Fotoprojekt an der Oder - "Jeder glaubt zu wissen, was deutsch und polnisch ist"

Fr 22.05.20 | 14:20 Uhr
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Götz Lemberg fotografiert Eindrücke auf der Spree.
Bild: rbb / Larissa Mass

Der Künstler Götz Lemberg hat die Flüsse Berlin und Brandenburgs zum Kunstprojekt gemacht. In einer Fotoserie über die Oder thematisiert er die deutsch-polnischen Grenz-Perspektiven und stellt den Betrachter vor ein Ratespiel. Von Larissa Mass

Auf einem Boot auf der Spree, nahe der Oberbaumbrücke in Berlin, ist der Künstler Götz Lemberg vertieft in die Reflektion des Flusses. Er setzt den Fokus, möchte den richtigen Moment festhalten, das ideale Farbspiel. Danach richtet er die Kamera auf die Horizontlinie - hält die Umgebung fest und als letztes auf den Himmel. Alle 1.000 Meter entlang des Flusses macht Lemberg diese drei Fotos und setzt daraus Collagen zusammen, er nennt das Ergebnis Cuts. Am Ende entsteht ein Gesamtwerk, das sowohl als großes Panorama oder auch als eine Studie gelesen werden kann.

Lebenslinien einer Region

Der Berliner Lemberg hat Flusslandschaften für sich zu einem Großprojekt gemacht. Seit Jahren arbeitet er an einem Dreiteiler aus Havel, Oder und Spree. Für ihn bilden sie Lebenslinien der Region. "Es gibt wenige Räume, die so geprägt sind durch ihre Flüsse wie Brandenburg und Berlin - und so kam auch die Idee auf, ein Porträt zu machen." Der Künstler zeigt die Flussimpressionen aber nicht dokumentarisch. Es sind Collagen, die mit der Wahrnehmung des Betrachters spielen und herausfordern. Seine Eindrücke von der Oder als "Grenz-Fluss-Landschaft" sind seit dem Wochenende im Schloss Neuhardenberg zu sehen.

Für die Produktion hat der Künstler zehn Tage ein Boot mit einem Skipper geleast und sich an der Neißemündung, in der Nähe von Eisenhüttenstadt, auf die Oder gewagt. Doch er musste merken, dass die Oder ihren eigenen Charakter hat: Wegen Trockenheit hatte der Fluß weniger Wasser - das gedachte Boot war zu groß. Er musste es tauschen. Auf 200 Kilometern an der deutsch-polnischen Grenze entlang machte er rund 1.200 Fotos, bis er in Stettin wieder vom Boot stieg.

Ein Werk von Götz Lemberg aus seiner Reihe Oder-Cuts.
Bild: Götz Lemberg

Deutschland oder Polen?

Besonders spannend sind die Aufnahmen, die neben dem Fluss entstanden sind: Auf deutscher und polnischer Seite fuhr Lemberg den Grenzraum mehrfach ab, suchte nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Der Künstler entschied bei der Erstellung der Cuts, dass er nicht kenntlich machen möchte, auf welcher Seite welches Foto aufgenommen wurde. Die Besucher stehen vor der Herausforderung selber zu entscheiden.

Straßen, Feldwege, Häuser und Grenzsteine stehen in der Ausstellung aneinandergereiht, kombinierte Häuserspitzen in einer Collage. Klar ist: Sie zeigen Eindrücke von beiden Ländern, doch nicht welche Aufnahme zu welcher Oderseite gehört. "Ich wollte den Prozess nach Innen trage - wessen kann ich mir überhaupt sicher sein?", sagt Lemberg. "Jeder glaubt zu wissen, was deutsch und polnisch ist - die Realität zeigt jedoch das Gegenteil. Die Leute liegen oft daneben." Dabei sind es teilweise Details, an denen es manchmal doch erkannt werden kann: Lemberg deutet auf ein Bild mit zwei Straßenpfeilern - die deutschen sind schwarzweiß, die polnischen rotweiß.

Götz Lembergs Kunstprojekt Oder-Cuts.
Bild: Schloß Neuhardenberg

Gemeinsame Geschichte

Nach der intensiven Auseinandersetzung mit der Grenzregion hat der Künstler die Schlussfolgerung gezogen, dass die beiden Seiten mehr gemeinsame Wurzeln haben, als zunächst angenommen. Die sozialistische Architektur, die preußische Geschichte und auch die gemeinsame Kriegserfahrung prägen die Region. "Ich habe noch keine Gegend durchreist, wo so viele Kriegsmahnmale stehen", sagt Lemberg.

Die Ausstellung ist bis zum 14. Juni im Schloss Neuhardenberg zu sehen. Danach gehen die Fluss-Eindrücke von Götz Lemberg auf eine fast zwei Jahre dauernde Galerie-Tournee auf deutscher und polnischer Seite der Oder. 

Sendung: Inforadio, 20.05.2020, 14:30 Uhr

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1 Kommentar

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  1. 1.

    Naturräumlich und größtenteils auch bauhistorisch gibt es links und rechts der Oder keinen Unterschied. Der Landschaft und den Gebäuden ist es schlichtweg egal, welche Fahne auf den Amtsgebäuden weht und welche Sprache in den Straßen, auf den Wegen und in den Gassen überwiegend o. ausschließlich gesprochen wird.

    Geht es i. S. einer Umgangskultur um Gleichheiten und Unterschiede zwischen einer tendenziell "typisch deutschen" und einer tendenziell "typisch polnischen" Mentalität, so ist bei den Gleichheiten das pur Menschliche zu nennen, das Anthropologische. Nicht nur zw. D u. PL, sondern zw. allen Staaten.

    Unterschiede gibt es auch: Im Deutschen wird tendenziell bis zu 90 % alles organisiert, im Polnischen vielleicht bis zu 50 %. Die andere Hälfte bringen die Polen mit Improvisation durch, die Deutschen scheitern allerdings oft an den restlichen 10%, weil sie das als eklatantes Versagen begreifen.

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