Praxis an der polnisch-belarussischen Grenze - "Pushback" ist das Unwort des Jahres 2021

Die Suche nach dem Unwort des Jahres 2021 wurde zwar von der Corona-Debatte dominiert - gewählt wurde mit "Pushback" jedoch ein Begriff aus dem Migrations-Diskurs. Er beschönige einen menschenfeindlichen Prozess, kritisierte die Jury.
Das "Unwort des Jahres" 2021 lautet "Pushback". Damit rügt die Jury der sprachkritischen Aktion einen Begriff aus der Migrationsdebatte. Der aus dem Englischen stammende Ausdruck bedeute zurückdrängen oder zurückschieben und sei im vergangenen Jahr von ganz unterschiedlichen Politikern, Journalisten oder Organisationen in der Diskussion um die Einwanderung über die EU-Außengrenzen aufgegriffen worden, sagte die Sprecherin der Jury, Constanze Spieß, am Mittwoch.
"Pushback" folgt damit auf die Begriffe "Corona-Diktatur" und "Rückführungspatenschaften", die im vergangenen Jahr zu Unwörtern des Jahres erklärt wurden.
Verschleierung des Verstoßes gegen die Menschenrechte
Die Jury kritisierte die Verwendung des Begriffs "Pushback", damit werde ein Prozess beschönigt, der Menschen auf der Flucht die Möglichkeit nehme, das Menschen- und Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen. Der Einsatz des Fremdworts trage zur Verschleierung des Verstoßes gegen die Menschenrechte und das Grundrecht auf Asyl bei. Außerdem würden mit dem Gebrauch des Ausdrucks die Gewalt und Folgen wie Tod, die mit dem Zurückdrängen von Migranten verbunden sein können, verschwiegen.
"Pushback" zuletzt Thema an polnisch-belarussischer Grenze
Augenfällig wurde diese Praxis zuletzt auch an der polnisch-belarussischen Grenze, wo Polen Geflüchtete nach ihrem Grenzübertritt wieder zurück nach Belarus schickte. Hiervon berichteten immer wieder polnische Hilfsorganisationen. Viele Geflüchtete versuchten daraufhin erneut, nach Polen zu gelangen und campierten in eisiger Kälte an einem von Polen aufgestellten Grenzzaun.
Offiziell vermied es die polnische Regierung immer wieder, das Wort "Pushback" in den Mund zunehmen. Gleichwohl wurde aber zuletzt eine Rechtgrundlage verabschiedet, die es erlaubt, in Polen aufgegriffene Geflüchtete wieder an die polnisch-belarussische Grenze zurückzuführen.
Warschau und die EU warfen in diesem Zusammenhang dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, Menschen aus Krisenregionen extra einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Die EU erklärte, dass Migranten nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden dürften.
Hunderte Geflüchtete schaffte es bis nach Deutschland. In Brandenburg Angetroffene wurden in die Erstaufnahmeeinrichtung nach Eisenhüttenstadt verbracht. Auch wenn diese möglicherweise kein Bleiberecht haben, erfolge hier die Registrierung und gegebenfalls auch ein Asylverfahren, so die Bundespolizei. Seit einiger Zeit ginge laut Bundespolizei die Zahl Geflüchteter über die Fluchtroute Belarus zurück.
Der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, erklärte, die Sprachexperten würden ein Schlaglicht auf eine unmenschliche Praxis werfen. Er forderte zum Handeln auf: "Das Unwort des Jahres - 'Pushback' - darf nicht zum Unwort des Jahrzehnts werden."
Meiste Zusendungen zum Unwort drehten sich um Corona-Pandemie
Die Jury der sprachkritischen Aktion erhielt nach eigenen Angaben für das Jahr 2021 insgesamt 1.308 Einsendungen, in denen 454 verschiedene Ausdrücke für die Wahl des Unworts vorgeschlagen wurden. Nur knapp 45 Ausdrücke hätten aber den Kriterien der Jury entsprochen.
Mit 287 Einsendungen war "Tyrannei der Ungeimpften" der mit Abstand häufigste Vorschlag. Es folgten "illegaler Kindergeburtstag" mit 71 und "Querdenker" mit 47 Einsendungen. Oft genannt wurden auch andere Begriffe im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wie "boostern", "Covidiot" oder "Pandemie der Ungeimpften".
Die Jury der unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion wählte auf Platz zwei den Begriff "Sprachpolizei", mit dem Menschen diffamiert werden sollten, die sich für einen angemessenen, nicht diskriminierenden Sprachgebrauch einsetzen. Auf Platz drei kamen Vergleiche mit dem Nationalsozialismus, die im Zuge der Corona-Demonstrationen von Impfgegnern und -gegnerinnen verwendet wurden - etwa "Impfnazi" oder "Ermächtigungsgesetz" für Infektionsschutzgesetz. Die deplatzierte Verwendung solcher Ausdrücke führe zur Verharmlosung des Nationalsozialismus, zur Verhöhung der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur und in manchen Fällen zu einer Opfer-Täter-Umkehr, erklärten die Juroren.
Die Jury bestand aus den vier Sprachwissenschaftlern Kristin Kuck (Magdeburg), Martin Reisigl (Wien), David Römer (Trier) und Constanze Spieß (Marburg) sowie der freien Journalistin Katharina Kütemeyer. Den jährlich wechselnden Mitgliederplatz hatte in diesem Jahr der Journalist Harald Schumann. Als Gastjuror durfte Schumann ein persönliches Unwort des Jahres benennen - er wählte den Begriff "Militärschlag". Dieser sei eine zutiefst euphemistische Bezeichnung für einen aggressiven kriegerischen Akt.
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