Sorge vor neuer Katastrophe an der Oder - "Nur dank der niedrigen Temperaturen blüht die Goldalge gerade nicht"

Di 14.02.23 | 18:34 Uhr | Von Martin Adam
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Tausende tote Fische Treiben auf der Oder. (Foto: Michael Lietz/rbb)
Audio: Antenne Brandenburg | 14.02.2023 | Martin Adam | Bild: Michael Lietz/rbb

Tausende tote Fische trieben im vergangenen Sommer in der Oder. Sie waren von Algen vergiftet worden, die sich durch salzhaltige Abwässer und Wärme rasant vermehrt hatten. Die Einleitungen sind geblieben. Damit droht das nächste Fischsterben. Von Martin Adam

In Cigacice, einem kleinen Ort an der Oder im Westen Polens, trifft sich Ende August 2022 eine kleine Gruppe wütender Menschen. "Was hat die Oder vergiftet", fragt einer von ihnen, während zu diesem Zeitpunkt ein paar Meter weiter im Fluss immer noch die toten Fische vorbeitreiben. Die Demonstrierenden rufen: "Wir wollen die Wahrheit!"

Viel Zeit, wenig Antworten

Ein halbes Jahr ist seitdem vergangen. Besonders viele Antworten haben die Menschen in Cigacice seither jedoch nicht bekommen. Nur: Primnesium Parvum war es, die sogenannte "Goldalge", die die Fische vergiftet hat. Das erklärten Untersuchungskommissionen in Deutschland und Polen, die - anders als angekündigt - auch mehr nebeneinander als miteinander gearbeitet haben, Ende September.

Die Salzwasseralge hat eigentlich in Süßwasserflüssen nichts verloren, konnte sich aber durch hohe Salzeinleitungen aus der Industrie auch in der Oder ansiedeln. Ihre Blüte ist giftig, das hat die Fische und andere Flusstiere das Leben gekostet.

Einen Verantwortlichen, gar einen strafrechtlichen Schuldigen, konnte man auf polnischer Seite nicht ausfindig machen, erklärte im September der Generaldirektor der polnischen Umweltschutzbehörde, Andrzej Szweda-Lewandowski: Keiner der kontrollierten Betriebe habe über der Norm liegende Abwässer eingeleitet. "Für alle kontrollierten Einleitungen gab es wasserrechtliche Genehmigungen", so Szweda-Lewandowski.

Vertuschung auf polnischer Seite?

Als die deutsche Untersuchungskommission im September ihren Abschlussbericht zur Oder-Katastrophe vorstellt, präsentiert Andrzej Szweda-Lewandowski einen Zwischenbefund. Auf den vollständigen Untersuchungsbericht wartet man in Polen bis heute.

Auch Bergbaubetriebe oder der niederschlesische Kupferkonzern KGHM, die als mögliche Verursacher schnell unter Verdacht gerieten, verschwanden wieder aus dem Fokus. Zwar haben sie enorme Mengen Salze eingeleitet, aber eben alles mit Erlaubnis der Wody Polskie, der polnischen Wasserbehörde – einer durch die PiS-geführte Regierung 2018 geschaffenen Behörde, die parallel zu den regionalen Verwaltungen von Warschau aus die polnischen Wasserwege vor allem bewirtschaftet.

Für die polnische Regierung ist die Oder weniger ein Naturraum, als ein Wirtschaftsfaktor. Wie wenig man auf deutsche Naturschutzbedenken gibt, machte bei einem Wahlkampfauftritt im Dezember PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski deutlich. Die Deutschen wollten Polen zu einem Freilichtmuseum machen, erklärte er. "Die wirtschaftliche Entwicklung Polens ist, um es vorsichtig auszudrücken, kein Ziel der Deutschen", so Kaczynski.

Den Bock zum Gärtner gemacht

Im selben Monat ließ ein Warschauer Verwaltungsgericht nach Klagen deutscher Umweltschützer und des Brandenburger Umweltministeriums den polnischen Oder-Ausbau vorläufig stoppen. Wody Polskie, die Wasserbehörde, legt ein Einspruch ein - und baut seither weiter. Przemysław Daca, der frühere Leiter der Behörde, wurde nach der Oder-Katastrophe gefeuert. Jetzt ist er stellvertretender Leiter - ausgerechnet der Umweltschutzbehörde.

"Doppelherrschaft" bremst alle Bemühungen

Mit "gigantischer Arbeit" sei die Situation an der Oder analysiert worden, erklärt im Dezember der stellvertretende Umweltminister Jacek Ozdoba. Aber er räumt auch ein, dass sich eigentlich nichts geändert hat: "Der Salzgehalt ist enorm und leider kann es zu weiteren Giftausscheidungen kommen, die ein Fischsterben verursachen können."

Solange das Problem der wasserrechtlichen Genehmigungen nicht gelöst wird, müsse man sich darüber Gedanken machen, so Ozdoba. Sein Eingeständnis, dass sich regionale und Warschauer Behörden gegenseitig im Weg stehen, er nennt es "Doppelherrschaft", kommt einer Kapitulation gleich.

Fischsterben geht wohl weiter, wenn es wärmer wird

Beim WWF Polska gibt man sich inzwischen keiner Illusion mehr hin. Die Umweltschützerin Alicja Pawelec befürchtet, dass das Tiersterben weitergeht, sobald die Temperaturen wieder steigen: "Die Situation wird nicht besser. Die ganze Zeit beobachten wir, dass die Salzgehalt-Normen um das Vier- bis Fünffache überschritten werden. An einigen Stellen ist der Salzgehalt heute höher als während der Katastrophe. Nur dank der niedrigen Temperaturen blüht die Goldalge gerade nicht."

Nochmal so schlimm wie im letzten Jahr werde das Sterben aber nicht, sagt Alicja Pawelec mit hörbarem Frust. Laut Schätzungen seien im Sommer 2022 bereits etwa 50 Prozent der Fische und 80 Prozent der Muscheln gestorben. Viel lebt nicht mehr in der Oder, was noch vergiftet werden könnte.

Sendung: Antenne Brandenburg, 14.02.2023, 15.10 Uhr

Beitrag von Martin Adam

8 Kommentare

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  1. 8.

    Solange die Verursacher unbehelligt weitermachen dürfen und ihren Profit vergrößern, hat die Natur keine Chance.

  2. 7.

    Vielleicht sollte man einfach das Gehirn einschalten, bevor das Oderbiotop endgültig zusammenbricht, und einfach das Offensichtliche machen? (Ursache Wirkung oder Kausalität)
    Auch PIS wird es politisch schwer haben, wenn die polnische Binnenfischerei, Gastronomie, Tourismus zum erliegen kommt. Wie wichtig eine funktionierende Fauna und Flora sind, und was damit alles wechselwirkt, werden die Menschen dann sehen; hoffentlich bevor es zuspät ist.

  3. 6.

    "Keiner der kontrollierten Betriebe habe über der Norm liegende Abwässer eingeleitet. "Für alle kontrollierten Einleitungen gab es wasserrechtliche Genehmigungen", so Szweda-Lewandowski." Das mag ja richtig sein, damit gibt es im juristischen Sinne dann keinen Angeklagten. Aber man sieht doch hoffentlich, daß die genehmigten Einleitmengen (insbesondere bei wenig Wasser im Strom) zu hoch waren, also sollte man das schnellstmöglich korrigieren. Schön wären auch stromabwärts hinter möglichen Großeinleitern automatische Meßstellen, um schneller reagieren zu können - weiter oben gibt es auch jede Menge Schleusen, da läßt sich einiges machen an Verdünnung und Verzögerung, wenn man es rechtzeitig weiß (bleibt auch weiterhin die Frage, woher die Wasserwelle damals in der Oder kam, direkt vor der Salz-/Chlorophyllfracht).

  4. 5.

    Tschicherzig ist ja schon weit unten auf der Höhe von Grünberg. Interessanter wäre die Frage was südlich von Breslau auf der Strecke über Ohlau, Brieg bis Oppeln passiert ist. Haben sich dort mal Interssierte getroffen?

  5. 4.

    Durch niedrige Temperaturen sinkt der Gasverbrauch? Toll, was man hier alles lernen kann!

  6. 3.

    Nur dank der niedrigen Temperaturen ist der Gasverbrauch gesunken, so hat alles 2 Seiten

  7. 2.

    @RBB nochmals der Hinweis auf eigene Quelle. https://www.ardaudiothek.de/episode/11km-der-tagesschau-podcast/industrieabwaesser-die-spur-des-salzes/tagesschau/12349065/

    Interessen der Industrie liegen über dem Naturschutz und von der Gesetzgebung gibt es zu viele Grauzonen. Genau das ging an der Oder zum ersten mal schief und vermutlich auch ganz legal. Wir müssen nicht die Auswirkungen untersuchen sondern die Ursachen und diese ohne Interessen der Industrie die Lücken in der Gesetzgebung umgehend schließen.

  8. 1.

    Der Fisch fängt immer am Kopf an zu stinken. Es ist wohl auch der momentanen politischen Großwetterlage geschuldet, dass unsere Helden in Berlin eine fast schon untertänige Leidensfähigkeit gegenüber Polen zeigen. Die machen was sie wollen, weil sie es können.

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