Häuserretter zweifeln an Genehmigung - Denkmalgeschütztes Haus im Oderbruch abgerissen

Di 19.05.20 | 13:10 Uhr
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Zerfallenes Vorlaubenhaus unter Denkmalschutz in Lüdersdorf
Audio: Antenne Brandenburg | 19.05.2020 | Michael Lietz | Bild: rbb

Im Oderbruch streiten die Denkmalschutzbehörde und eine Initiative zur Rettung historischer Gebäude über den Abriss eines 300 Jahre alten Gasthauses. Das hätte erhalten werden können, sei aber an überlasteten Behörden gescheitert. Von Michael Lietz

In Wriezen (Märkisch-Oderland) im Oderbruch ist ein denkmalgeschütztes Haus abgerissen worden. Und zwar mit Genehmigung der Denkmalschutzbehörden. Das so genannte Vorlauben- oder Giebelhaus sei einsturzgefährdet und nicht mehr zu retten gewesen, so die Behörde. Eine Initiative aus Ostbrandenburg, die denkmalgeschützte Objekte vor dem Verfall und Abriss bewahren will, bezweifelt das jedoch.

Historische Aufnahme vom Vorlaubenhaus
Historische Aufnahme | Bild: rbb

Ein Stück Geschichte - bis zu Napoleon und Fontane

280 Jahre hat das historische Gebäude vor seinem Abriss im Wriezener Ortsteil Lüdersdorf gestanden. Und von seiner Art gibt es in Brandenburg nur noch wenige: Unter der Vorlaube, die den Giebel verlängert und wie ein Vordach funktionierte, konnten Pferdekutschen halten und Gäste trockenen Fußes in das ehemalige Gasthaus gelangen. Der Legende nach sollen sogar Napoleon und Fontane hier abgestiegen sein.

Der ehemalige Besitzer Siegfried Scheer wurde vor 82 Jahren im Vorlaubhaus geboren. Als es zu baufällig wurde, verkaufte er es und baute nebenan neu. In den letzten 30 Jahren stand das Haus leer und soll laut Gutachten einsturzgefährdet gewesen sein.

Im Januar kamen dann die Abrissbagger und innerhalb weniger Tage war von einem Teil der Ortsgeschichte nichts mehr übrig. Nur ein paar Bilder und Erinnerungen sind dem Lüdersdorfer Scheer geblieben, der über seinen Zaun wehmütig auf das leere Grundstück blickt.

Denkmalschutz erteilte Genehmigung

Brandenburgs oberstem Denkmalschützer Thomas Drachenberg zufolge sei das Haus physisch nicht mehr zu retten gewesen. Schweren Herzens habe die Behörde deshalb die Genehmigung erteilt und somit dem Abriss zugestimmt, so Drachenberg.

Die Genehmigung stützt sich auf ein Gutachten, dass im Auftrag des neuen Eigentümers angefertigt wurde. Der ist Immobilienunternehmer und will sich zu der Angelegenheit auf Anfrage nicht äußern. Auch was er mit dem jetzt freien Grundstück vorhat, bleibt offen.

Zweifel an der Aussagekraft des Gutachtens haben Architektin Kiri Westphal und Zimmermann Mats Ciupka. Sie haben vor einigen Jahren die Initiative "Die Häuserretter" gegründet.

Begonnen hat das Paar 2004 mit ihrem eigenen Heim, einem alten Bauernhaus in der Uckermark. Seitdem haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, historische Gebäude im Norden und Osten Brandenburgs zu erhalten. So steigt der 52-jährige Handwerker Ciupka auch gern mal ungefragt auf alte Dächer um eigenständig Reparaturen vorzunehmen. Aktuell saniert das Paar das zweitälteste Haus von Oderberg. Inzwischen ist die Initiative auch gut vernetzt und berät Bauherren.

Denkmalgeschütztes Vorlaubenhaus Lüdersdorf von innen
Einblick in das Vorlaubenhaus vor dem Abriss | Bild: rbb | Bild: rbb

Häuserretter zweifeln an Gutachten

Auch das Haus in Lüdersdorf haben sich "Die Häuserretter" angesehen und sind zu einem ganz anderen Schluss als das Gutachten gekommen. Das historische Gasthaus sei alles andere als abrissreif gewesen. Sie sprechen von einem "Gefälligkeitsgutachten" der Denkmalbehörden. Kiri Westphal sagt: "Wenn man das Dach und die Balkenanlage gesichert hätte, hätte dieses Haus noch zehn bis zwanzig Jahre dort stehen können." Deshalb hätte sich Mats Ciupka mehr Haltung und Kampfgeist vom Landeskonservator Drachenberg gewünscht.

Behörde überlastet

Der weist den Vorwurf, Gefälligkeitsgutachten zu akzeptieren, zurück - räumt aber ein, dass die fachliche Unterstützung der Bauherren oft zu kurz komme. Die Behörde sei unterbesetzt und habe aufgrund dessen wenig Zeit für Beratungsgespräche. Darunter leidet die Qualität der Denkmalpflege, so der Konservator.

Die Folge des Fachkräftemangels in den Denkmalämtern sei laut Kiri Westphal nun in Lüdersdorf bei Wriezen nun zu sehen - und das fast 300 Jahre alte Vorlaubenhaus nicht mehr.

Sendung: Antenne Brandenburg, 19.05.2020, 14:10 Uhr

8 Kommentare

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  1. 8.

    Überall verfällt Geschichte im Land wie User VK zu recht feststellt. Oft wird schon gar nicht mehr unter Denkmalschutz gestellt. In Potsdam anderseits das Geld für Attrappen verbaut. Allein bei der Nazikirche in Potsdam sind Millionen Steuergelder und zusätzlich Kirchengelder verbaut. Die Kirche die an andere Stelle immer gleich nach Steuergelder schreit. Allein für Stadtkirche in Pritzwalk wurden 619.000 Euro über das Brandenburger Agrarministerium gezahlt. Die Seilschaften der Kirche reichen selbst in das Agrarministerium.

  2. 7.

    Wenn ich mir vorstelle, was in 50 Jahren noch steht von dem, was heute langsam verfällt...in den Dörfern von Brandenburg und MV, dann graut es mir. Gutshäuser, Höfe, Ställe, Scheunen, Bahnanlagen, Fabriken... wunderschöne Architektur, Geschichte. Das alles wird zusammenfallen oder für einen Discounter oder einen Immobilienentwickler abgerissen. Was bleibt sind modernisierte wärmeisolierte Häuser mit Plastikfenstern.

  3. 6.

    Großen Dank an den rbb und vor allem an Michael Lietz, der auch hier wieder sich sehr gut einem Thema angenommen hat. Genau mit diesen Recherchen, abseits der Hauptstadt punktet der rbb bei den Nutzern. Michael Lietz beweist auch, es ist nicht unwichtig ob der Journalist aus der Region kommt und dort wohnt, denn er zeigt Herz und Leidenschaft für das was er tut. Im rbb Studio in Frankfurt gibt es noch andere gute Kolleginnen und Kollegen. Spielen Sie diese Stärke weiter aus, lieber rbb. Für das Haus ist es extrem schade und gleicht einem Skandal.

  4. 5.

    Da fällt mir gleich das Kiesslinghaus in Frankfurt ein. Man lässt die Häuser einfach so lange leer stehen und vergammeln, bis sie nur noch abgerissen werden können. Und dann kommt der Immobilienhai und macht aus dem Grundstück Profit ohne Ende. Für das Schloss im OT Rosengarten wird es wohl nicht anders enden. Sehr traurig.

  5. 4.

    Nazikirche?
    Logisch, musste ja kommen darf nicht fehlen.

  6. 3.

    Schön, mal wieder von "Den Häuserrettern" zu lesen. Ich hatte vor einiger Zeit das Vergnügen, die beiden persönlich kennenlernen zu dürfen. Sehr angenehme und sympathische Menschen. Die Region kann sich glücklich schätzen, daß dort auch Menschen leben, die noch ein Gespür für Baukultur haben und sich derart engagieren. So etwas gibt es leider viel zu selten.

  7. 2.

    Danke RBB für diesen Beitrag. Welch Armutszeugnis für das Land Brandenburg und den Landeskonservator Drachenberg. Aber gleichzeitig historisch wertlose Kopien wie die Nazikirche und den Rosa Klotz in Potsdam bauen. 30 Jahre wären Zeit gewesen. Leider ist dies kein Einzelfall. Eine Liste mit dem was alles in den letzten Jahren verloren gegangen ist wäre gut. Hatte der Immobilienunternehmer je vor das Haus zu sanieren? Ist der Immobilienunternehmer so arm, dass er nicht als Auflage eine Sanierung vom Denkmalamt bekommen hat?

  8. 1.

    Mein Gott, dann baut doch die Hütte originalgetreu wieder auf. Der Bausubstanz kann das gerecht werden.

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