagt: "Auf den Baustellen in Brandenburg geht es zu wie im wilden Westen". Wieso sollte die Tesla-Baustelle da eine Ausnahme sein? Fest steht: Die meisten Bauarbeiter aus Polen und der Ukraine, die wir während unserer Recherche treffen, sind nicht unzufrieden mit ihrer Arbeit - weil sie Schlimmeres gewöhnt sind. Klar ist auch: Kaum einer von ihnen wird sich jemals einen Tesla leisten können.
Mitarbeit: Anna Chwialkowska, Yarosvlava Hryhorchuk
Sendung: Antenne Brandenburg, 14.01.2022, 15:12 Uhr
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