Deutsch-polnische Grenze - Brückenbau über die Oder beginnt mit Munitionssuche

Fr 24.04.20 | 11:26 Uhr | Von Mark Albrecht
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Im Mauerbruchstücke und im Hintergrund die Stahlträger der alten Eisenbahnbrücke bei Küstrin (Quelle: rbb|Marc Albrecht)
Video: rbb24 | 24.04.2020 | 16 Uhr | Bild: rbb|Marc Albrecht

An der deutsch-polnischen Grenze soll eine neue Eisenbahnbrücke entstehen. Aufgrund schwerer Gefechte im Zweiten Weltkrieg müssen vor Baubeginn Kampfmittelexperten und Archäologen das Gebiet untersuchen. Von Mark Albrecht

In Küstrin-Kietz haben die Vorbereitungen für den Bau einer neuen Eisenbahnbrücke über die Oder begonnen. Weil die Gegend um die ehemalige Festung Küstrin zwischen Wehrmacht und Roter Armee Anfang 1945 über mehrere Monate schwer umkämpft war, geht hier nichts ohne die Arbeit einer Munitionsbergungsfirma. Die Männer der Firma Röhll aus Brandenburg an der Havel suchen hier seit dem 17. Februar jeden Quadratmeter ab und beobachten die Erdarbeiten ganz genau.

Maschinengewehrnest in halb eingestürztem Haus

Die ersten Ergebnisse geben einen Eindruck von den letzten Kriegsmonaten: halbverrostete Wehrmachtshelme, Gasmasken, die aussehen wie das weltberühmte Bild "Der Schrei" von Edward Munch. Die Bilder gehen unter die Haut.

Vor ein paar Tagen gruben die Arbeiter den intakten Keller eines eingestürzten Hauses aus. Darin fanden sie ein Maschinengewehrnest, in der Ecke zwei Wehrmachtshelme aufgestapelt, an der Treppe ein Karabiner. "Was fehlt, sind Kriegstote", sagt Andreas Gallig, Mitarbeiter der Munitionsbergungsfirma Röhll.

"Wir haben noch keine Überreste von Menschen gefunden. Das ist eigentlich ein bisschen erstaunlich für die Kämpfe, die hier stattfanden. Entweder wurden sie nach dem Krieg zusammengetragen und irgendwo würdevoll bestattet, oder auch nicht. Jedenfalls rechne ich damit, dass wir auch noch auf Kriegstote stoßen."

Mehr als 500 Kilo Kriegsschrott, mehr oder weniger gefährlich, haben sie schon aus der Erde zwischen der B1 und den alten Eisenbahnbrücken über Vorfluter und Oderfluss geholt, und zur Entsorgung zum Kampfmittelbeseitigungsdienst nach Kummersdorf-Gut (Teltow-Fläming) gebracht.

Verrostete Stahlhelme und Reste von Gasmasken - ausgegraben an der Baustelle der Eisenbahnbrücke Küstrin (Quelle: rbb|Marc Albrecht)
| Bild: rbb|Marc Albrecht

Kampfmittelexperte rechnet auch mit Fliegerbomben

Vor Ort war auch ein Kampfmittelexperte der Deutschen Bahn. Kay Winkelmann hat sich für die Bauplanung im Vorfeld mit der Geschichte der Kämpfe um die Festung Küstrin beschäftigt, und hat auch Luftbilder studiert. Er denkt, dass hier nicht nur Karabiner- oder Maschinengewehrmunition in der Erde stecken.

"Die Besonderheit ist, dass hier sehr lange gekämpft wurde, ab Ende Januar 1945 bis in den April hinein, und dass hier auch mit allen Kampfmitteln gekämpft wurde. Sogar die sowjetische Luftwaffe hat hier ihre Truppen massiv unterstützt, so dass wir auch große Bombenblindgänger bis zu 2.000 Kilogramm erwarten."

Archäologen begleiten Erdarbeiten

Für Jens Greif, den Grabungsleiter vom "Landesdenkmalamt und archäologischem Landesmuseum Brandenburg" sind die bisher gesichteten Fundstücke noch nicht so aufregend. Die Landesarchäologen haben bislang nur Alltagsgegenstände aus dem Ende des 19. Jahrhundert gesichert. Allerdings sind sie durch Vorabsprachen mit dem Bauherrn, der Deutschen Bahn, auch sehr stark in ihrer Arbeit eingeschränkt. So dürfen sie hier nicht auf eigene Faust graben. Erst wenn die Gefahr der Fundmunition beseitigt ist, dürfen sie ran und auch nicht tiefer graben, als es die Baupläne vorsehen. Denn die Gefahr, dass sie auf noch scharfe Munition oder Granaten stoßen, wäre einfach zu groß. Noch nicht einmal aus der Nähe zusehen dürfen sie, denn sie wären im Falle einer Detonation von Fundmunition im Gegensatz zu den Männern vom Munitionssuchtrupp nicht versichert.

Greif hätte auch gerne mal einen zweiten Kellerraum geöffnet, als sie auf die Fundamente einer Industrieanlage gestoßen waren. Aber der Metalldetektor der Kampmittelräumer schlug beim zweiten Raum nicht auf Metall an, so musste auch nicht gegraben werden. Also war hier auch Schluss für die Archäologen.

"Am Ende muss man auch daran denken, dass man selbst lebend und heil jeden Abend und jede Woche von der Grabung nach Hause fahren möchte", erklärt Jens Greif sein Verständnis für die strikten Regeln. Auch wenn er lieber tiefer graben würde, etwa um nach Spuren eines großen Brandes zu Zeiten des Napoleonischen Krieges zu suchen.

(Quelle: rbb|Marc Albrecht)
Siegerentwurf der Brückenplaner | Bild: rbb|Marc Albrecht

Alte Eisenbahnbrücke wird durch Siegerentwurf ersetzt

Für die Eisenbahnverbindung zwischen Deutschland und Polen hatte die Deutsche Bahn einen Ingenieurwettbewerb durchgeführt. Im Oktober 2015 wurde der Sieger gekürt: die Brückenplaner der Firma Schüßler-Plan Berlin in Zusammenarbeit mit Knights Architects London. Nach ihrem Entwurf wird eine 130 Meter lange Netzwerkbogenbrücke die Oder überspannen. Zu dieser repräsentativen Hauptbrücke kommen noch Überführungsbauwerke über den Odervorfluter. 50 Millionen Euro sollen die neuen Eisenbahnbrücken insgesamt kosten. 2022 soll der Bau fertig sein.

Historische Bahnstrecke soll in Teilen wiederbelebt werden

Die Oderquerung ist Teil der alten Ostbahn, Berlin - Landsberg (an der Warthe) - Königsberg (Ostpreußen) - Eydtkuhnen, die einst zu den wichtigsten Strecken der Königlich Preußischen Eisenbahnverwaltung (KPEV), später dann der Deutschen Reichsbahn (DR) gehörte. Sie verband Ost- und Westpreußen mit Berlin.

Nach dem Beitritt Polens zur EU (2004) und dem Schengener Abkommen (2007) hatte die Strecke auch für polnische Pendler zwischen Kostrzyn (Küstrin) und Berlin-Lichtenberg an Bedeutung gewonnen. Deutsche und polnische Bahn streben eine Modernisierung und Weiterführung der alten Ostbahn zunächst bis Gorzow, (dem früheren Landsberg an der Warthe) an. Der Ersatz der alten Eisenbahnbrücke über die Oder bei Küstrin-Kietz ist ein erster Schritt.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 24.04.2020, 19:30 Uhr

Beitrag von Mark Albrecht

4 Kommentare

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  1. 4.

    Jede Investition in die Brandenburger Infrastruktur, ist eine gute Investition.

  2. 2.

    Muss es nicht statt Königsberg in der Ostprignitz Königsberg in Ostpreußen heißen?

  3. 1.

    Ggf. ein Hinweis an die rbb24-Redaktion:
    Ich denke, es müsste sich um Königsberg (Ostpreußen) handeln, als das bekannteste Königsberg, dem auch Emmanuel Kant entstammt.

    Andere Königsberge gab und gibt es natürlich auch. Die Bahnlinie folgt damit weitestgehend der früheren transeuropäischen Straßenverbindung in gleicher Richtung, bevor Nationalisten sie zum nationalen Symbol eigener Größe machten und deren "Charakter" damit auf den Kopf stellten.

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