Afghanische Ortskräfte der Bundeswehr - "Wenn wir das Land nicht verlassen, werden sie uns töten"

Nur noch wenige Monate, dann verlässt die Bundeswehr nach fast 20 Jahren Afghanistan. Zurück bleiben einheimische Helfer, die die Soldaten untersützt haben. Viele von ihnen fürchten nun um ihre Sicherheit. Ein Verein aus Brandenburg hilft.
Die Bundeswehr zieht sich aus Afghanistan zurück. Noch gut 100 Tage, dann kehren auch die letzten Brandenburger Soldaten beispielsweise in die Kaserne nach Storkow (Oder-Spree) zurück. Was bleibt, ist ein tief zerrissenes Land, in dem die radikalen Taliban wohl wieder eine wichtige Rolle spielen werden. Afghanen, die vor Ort als Angestellte der Bundeswehr arbeiten - zum Beispiel als Dolmetscher oder Fahrer - fürchten nun um ihr Leben.
"Die Gesellschaft bezeichnet uns als Spione oder auch als Täter"
Per Skype spricht Marcus Grotian, Chef des "Patenschaftsnetzwerks Ortskräfte", von seiner Wohnung in Eberswalde (Barnim) aus mit Beschäftigten der Bundeswehr in Afghanistan. Er und sein Verein mit Sitz in Brandenburg kümmern sich um diese Menschen.
An diesem Mittwoch spricht Grotian mit Ahmad Jawid Sultani. Bis 2017 hat Sultani zehn Jahre als Dolmetscher für das deutsche Militär gearbeitet. Nach dessen Abzug sieht er sein Leben bedroht. "Die Gesellschaft bezeichnet uns als Spione oder auch als Täter", sagt Sultani. "Wenn wir das Land nicht verlassen, werden sie uns töten oder uns passiert auf andere Weise etwas Schreckliches."
Seit dem Jahr 2003 sind Bundeswehr-Soldaten als Teil einer internationalen Truppe in Afghanistan stationiert. Nun hinterlassen sie ein Land, in dem die Taliban zurück an die Macht drängen, sagt Marcus Grotian. Ihm zufolge sollen die Taliban Teil der Regierung werden. "Ein Teil dieser Regierung sieht unsere Ortskräfte als Verräter an. Was die gemacht haben, ist für Ungläubige zu arbeiten und denen zu helfen, dem eigenen Land zu schaden."

Bundesregierung verspricht Hilfe
Prinzipiell haben Ortskräfte wie Ahmad Jawid Sultani deshalb Chancen für eine Aufnahme in Deutschland. Marcus Grotian setzt sich ehrenamtlich für sie ein. Beruflich ist er Hauptmann im Einsatzführungskommando in Geltow (Landkreis Potsdam-Mittelmark) und will Stimme für die afghanischen Helfer der Bundeswehr sein.
Auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat sich in der vergangenen Woche in den ARD-Tagesthemen für eine wohlwollende Prüfung ausgesprochen. Ihr zufolge ist das Ziel, diejenigen, die in den vergangenen Jahren an der Seite der Deutschen standen, zusammen mit ihren Familien in die Bundesrepublik in Sicherheit zu bringen. "Das betrifft die, die jetzt oder in den letzten zwei Jahren für uns gearbeitet haben. Eine offene Frage ist, wie wir mit denen aus der Vergangenheit umgehen." Laut Verteidigungsministerium soll Anfang Juni sowohl in Masar-i-Sharif als auch in Kabul jeweils ein sogenanntes Ortskräftebüro eingerichtet werden. Dort könnten Beschäftigte der Bundeswehr ihre Gefährdung darlegen. Mehr als 400 Ortskräfte hätten bereits einen entsprechenden Ausreiseantrag gestellt.
Praktisch passiere allerdings viel zu wenig, sagt Patenschafts-Chef Marcus Grotian. Allein von Ahmad Sawid Sultani seien inzwischen sieben Anträge abgelehnt worden. "Wenn er nicht genau nachweisen kann, dass er wirklich bedroht ist, dann wird halt abgelehnt. Es ist schwer, wenn man erstmal eine Kugel der Taliban in der linken Herzkammer braucht, um beweisen zu können, dass man bedroht wird."
Die Mitstreiter des Vereins wollen weiter Druck machen. Denn mit dem raschen Abzug der Bundeswehr läuft auch die Zeit gegen viele Ortskräfte.
Sendung: Antenne Brandenburg, 27.05.2021, 16:10 Uhr
Mit Material von Michel Nowak