Wiederansiedlungsprogramm an der Oder - Wissenschaftler hoffen auf Rückkehr des Baltischen Stör

Mo 25.04.22 | 18:06 Uhr | Von Fred Pilarski
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Ein junger Stör mit einer Markierung liegt auf der Hand von Jörn Gessner vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei am 31.05.2017 am Fluss Oder in Lebus (Brandenburg) (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Brandenburg Aktuell | 22.04.2022 | Video: Fred Pilarski | Bild: dpa/Patrick Pleul

Seit 15 Jahren läuft an der Oder ein Wiederansiedlungsprogramm für den Stör. Die ausgestorbene Wanderfischart gilt als Anzeiger für die Qualität des Flusssystems. Bauliche Veränderungen an der Oder scheinen den Erfolg des Projekts zu gefährden.

Sie können sich jahrzehntelang an den Geruch ihrer Kinderstube erinnern, leben im Meer und laichen in Flüssen. Baltische Störe orten ihre Beute mit elektrischen Feldern und dank ihrer Barten-Fühler wissen sie schon, wie sie schmeckt - noch bevor sie ihr Rüsselmaul öffnen. Sie können 60 Jahre alt und bis zu viereinhalb Meter lang werden. Über 250 Millionen Jahre haben sich die Baltischen Störe perfekt an die Umgebung angepasst. Seit mehr als 50 Jahren ist die Wanderfischtart ausgestorben. "Sie haben Eiszeiten überlebt und Saurier", sagt der Fischbiologe Jörn Gessner, "nur die Zweibeiner haben sie nicht überstanden, weil die kein Maß kannten beim Eingriff in ihre Lebensräume und ihre Bestände".

Wissenschaftler haben vor einigen Jahren herausgefunden, dass der Baltische Stör genetisch nichts anderes als eine Unterart des Atlantischen Störs war. Nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Stör, gewissermaßen einer Schwesterart. Von der besagten Unterart des Atlantischen Störs sind noch genügend Tiere in Kanada erhalten.

Nachzuchtprozess in Deutschland beginnt 2005

2005 holten Jörn Gessner und sein Team vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) einige davon für die Nachzucht nach Deutschland und brachten sie in die Aufzuchtstation Born auf der Ostseehalbinsel Darß. 2007 setzten sie die ersten 50 nachgezüchteten Exemplare nicht weit von Schwedt (Uckermark) in die Oder.

Inzwischen sind es 3,5 Millionen Störe, die an verschiedenen Stellen in der Oder ausgesetzt wurden – vor allem an Orten, die als Laichplätze in historischen Beschreibungen auftauchen. Aufgezogen werden sie meist bei Fischereibetrieben in der Nähe der Einsetzstellen, unter anderem auch im Fischereihof an der Blumberger Mühle bei Angermünde.

Störe als Anzeiger für intaktes Flusssystem

Heute, 15 Jahre später, sollten die ersten ausgesetzten Tiere geschlechtsreif sein. Das heißt, dass die Wanderfische bald zum Laichen zurückkehren dürften an ihre Herkunftsorte. Eine erste Meldung gab es schon 2017. Ein Angler hatte im Oderbruch einen kapitalen Stör herausgeholt und den streng geschützten Fisch mit nach Hause genommen - statt ihn wieder in den Fluss zu lassen, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Projektleiter Jörn Gessner vermutet allerdings, dass der Fang nicht zur ersten Generation, sondern zu einer kleinen Gruppe Störe gehörte, die später in höherem Alter ausgesetzt wurden.

Dieses oder nächtes Jahr könnten die ersten 15-jährigen Störe tatsächlich kommen, hoffen die Wissenschaftler und auch der Naturschutzbund NABU, der das Projekt unterstützt. Für dessen Präsidenten Jörg Andreas Krüger würde ein Erfolg zeigen, dass das Flusssystem halbwegs intakt ist. "Da, wo wir das nicht mehr haben, haben wir zu hohe Abflussgeschwindigkeiten, zu hohe stoffliche Belastungen, zu viel Verschmutzung. Das führt dann auch dazu, dass damit insgesamt Probleme mit dem Grundwasserhaushalt, mit der Trinkwasserversorgung und vielen anderen Dingen, die der Fluss uns bietet, einhergehen. Insofern sei der Stör mehr ein Museumsstück, das wieder in die Landwirtschaft gebracht werde.

Sorge wegen Odervertiefung

Vor allem brauche der Stör eine vielfältig strukturierte Unterwasserlandschaft, sagt der Biologe Jörn Gessner. Nun haben auf polnischer Seite Arbeiten zur Vertiefung der Oder begonnen. Damit, so fürchtet der Forscher, könnten die gerade erst wiederentstehenden Lebensräume der uralten Wanderfische zerstört werden. Gessner ist der Meinung, dass sich der Schutz der Fischfauna durchaus mit nachhaltiger Schifffahrt vertragen könnte. Gleichzeitig betont er: "Aber die hängt nicht daran, dass wir neue Buhnen bauen, dass wir den Fluss weiter einengen, dass wir Sediment die Oder runterjagen für vermeintlich größere Tauchtiefen."

Mehrfach hatten Wissenschaftler des Leibniz-Instituts IGB auf die Gefahr hingewiesen, dass mit der Eintiefung der Oder die Grundwasserstände in den Randbereichen absinken – eine Gefahr für die Flussauen [igb-berlin.de]. Das IGB liefert sich darüber seit Jahren eine Kontroverse mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) in Karlsruhe, die diese Gefahren für beherrschbar hält. Die aktuellen Bauarbeiten gehen auf ein Konzept der BAW zurück.

 

Sendung: Antenne Brandenburg, 25.04.2022, 14:10 Uhr

Beitrag von Fred Pilarski

6 Kommentare

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  1. 6.

    Ach, Gottchen ja, die Störe sind nun das Problem, wenn Polen die Oder wieder schiffbar macht. Vor knapp zehn Jahren hat man auch Störe in der Elb-Fahrrinne nach Hamburg ausgewildert. Seinerzeit war zu lesen, "Die Störe kommen gut zurecht".

    https://www.abendblatt.de/ratgeber/wissen/article128486322/Die-angesiedelten-Stoere-kommen-gut-zurecht.html

    Polen braucht die Anbindung an einen Containerhafen. Der ist in Swinemünde geplant und hätte im Endausbau eine Kapazität von einem Fünftel des Hamburger Containerhafens. Den Massenguttransport darüber abzwickeln ist in der Gesamtumweltbilanz weit günstiger, als alles über die Autobahn zu transportieren. Selbstverständlich geht niemand von den Nabu-Kritikern, ich hatte die Bilanz im Eingangsposting genannt, auf die Umweltvorteile ein.

  2. 5.

    "Ein Binnenschiff kann eine Tonne Ladung bei gleichem Energieverbrauch beinahe viermal so weit transportieren wie ein LKW. "

    Das Schiff wird im Massengutverkehr (z.B. Kies) doch gern genutzt, fährt jedoch leider immer noch nur von Hafen zu Hafen. Die Baustelle ist selten am Hafen, so daß der Kies per LKW zur Baustelle kommt. Funktioniert seit einigen Jahrzehnten wunderbar.

  3. 4.

    Was für ein schönes Bild...gleich am Anfang. "Moritz" hat in sofern recht, dass die polnische Seite nicht vor hat, die Natur zu gefährden: Man will, ähnlich der Havel, von See zu See, schiffbar gestalten, im Einklang... Da sind Behauptungen wie "Fluss weiter einengen, dass wir Sediment die Oder runterjagen" direkt "feindlich" ausgerichtet um direkt an anderer Stelle zu sagen "Schutz der Fischfauna durchaus mit nachhaltiger Schifffahrt vertragen könnte" zur Verwirrung der deutschen Seite vollkommen beiträgt. Gestalten ist besser als zugucken...

    P.S. Gut ist es, nach 15 Jahren zu hören, was passiert ist. Wir lesen hier zu viele "Könnte"-Artikel in einer Art und Weise, dass dieses "Könnte" auch eintritt... um einfachste Ideen, "weit ab vom Schuss", finanziell zu rechtfertigen.

  4. 3.

    Ach, pfeifen wir doch auf die Natur. Kann man alles mit der co2 Einsparung rechtfertigen. Da kann man ruhig auch noch den nächsten Europäischen Fluß zur Autobahn ausbauen. Und sie wird auch nicht "wie vor dem Krieg" ausgebaut, sondern deutlich massiver. Ehrlich gesagt empfinde ich nicht den rbb als einseitig, sondern ihre Darstellung.

  5. 2.

    Einseitig ist hauptsächlich, was Sie von sich geben. Der rbb hat doch nun von beiden Seiten berichtet.

  6. 1.

    Diese einseitige Betrachtung ist nicht zielführend. Natürlich kann es zu Beeinträchtigung bei der Wiederansiedlung des ausgestorbenen Störs kommen. Polen möchte die Oder wie zu Vorkriegszeiten für den Massenguttranspot wieder schiffbar zu machen von Stettin bis Cosel in Oberschlesien. Es ist doch Wahnsinn, mit dem Massengutverkehr mit LKWs die Straßen zuzustopfen.
    Ein Binnenschiff kann eine Tonne Ladung bei gleichem Energieverbrauch beinahe viermal so weit transportieren wie ein LKW. Verursacht im Vergleich mit dem LKW und der Bahn die geringsten Klimagas-, Luftschadstoff-, Unfall-, und Lärmkosten (=externe Kosten).
    Dass Polen jetzt nicht länger zuwarten möchte liegt an der nicht sehr konstruktiven deutschen Seite.

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