Pläne zur Odervertiefung - Der Fluss, der sich selbst ausbaggert

Fr 30.08.19 | 10:30 Uhr | Von Philip Barnstorf
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Blick am 06.08.2017 vom Oderbruchhang "Schöne Aussicht" im Landkreis Märkisch-Oderland nördlich von Lebus auf das Odervorland mit dem deutsch-polnischen Grenzfluss Oder. (Bild: dpa/Patrick Pleul)
Bild: dpa/Patrick Pleul

Es ist ein deutsch-polnisches Riesenprojekt: Mit hunderten neuen Dämmen soll sich die Oder über 15 Jahre selbst ein tieferes Bett graben. Dabei geht es nicht nur um Hochwasserschutz. Umweltschützer sind entsetzt. Von Philip Barnstorf

Zu Fontanes Zeiten war mehr los auf der Oder. "Schleppschiffe und Passagierboote gehen auf und ab, und die Rauchsäulen der Schlote ziehen ihren Schattenstrich über die Segel der Oderkähne hin", schrieb Brandenburgs Lieblingsautor vor 150 Jahren zu Beginn seiner "Wanderungen durch die Mark Brandenburg".

Inzwischen ist der Wirtschaftsverkehr auf dem deutsch-polnischen Grenzfluss fast gänzlich versiegt. Aber die polnische Regierung und deutsche Wirtschaftsverbände wollen das ändern. Ihr Hebel für den wirtschaftsgerechten Ausbau der Oder ist der Hochwasserschutz. Aber die deutsche Regierung ist nicht einverstanden und Umweltschützer auf beiden Seiten des Stroms schlagen Alarm.

Mit Eisbrechern gegen Hochwasser

Am Anfang war ein Abkommen, das von ganz oben kam. Im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterschrieben 2015 der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und der polnische Umweltminister Maciej Grabowski eine Vereinbarung "zur gemeinsamen Verbesserung der Situation an den Wasserstraßen im deutsch-polnischen Grenzgebiet". Ziel ist dabei der Hochwasserschutz zwischen Frankfurt und Ostseemündung.

Wenn die Oder im Winter zufriert, drückt das Eis das Wasser aus dem Flussbett in die umliegende Landschaft. Um dieses Eis aufzubrechen, braucht es Eisbrecher. Damit die besser manövrieren können, soll das Flussbett vertieft werden. Soweit der Konsens. Auch darüber, wie die Oder vertieft werden soll, sind sich polnische und deutsche Beamte weitgehend einig.

Ungefähr 400 Buhnen – einige so alt wie Theodor Fontane - sollen saniert und verlängert werden, so dass sie das Wasser effektiver in die Flussmitte leiten. Dadurch fließt der Strom in der Mitte schneller. "Dann gräbt sich die Oder von selbst ein tieferes Bett und wir müssen nicht baggern", erklärt ein Umweltexperte der Stettiner Wasserwirtschaftsverwaltung.

Oder in Frankfurt, Blick aufs polnische Ufer, im August 2019 unter blauem Himmel, bei niedrigem Wasser (Quelle: rbb/Philip Barnstorf)
Bild: rbb/Philip Barnstorf

Mehr Tiefgang, mehr Handel

Aber die polnische Regierung will mehr. Wenn es nach ihr geht, kommt die bessere Schiffbarkeit nicht nur Eisbrechern, sondern auch kommerzieller Handelsschifffahrt zugute. Hier beginnt der Streit. "Der deutschen Seite gefällt es nicht, dass die polnische Seite so auf Verkehrsausbau der Oder setzt. Das ist nicht Teil des Abkommens", stellt Peter Münch vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt in Eberswalde klar.

"Wir haben an einer verkehrlichen Erschließung kein Interesse. Das lohnt sich wirtschaftlich nicht." In der Tat liegen Wasserstände der Oder je nach Wetter und Jahreszeit zwischen gut einem halben und zwei Metern – zu niedrig für Frachtschiffe.

Archivbild: Ein polnischer und ein deutscher Eisbrecher brechen das Eis auf dem Grenzfluss Oder. (Quelle: imago/Mausolf)
Eisbrecher auf der Oder Bild: imago/Mausolf

In Polen ist daher sogar von Schleusen die Rede, die die Oder nicht nur an der Grenze, sondern auch weiter südlich im polnischen Teil massiv aufstauen und so schiffbar machen könnten. Auch deutsche Wirtschaftsverbände könnten sich eine kommerzialisierte Oder gut vorstellen.

"Wenn man sich den Zustand der Autobahnen von Oberschlesien nach Breslau anguckt, dann ist der Bedarf nach Verlagerung auf Schiffe offensichtlich", argumentiert Horst Linde vom Oderverein, einer regionalen Wirtschaftslobby. Auch Robert Radzimandowski von der IHK Ostbrandenburg meint, von einer tieferen Fahrrinne würden Binnenschifffahrt und Wassertourismus profitieren.

Umweltschützer sehen Ruhe der Störe in Gefahr

Ganz andere Ansichten haben Umweltschützer beiderseits des Stroms. "Durch die neuen Buhnen wird eine Vergleichmäßigung des Flussbettes eintreten. Damit verschwinden die tiefen Kolke, wo etwa der Stör aus der Strömung gehen und sich ausruhen kann", warnt Michael Tautenhahn vom Nationalpark Unteres Odertal. Auch befürchtet er ein Austrocknen der Auen durch eine schneller fließende Oder.

Schützenhilfe bekommt der Fischereiingenieur von jenseits des Flusses. Thomas Anisko von den polnischen Grünen meint, durch die Baumaßnahmen würden Ökosysteme auf Generationen hinaus beschädigt. Gemeinsam mit Brandenburger Grünen hat er eine Einwendung ans polnische Umweltministerium geschrieben.

Seine deutschen Parteikollegen wollen Ökotourismus an der Oder [rbb-online.de/kowalskiundschmidt] fördern. Immerhin sei der Grenzfluss einer der wenigen Flüsse in Deutschland, der noch frei fließe, sagt die grüne Umweltexpertin Isabell Hiekel, die die Einwendung mitunterschrieben hat.

Künstliche Natur

Aber stimmt das? Ist die Oder ein freies, unberührtes Kleinod der Natur? Jein. Schon Fontane erzählt von Flußbettvertiefungen und auch das Buhnensystem stammt größtenteils aus preußischer Zeit. Von einer absolut natürlichen Oder kann also keine Rede sein. Allerdings hat die die DDR die Buhnen seit den 60er Jahren verfallen lassen.

Weil Baumaßnahmen am Grenzfluss umständliche bilaterale Abstimmungen erfordern, ist auch nach der Wende nichts passiert. Deshalb konnte sich die Natur an der Oder ungefähr 70 Jahre weitgehend ungestört entwickeln. Inzwischen leben hier knapp 50 Fischarten. Einige von ihnen, wie etwa Goldsteinbeißer, Neunaugen und Störe, gelten als bedroht.

Beamte der Stettiner Wasserwirtschaftsverwaltung versicherten diese Woche auf einer Infoveranstaltung in Frankfurt, dass die von ihnen geplante Buhnensanierung, die Natur nicht wesentlich beeinträchtigen werde. So solle nur außerhalb der Laichzeiten bedrohter Arten gebaut werden. Ruhige Gewässer am Flussrand, Lebensraum etwa für Hechte und Steinbeißer, würden erhalten.

Aus den langwierigen Verhandlungen mit der deutschen Seite haben die polnischen Beamten eine Tugend gemacht. Erst 2035 soll die letzte Buhne saniert werden. So können Politiker, Umweltschützer und Wirtschaftslobbyisten noch jede Menge Details verhandeln und die Natur kann sich nach und nach anpassen.

Es bleibt also ein Ringen um Details zwischen Hochwasserschutz und Erhalt der Natur. Fontane hat das Dilemma schon geahnt: "Graben und Wall haben bezwungen das Element und nun blüht es von End zu End." Schön wärs.

Sendung: Antenne Brandenburg, 27.08.2019, 13:00 Uhr

Beitrag von Philip Barnstorf

4 Kommentare

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  1. 4.

    Hey, was für ein Argument - der Zustand der Autobahnen! Natürlich halte ich viel von der verantwortungsvollen Nutzung der Natur bei gleichzeitigem Schutz der Bevölkerung und Tierwelt - das heisst für mich aber, sich den Klimaänderungen angepasst darum zu kümmern, dass der Fluss sich an möglichen Stellen ausbreiten oder zurückziehen kann und seine natürlichen Fließeigenschaften beibehält. Aus der Oder einen Rhein zu machen wäre doch absoluter Blödsinn, zumal sicher KEIN einziger polnischer Lastwagen von den Autobahnen verschwinden würde!

    schon die alten Buhnen sind natürlich Eingriffe, die sich nachteilig auswirken (können), auch das kann man kritisch überprüfen. Vor allem, wenn der damalige Zweck der Anlagen nicht mehr vorhanden ist. Passagierschiffchen für die öko-nahe Nutzung gibts auch mit ganz wenig Tiefgang, übrigens...

  2. 3.

    Angesichts des Wetters in all seinen Extremen wird es um so wichtiger auf Extreme Vorbeitet zu sein. Schutz vor Hoch und Niedrigwasser. Rückhalten von "Süss"Wasser. Es macht wenig Sinn das RegenWasser , das aus den Ozeanen stammt, hier runter kommt, gleich wieder ins nächste Meer zu leiten.

  3. 2.

    "zur gemeinsamen Verbesserung der Situation an den Wasserstraßen im deutsch-polnischen Grenzgebiet"
    eine Renaturierung wäre der kostengünstigste Hochwasserschutz - der Ausbau der Eisenbahnstrecken Stettin - Frankfurt(O) - Breslau ist ebenso billiger und ganzjährig nutzbar - Wassertourismus ist auch bei niedrigen Pegel möglich siehe Havel

  4. 1.

    Sehr geehrter Herr Barnsdorf,
    sehr geehrtes rbb-Team, im vorliegenden Artikel ist leider einiges durcheinander geraten.
    Erst einmal wurden hier verschiedene Themen komplett durchmischt und dann wird nebulös von deutscher Regierung gesprochen. Bei der Veranstaltung am 26.4. in Frankfurt (Oder) ging es tatsächlich um Hochwasserschutz, gerade kaum vorstellbar, aber 1997 reichte auch eine Woche Regen im Sommer, für eine Katastrophe die im letzten Moment abgewendet werden konnte. Pläne für Staustufen liegen bisher überhaupt noch nicht vor und falls sie kommen, wäre erst dann alles neu zu bewerten. Und wer von der deutschen Regierung, meinen Sie übrigens Bund oder Land, hat sich kritisch über die polnischen Pläne geäußert? Herr Münch ist vom WSA Eberwalde und arbeitet in einer Verwaltung, die auch am Hochwasserschutz interessiert ist. Ich gebe Ihnen aber auch recht, die Oder ist künstliche Natur und Zitate von Fontane immer angenehm. Ausgewogener Jorunalismus ist aber 2019 umso wichtiger.

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