Selbstversorger in der Uckermark - Pflanzen, füttern - und mit 60 Jahren noch mit einer Ziege kämpfen

Immer mehr Menschen wollen einen Gemüsegarten haben. Pandemie, Krieg und Inflation verstärken diesen Trend wohl noch. Lässt sich der Weg zum Supermarkt sparen? Wie ein Australier in der Uckermark versucht, sich selbst zu versorgen. Von Juan F. Álvarez Moreno
Gänse schnattern auf der Wiese, Enten schwimmen über den Teich, eine Schaf-Familie blökt hinter dem Zaun. Um das Haus herum sieht man Hochbeete aus Holz, Gemüsepflanzen, Obstbäume und überall ein bisschen Unordnung. Hier in Damme, ein Dorf in der Nähe von Prenzlau (Uckermark), wohnt der Grundschullehrer Jon Cole. "Es sieht einfach herrlich aus", sagt er. "Dieser brandenburgische Himmel ist wie in Australien."
Von Australien über Berlin in die Uckermark
Vor drei Jahren zog der Australier Jon Cole aus Berlin in die Uckermark, wo er nun als Selbstversorger lebt: Er isst fast nur, was im Garten wächst oder läuft – denn er ist kein Vegetarier. Damit merkt der 53-Jährige noch wenig von der Inflation, die im Mai fast bei acht Prozent lag. In Zeiten von steigenden Preisen, Krieg in der Ukraine und Corona-Pandemie fragen sich immer mehr Menschen dasselbe wie Cole: Woher sollen meine Lebensmittel kommen?

Mehr als die Hälfte der Deutschen, die in Städten wohnen, würden gern aufs Land ziehen, wie eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Kantar ergab [deutschlands-marktforscher.de]. Etwa 100 Quadratmeter Garten braucht ein Mensch, um sich selbst zu versorgen. Agrarbetriebe in Brandenburg sind laut dem Statistischen Bundesamt im Durchschnitt fast 25.000-mal so groß (242 Hektar).
"Hier war früher wirklich nichts"
Jon Cole verfügt über eine Fläche von etwa 1,5 Hektar. Etwa zwei Fußballfelder. Als er sein Grundstück gekauft hatte, war der Boden bedeckt mit Betonplatten, Kopfsteinpflaster und vielen Scherben. "In der DDR-Zeit war es hier normal, den Müll einfach so zu entsorgen", sagt er. Cole bedeckte vieles mit Erde, baute Hochbeete, pflanzte Bäume. "Hier war früher wirklich nichts."
Nun gibt es viele Gemüsepflanzen, eine Wiese mit Obstbäumen, Gras und Parzellen, auf denen die Tiere weiden. Alle drei Monate gehen sie in die nächste Parzelle, damit das Gras nachwachsen kann. Cole hat chinesische und fränkische Gänse, Lauf- und Flugenten. Dazu noch Schafe und eine Ziege. "Die essen nur Gras. Sie sind wirklich Selbstversorger", sagt er schmunzelnd.
Und sein Ertrag ist groß: Eier, frisches Gemüse, Bohnen, Kräuter, Beere und Nüsse. Und auch die Tiere zählen dazu: "Im Herbst werde ich Enten schlachten", sagt er. "Ich werde das Fleisch essen und genießen." Vor kurzem ließ er auch zwei Schafe schlachten.
Selbstversorgung ist nicht kostenlos
Für den Ertrag seiner Flächen muss Cole aber viel arbeiten: "Etwa sechs Stunden am Tag", sagt er. "Ich wache um 5:30 Uhr auf, alle 20 Minuten klingelt der Wecker und ich wechsle die Tätigkeit", erklärt er weiter. Dabei muss er gießen, auspflanzen, ernten, Tränke befüllen und Tiere füttern. Drei Tage pro Woche arbeitet er in einer uckermärkischen Dorfschule. Der Arbeitsweg erledigt er mit Rad und Bus. Ein Auto hat er nicht.
Die Selbstversorgung kostet aber auch Geld: "Etwa 1.000 Euro im Jahr für den Garten und 150 im Monat für die Tiere." Dazu kommen noch diverse Versicherungen, grüner Strom und Trinkwasser – denn seine drei Speicher für Regenwasser reichen nicht aus. Im Winter braucht Jon Cole Holz, denn er hat keine Heizung. Er besitzt auch keine Dusche; Freunde erlauben ihm, im benachbarten Gutshaus zu duschen. Ein Klo hat er nicht, nur einen Eimer: eine gute Kompost-Quelle.
Der Garten als Kreislauf
Am frühen Nachmittag bringt er sieben frisch geschlüpfte Entenküken in die Sonne. Noch in der Box piepsen sie pausenlos. Er lässt sie auf dem Hochbeet laufen, dann ist es still. Ihr Kot düngt die Erde - schon das ist Teil der sogenannten Permakultur. Dabei geht es um eine Form der Landwirtschaft – fast eine Philosophie –, die viele Selbstversorger:innen inspiriert.
"Die Permakultur ist ein System, in dem sich alles gegenseitig unterstützt beim natürlichen Wachsen. Es geht um natürliche Kreisläufe und auch darum, wenig Wasser zu benutzen und wenige äußerliche Dinge einzubringen". Der Garten funktioniert also wie ein natürlicher Kreislauf – und die Tiere dürfen mitmachen.

Viele Theorien der Permakultur wurden durch die Bücher des britischen Gärtners John Seymour aus den 70er-Jahren bekannt. Man findet sie auch im Bücherregal von Jon Cole in der Uckermark. Seymour wollte mit seinen Büchern Menschen dazu bringen, nachhaltiger zu leben. Er zeigte, wie man ein kleines Grundstück so benutzen kann, dass ein möglichst geschlossener natürlicher Kreislauf entsteht. Dabei sind Monokulturen – wie man sie überall in Brandenburg findet – tabu.
Trend lässt sich schwer messen
Doch wollen wirklich viele Menschen wie Cole leben? "Es gibt sicher einen Trend in dem Bereich", sagt Ralf Bloch, der an der HNE Eberswalde zur Agrarökologie und nachhaltigen Anbausystemen lehrt und forscht. "Auch als Resultat der Pandemie, als ein neuer Zugang zur Ernährung und zum Kochen." Dank Home-Office können auch viele Menschen mehr Zeit auf dem Land verbringen, so Bloch. Dieser Trend lässt sich aber schwer messen, das Statistische Bundesamt berücksichtigt die Selbstversorgung nicht als Teil der Landwirtschaft.
Bloch sieht als Vorteil der Selbstversorgung, dass man "versteht und wertschätzt, wie Lebensmittel erzeugt werden". Dabei gehe es nicht nur um den Preis, die Kosten oder die Arbeitskraft – sondern auch um Begeisterung und Freude. "Was verlangt der Garten von uns heutzutage? Zwei Dinge, die sehr kostbar sind: Zeit und Zuwendung", fasst er zusammen. Doch warnt er auch: "Der Aufwand ist sehr groß."
Für Cole lohnt es sich trotzdem: "Ich wollte eine Verbindung mit der Natur haben", sagt er. Die Entscheidung habe sein Leben verändert und verbessert. "Ich habe ein glückliches Leben. Und dann merke ich, wie wenige Leute wissen, wie die Sachen eigentlich wachsen oder wie ein Lebewesen lebt."
Man kann nicht alles anbauen
Ganz dogmatisch will Cole auch nicht Leben, wie er sagt. Pasta, Mehl, Zucker, Kaffee und Kakao kaufe er im Bio-Laden. Einiges lässt sich ändern, so hat er gerade eine Nudelmaschine gekauft. Doch manches wie Waschmittel oder Batterien kann man nicht einfach so herstellen. Und wenn Jon Cole ganz erschöpft ist, sagt er nicht nein zur Tiefkühlpizza, wie er zugibt.
Irgendwann soll auch eine Kuh in das Grundstück einziehen. "Ich möchte Milch und Käse herstellen", sagt Cole. Und er plant, Bier selbst zu brauen.
Jon Cole sei froh, dass er den Schritt in die Selbstversorgung schon gewagt hat, sagt er. Denn ihm sei klar, dass mit zunehmendem Alter alles schwieriger wird. Vor ihm stehen also noch einige Jahre mit Garten und Tieren. "Wobei - mit 60 noch mit einer Ziege zu kämpfen ... Wer weiß", sagt er und lacht.
Sendung: Antenne Brandenburg, Antenne am Nachmittag, 31.05.2022, 15:10 Uhr
Von Juan F. Álvarez Moreno