Wirtschaft in der Corona-Pandemie - Wieso derzeit weniger Firmen pleite gehen - und ob das so bleibt
Um Firmen in der Corona-Krise vor einer Insolvenz zu schützen, wurde im Frühjahr extra das Insolvenzrecht geändert. Die erwartete Pleitewelle blieb bislang aus. Für Entwarnung sehen Experten dennoch keinen Grund. Von Ute Barthel, Jana Göbel und Götz Gringmuth-Dallmer
Die Zahl der Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für Unternehmen ist im Oktober in Berlin und Brandenburg überraschend unter dem Vorjahreswert geblieben. Das zeigen Statistiken der zuständigen Amtsgerichte, die rbb|24 vorliegen.
Gingen im Oktober 2019 in Berlin 390 Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei den Gerichten ein, so waren es im Oktober 2020 nur 309. In Brandenburg waren es im gleichen Zeitraum im Vorjahr 138, in diesem Oktober lediglich 119 Anträge.
Dabei sah es zu Jahresbeginn noch anders aus: In den ersten drei Monaten gab es in Berlin und Brandenburg noch mehr Insolvenzanmeldungen als in den Monaten ein Jahr zuvor. Als dann im April eine neue Insolvenzregelung in Kraft trat, sank die Zahl der Anmeldungen deutlich.
Insolvenzregelung wurde zeitweise geändert
Die Bundesregierung hatte im Frühjahr die bestehende Insolvenzregelung geändert (Quelle: bmjv.de). Um Unternehmen in der Corona-Krise besser zu schützen, wurde das "Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auf den Weg gebracht und rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft gesetzt.
Dies galt für alle Fälle, in denen die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf Folgen der COVID-19-Pandemie beruht.
Ende September 2020 lief diese Regelung zwar teilweise wieder aus. Doch für Unternehmen, die infolge der Pandemie überschuldet sind, ohne zahlungsunfähig zu sein, wurde sie bis Jahresende verlängert.
Die folgenden beiden Grafiken zeigen die Zahl der Insolvenzanmeldungen, die bei den zuständigen Gerichten in Berlin und Brandenburg im jeweiligen Monat eingegangen sind.
Patrik-Ludwig Hantzsch von der Wirtschaftsauskunftei Creditreform sieht derzeit keinen eklatanten Anstieg bei den Unternehmensinsolvenzen. Er weist aber darauf hin, dass die aktuellen Zahlen nicht die tatsächliche Lage abbilden. Durch die vielen Staatshilfen sieht er auch einen psychologischen Effekt: "Wir vermuten, dass viele Firmen schon lange eine Insolvenz hätten anmelden müssen." Viele Firmeninhaber wüssten jedoch nicht, dass sie eigentlich zahlungsunfähig sind.
Creditreform rechnet damit, dass es 2020 bundesweit einen Rückgang der Insolvenzen auf 17 bis 18.000 gegenüber 18.800 im Jahr 2019 geben wird. "Wir gehen aber davon aus, dass im ersten Quartal 2021 die Welle losgeht", so Hantzsch. Im kommenden Jahr erwartet Creditreform dann etwa 24.000 Insolvenzen bundesweit.
Insolvenzen hinausgezögert
Für Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) spricht vieles dafür, dass die staatlichen Corona-Unterstützungsleistungen den Rückgang der Insolvenzanträge verursacht haben.
Es handele sich bei der Corona-Krise um eine außergewöhnliche Marktsituation. Der Staat habe viel getan, damit gesunde Unternehmen diese Krise überstehen, z.B. durch Kurzarbeitergeld, staatliche Kredite und Hilfen, so der Wirtschaftswissenschaftler.
"Bei größeren Unternehmen mit vielen Beschäftigten hat sicher vor allem das Kurzarbeitergeld gewirkt. Bei Kleinstunternehmen dürften es die Soforthilfen gewesen sein", sagte Gornig rbb|24. Viele Insolvenzen seien hinausgezögert worden. Ob eine Welle nachkomme, hänge davon ab, wie lange die Krise andauert. Doch auch Gornig rechnet mit einem Anstieg bzw. einer Normalisierung der Insovenzzahlen im kommenden Jahr.
Die Insolvenzdatenbank Insolvex (insolvex.de) zeigt täglich die Anzahl neuer gewerblicher Insolvenzen (Regelinsolvenzverfahren), abgewiesener Anträge mangels Masse auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sowie verfügter Sicherungsmaßnahmen. Bei diesen wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der zum Beispiel dafür zu sorgen hat, dass das Vermögen der Firma nicht noch weiter zum Nachteil der Gläubiger schrumpft.
Auch nach diesen Zahlen ist für Berlin und Brandenburg bislang keine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr zu sehen. Die Zahlen weichen deshalb von den ursprünglich gemeldeten Zahlen ab, da nicht alle gemeldeten Insolvenzen in ein Verfahren münden. So kann es zum Beispiel sein, dass ein zuständiges Amtsgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unbegründet oder nicht zulässig ist.
Forscher erwarten eine Normalisierung der Insolvenzzahlen
Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)analysiert regelmäßig das Insolvenzgeschehen in Deutschland. In dem kürzlich erschienenen Insolvenztrend (iwh.de) für den Monat Oktober gehen die Forscher davon aus, dass es in der Regel nur wenige Insolvenzfälle gibt, die nicht auf Zahlungsunfähigkeit, sondern ausschließlich auf Überschuldung zurückzuführen sind. Somit würde die Antragspflicht praktisch für die allermeisten insolventen Unternehmen wieder in Kraft treten.
Ähnlich wie schon bei der Kurzarbeit und der Arbeitslosigkeit hat es Berlin in diesem Jahr bisher härter getroffen als Brandenburg, wie Daten des IWH zeigen. Auf 100.000 Einwohner gab es in Berlin zwischen Januar und Oktober Berlin 21,8 Unternehmensinsolvenzen, in Brandenburg sind es 8,3. Bundesweit liegt der Stadtstaat Bremen mit 23,9 Unternehmensinsolvenzen auf 100.000 Einwohner an der Spitze.
Warum Berlin stärker von Insolvenzen betroffen ist als Brandenburg, begründet Steffen Müller, Leiter der Insolvenzforschung am IWH, damit, dass es in der Hauptstadt zum einen eine ausgeprägte Start-Up Szene gibt, die unabhängig von der Coronakrise und vom konkreten Standort Berlin mehr Insolvenzen erzeugen würde. "Zum anderen sind Tourismus, Kultur und Gastronomie in Berlin stark ausgeprägt und von der Krise besonders betroffen", so Müller gegenüber rbb|24.
Bundesweit erwartet der Wirtschaftsforscher "weiter moderat steigende Insolvenzzahlen, die jedoch eher als Normalisierung, denn als Insolvenzwelle zu verstehen sind".
Sendung: rbb Fernsehen, 16.11.2020, 21:00 Uhr