Selbstversorger in der Uckermark - Pflanzen, füttern - und mit 60 Jahren noch mit einer Ziege kämpfen

Di 31.05.22 | 14:18 Uhr | Von Juan F. Álvarez Moreno
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Grundschullehrer Joe Cole mit seiner Ziege
Audio: Antenne Brandenburg | 31.05.2022 | Juan F. Álvarez Moreno | Bild: rbb/Juan F. Álvarez Moreno

Immer mehr Menschen wollen einen Gemüsegarten haben. Pandemie, Krieg und Inflation verstärken diesen Trend wohl noch. Lässt sich der Weg zum Supermarkt sparen? Wie ein Australier in der Uckermark versucht, sich selbst zu versorgen. Von Juan F. Álvarez Moreno

Gänse schnattern auf der Wiese, Enten schwimmen über den Teich, eine Schaf-Familie blökt hinter dem Zaun. Um das Haus herum sieht man Hochbeete aus Holz, Gemüsepflanzen, Obstbäume und überall ein bisschen Unordnung. Hier in Damme, ein Dorf in der Nähe von Prenzlau (Uckermark), wohnt der Grundschullehrer Jon Cole. "Es sieht einfach herrlich aus", sagt er. "Dieser brandenburgische Himmel ist wie in Australien."

Von Australien über Berlin in die Uckermark

Vor drei Jahren zog der Australier Jon Cole aus Berlin in die Uckermark, wo er nun als Selbstversorger lebt: Er isst fast nur, was im Garten wächst oder läuft – denn er ist kein Vegetarier. Damit merkt der 53-Jährige noch wenig von der Inflation, die im Mai fast bei acht Prozent lag. In Zeiten von steigenden Preisen, Krieg in der Ukraine und Corona-Pandemie fragen sich immer mehr Menschen dasselbe wie Cole: Woher sollen meine Lebensmittel kommen?

In seinem Garten wächst und gedeiht es.
Bild: rbb/Juan F. Álvarez Moreno

Mehr als die Hälfte der Deutschen, die in Städten wohnen, würden gern aufs Land ziehen, wie eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Kantar ergab [deutschlands-marktforscher.de]. Etwa 100 Quadratmeter Garten braucht ein Mensch, um sich selbst zu versorgen. Agrarbetriebe in Brandenburg sind laut dem Statistischen Bundesamt im Durchschnitt fast 25.000-mal so groß (242 Hektar).

"Hier war früher wirklich nichts"

Jon Cole verfügt über eine Fläche von etwa 1,5 Hektar. Etwa zwei Fußballfelder. Als er sein Grundstück gekauft hatte, war der Boden bedeckt mit Betonplatten, Kopfsteinpflaster und vielen Scherben. "In der DDR-Zeit war es hier normal, den Müll einfach so zu entsorgen", sagt er. Cole bedeckte vieles mit Erde, baute Hochbeete, pflanzte Bäume. "Hier war früher wirklich nichts."

Die Permakultur ist ein System, in dem sich alles gegenseitig unterstützt beim natürlichen Wachsen. Es geht um natürliche Kreisläufe und auch darum, wenig Wasser zu benutzen und wenige äußerliche Dinge einzubringen

Jon Cole, Selbstversorger

Nun gibt es viele Gemüsepflanzen, eine Wiese mit Obstbäumen, Gras und Parzellen, auf denen die Tiere weiden. Alle drei Monate gehen sie in die nächste Parzelle, damit das Gras nachwachsen kann. Cole hat chinesische und fränkische Gänse, Lauf- und Flugenten. Dazu noch Schafe und eine Ziege. "Die essen nur Gras. Sie sind wirklich Selbstversorger", sagt er schmunzelnd.

Und sein Ertrag ist groß: Eier, frisches Gemüse, Bohnen, Kräuter, Beere und Nüsse. Und auch die Tiere zählen dazu: "Im Herbst werde ich Enten schlachten", sagt er. "Ich werde das Fleisch essen und genießen." Vor kurzem ließ er auch zwei Schafe schlachten.

Selbstversorgung ist nicht kostenlos

Für den Ertrag seiner Flächen muss Cole aber viel arbeiten: "Etwa sechs Stunden am Tag", sagt er. "Ich wache um 5:30 Uhr auf, alle 20 Minuten klingelt der Wecker und ich wechsle die Tätigkeit", erklärt er weiter. Dabei muss er gießen, auspflanzen, ernten, Tränke befüllen und Tiere füttern. Drei Tage pro Woche arbeitet er in einer uckermärkischen Dorfschule. Der Arbeitsweg erledigt er mit Rad und Bus. Ein Auto hat er nicht.

Die Selbstversorgung kostet aber auch Geld: "Etwa 1.000 Euro im Jahr für den Garten und 150 im Monat für die Tiere." Dazu kommen noch diverse Versicherungen, grüner Strom und Trinkwasser – denn seine drei Speicher für Regenwasser reichen nicht aus. Im Winter braucht Jon Cole Holz, denn er hat keine Heizung. Er besitzt auch keine Dusche; Freunde erlauben ihm, im benachbarten Gutshaus zu duschen. Ein Klo hat er nicht, nur einen Eimer: eine gute Kompost-Quelle.

Der Garten als Kreislauf

Am frühen Nachmittag bringt er sieben frisch geschlüpfte Entenküken in die Sonne. Noch in der Box piepsen sie pausenlos. Er lässt sie auf dem Hochbeet laufen, dann ist es still. Ihr Kot düngt die Erde - schon das ist Teil der sogenannten Permakultur. Dabei geht es um eine Form der Landwirtschaft – fast eine Philosophie –, die viele Selbstversorger:innen inspiriert.

"Die Permakultur ist ein System, in dem sich alles gegenseitig unterstützt beim natürlichen Wachsen. Es geht um natürliche Kreisläufe und auch darum, wenig Wasser zu benutzen und wenige äußerliche Dinge einzubringen". Der Garten funktioniert also wie ein natürlicher Kreislauf – und die Tiere dürfen mitmachen.

Jon Cole hat sich einen Traum erfüllt und genießt die Zeit mit seinen Tieren.

Viele Theorien der Permakultur wurden durch die Bücher des britischen Gärtners John Seymour aus den 70er-Jahren bekannt. Man findet sie auch im Bücherregal von Jon Cole in der Uckermark. Seymour wollte mit seinen Büchern Menschen dazu bringen, nachhaltiger zu leben. Er zeigte, wie man ein kleines Grundstück so benutzen kann, dass ein möglichst geschlossener natürlicher Kreislauf entsteht. Dabei sind Monokulturen – wie man sie überall in Brandenburg findet – tabu.

Trend lässt sich schwer messen

Doch wollen wirklich viele Menschen wie Cole leben? "Es gibt sicher einen Trend in dem Bereich", sagt Ralf Bloch, der an der HNE Eberswalde zur Agrarökologie und nachhaltigen Anbausystemen lehrt und forscht. "Auch als Resultat der Pandemie, als ein neuer Zugang zur Ernährung und zum Kochen." Dank Home-Office können auch viele Menschen mehr Zeit auf dem Land verbringen, so Bloch. Dieser Trend lässt sich aber schwer messen, das Statistische Bundesamt berücksichtigt die Selbstversorgung nicht als Teil der Landwirtschaft.

Bloch sieht als Vorteil der Selbstversorgung, dass man "versteht und wertschätzt, wie Lebensmittel erzeugt werden". Dabei gehe es nicht nur um den Preis, die Kosten oder die Arbeitskraft – sondern auch um Begeisterung und Freude. "Was verlangt der Garten von uns heutzutage? Zwei Dinge, die sehr kostbar sind: Zeit und Zuwendung", fasst er zusammen. Doch warnt er auch: "Der Aufwand ist sehr groß."

Ich habe ein glückliches Leben. Und dann merke ich, wie wenig Leute wissen, wie die Sachen eigentlich wachsen oder wie ein Lebewesen lebt.

Jon Cole, Selbstversorger

Für Cole lohnt es sich trotzdem: "Ich wollte eine Verbindung mit der Natur haben", sagt er. Die Entscheidung habe sein Leben verändert und verbessert. "Ich habe ein glückliches Leben. Und dann merke ich, wie wenige Leute wissen, wie die Sachen eigentlich wachsen oder wie ein Lebewesen lebt."

Man kann nicht alles anbauen

Ganz dogmatisch will Cole auch nicht Leben, wie er sagt. Pasta, Mehl, Zucker, Kaffee und Kakao kaufe er im Bio-Laden. Einiges lässt sich ändern, so hat er gerade eine Nudelmaschine gekauft. Doch manches wie Waschmittel oder Batterien kann man nicht einfach so herstellen. Und wenn Jon Cole ganz erschöpft ist, sagt er nicht nein zur Tiefkühlpizza, wie er zugibt.

Irgendwann soll auch eine Kuh in das Grundstück einziehen. "Ich möchte Milch und Käse herstellen", sagt Cole. Und er plant, Bier selbst zu brauen.

Jon Cole sei froh, dass er den Schritt in die Selbstversorgung schon gewagt hat, sagt er. Denn ihm sei klar, dass mit zunehmendem Alter alles schwieriger wird. Vor ihm stehen also noch einige Jahre mit Garten und Tieren. "Wobei - mit 60 noch mit einer Ziege zu kämpfen ... Wer weiß", sagt er und lacht.

Sendung: Antenne Brandenburg, Antenne am Nachmittag, 31.05.2022, 15:10 Uhr

Von Juan F. Álvarez Moreno

Beitrag von Juan F. Álvarez Moreno

5 Kommentare

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  1. 4.

    Wie Mr. Cole so "gechillt" seinen Kaffee (?) hält, den Wuff krault und nahezu tiefenentspannt in seinem Reich auf dem Stubensessel sitzt und ginst. Klasse. Ohne Ihm zu nahe treten zu wollen, aber so'n bisschen "Mick Dundee" scheint da mit bei zu sein :-) . Irgendwie bin ich ein wenig neidisch. Ich wünsche ihm eine schöne lange Zeit.

  2. 3.

    Nebenbei ist er ja noch Lehrer. Irgendwann ist es für jeden vorbei. Er hat aber glücklich gelebt.

  3. 2.

    Super, allein schon der Beweis, DASS und WIE es geht, aber wie lange wird es gehen? Irgendwann spielt der Körper bei dieser vielen Arbeit nicht mehr mit, und dann?

  4. 1.

    Das macht soviel Arbeit, die so mancher scheut. Die Achtung vor dem Boden und den Nahrungsmitteln steigt dann so doll, dass man nichts mehr verkommen lässt. Um diese innere Wertschätzung zu bekommen, hilft nicht nur reden (was auch wichtig ist), sondern auch, zumindest zeitweise, mitzumachen...
    Auf jeden Fall ist das ein Beweis für das Nichtgelten des "Fauli"-Satzes: "Einfach die Natur machen lassen, die macht das schon." Und was ein Landmensch nicht verträgt ist, wenn nicht ganz so fleißige Ahnungslose ihm Vorschriften machen wollen...

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