Polnische Grenzkontrollen wegen Corona - "Das ist doch kein Leben"

Fr 27.03.20 | 19:41 Uhr | Von Martin Adam
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Die Stadtbrücke in Frankfurt (Oder) über die normalerweise viele Pendler fahren
Audio: Antenne Brandenburg | 27.03.2020 | Autor: John-Alexander Döring | Bild: rbb / John-Alexander Döring

Weiter in Deutschland arbeiten oder nach Hause zur Familie: Diese Entscheidung müssen derzeit viele polnische Pendler fällen. Grund ist eine neue Quarantäne-Verordnung der polnischen Regierung. Was macht das mit Menschen und Unternehmen? Von Martin Adam

Was Sie jetzt wissen müssen

Joanna Hein geht jeden Tag spazieren. "Was soll man auch sonst machen mit der ganzen Zeit?", fragt sie. Hein wohnt direkt an der deutsch-polnischen Grenze in Słubice, in Sichtweite der Oder. Sonst überquert sie zweimal täglich den Fluss. Morgens fährt sie nach Berlin, wo sie ein Reinigungsteam in einem Hotel leitet, und spät abends wieder nach Hause, nach Polen. 

Polnische Pendler sorgen sich um Löhne

Eine Zeit lang habe sie wenigstens noch an zwei Tagen pro Woche fahren können, erzählt sie. Dann habe erst das Hotel geschlossen und jetzt sei auch die Grenze dicht. "Wie könnten zwar nach Deutschland fahren, aber wenn wir zurückkommen, müssten wir zwei Wochen in Quarantäne", sagt sie. Damit ist Pendeln unmöglich.

Auch Jacek Kotuła ist betroffen. Bisher ist der 50-Jährige jeden Tag aus Słubice zur Arbeit in ein Logistikzentrum nach Großbeeren gefahren. Er mache sich jetzt große Sorgen, sagt er, genau wie die vielen polnischen Kollegen, mit denen er sonst zusammenarbeitet: "Vor allem natürlich wegen der Gesundheit. Aber es geht auch darum, dass wir unsere Rechnungen bezahlen müssen. Wir wissen gerade nicht, wie das Leben weitergeht."

Unternehmen geraten unter Druck

Die Stimmung sei merkwürdig, erzählen Hein und Kotuła. Niemand wisse, ob es überhaupt noch Geld gibt oder ob sie jetzt von ihrem Ersparten leben müssten. Zwar sei es richtig, die Grenzen zu schließen, um das Coronavirus einzudämmen. Aber gerade in der Doppelstadt Słubice-Frankfurt (Oder) habe man sich in den letzten Jahren sehr daran gewöhnt, dass die Grenze im Alltag nicht sichtbar sei, sagt Jacek Kotuła.

Daran hatten sich auch die Berliner Unternehmen gewöhnt, für die mehrere tausend Pendler jeden Tag nach Deutschland fahren. Dass jetzt zum Beispiel Logistik-Mitarbeiter wie Jacek Kotuła ausfallen, ist ein großes Problem für die Versorgung der Stadt, meint Nils Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg: "Die Berufspendler aus Polen sind nicht nur in den sozialen, medizinischen und Pflegeberufen für unsere Region sehr wichtig. In den Logistikzentren in und um Berlin haben wir über 1.000 Beschäftigte, die wir dringend brauchen."

Gerade jetzt sei der Bedarf groß, da Supermärkte und Drogerien mehr Nachschub ordern als sonst. Der Online-Handel sei dabei noch gar nicht eingerechnet, sagt Nils Busch-Petersen. "Sollten wirklich viele Mitarbeiter fehlen, wird es großer Anstrengungen bedürfen."

Lohnzuschuss und Unterkunft

Es dürfte schwer werden, Pendler davon zu überzeugen, vorerst in Deutschland zu bleiben. Zwar bietet Brandenburg inzwischen jedem, der bleibt, einen Zuschuss von 65 Euro pro Tag, aber damit lässt sich die Entfernung zur eigenen Familie kaum aufwiegen. Und auch in Polen steht Ostern an, der wichtigste Feiertag in dem katholisch geprägten Land. Dafür habe man natürlich Verständnis, sagt Manja Schreiner, genau wie für die Grenzschließung selbst. Schreiner ist Hauptgeschäftsführerin der "Fachgemeinschaft Bau", einem Branchenverband für Baufirmen.

Auch auf Baustellen fehlen jetzt polnische Mitarbeiter. Derzeit würden die Unternehmen ihre betroffenen Mitarbeiter fragen, ob sie vorübergehend in Deutschland bleiben und weiterarbeiten wollten. Manja Schreiner berichtet von Baufirmen, die den polnischen Angestellten eigene Immobilien zur Verfügung stellen. "Wir haben als Verband auch ein Hotel organisiert. Die Hotels sind ja selbst schwer gebeutelt durch die Situation", sagt Manja Schreiner. Mit den Mitgliedsunternehmen habe sie vereinbart, dass dort Zimmer zur Verfügung stehen, falls kurzfristig Mitarbeiter untergebracht werden müssten. Bisher steht das Hotel noch leer.

Auch in Polen keine Perspektive

Joanna Hein hat in Słubice ihren Mann und zwei Kinder. Für die 39-Jährige ist in Deutschland zu bleiben keine Option. Ohnehin sei das Hotel wegen Corona auch geschlossen, sagt sie. Für sie sei die Situation sehr belastend: "Am Anfang ist das ja alles ganz nett. Man kann sich mal erholen, mehr Zeit mit der Familie verbringen. Aber dann? Das ist kein richtiges Leben, eher so ein Hinvegetieren." Sie sei so gewöhnt an ein Leben voller Arbeit, dass es ihr jetzt "auf dem Abstellgleis" nicht gut gehe.

In Polen einen Job für die Zwischenzeit zu suchen sei aber sinnlos, sagen sowohl Jacek Kotuła als auch Joanna Hein. Dort gehe es den Firmen im Moment ja auch nicht besser.

 

Sendung: Inforadio, 27.03.2020, 8.05 Uhr

Beitrag von Martin Adam

10 Kommentare

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  1. 9.

    Auch wir haben in unserem Handwerksbetrieb 2 polnische Mitarbeiter ,die uns schon über 20 Jahre die Treue halten.
    Aus familiären Gründen können sie nicht wochenlang in Deutschland leben. Es muß dringend eine Lösung auf politischer
    Ebene erfolgen ! Durch den vorläufigen Wegfall der polnischen Grenzgänger kann es zu Unterbrechungen von Aufträgen und Auftragsausfällen kommen und kurzfristigen Ersatz im Handwerkssektor zufinden ist sogut wie aussichtslos.

  2. 6.

    Was ich mir wünschen würde, dass der RBB endlich mal seinen Informationspflichten nach kommt und recherchiert, wo sich die polnischen Menschen informieren können. Ihr schreibt zwar das sie das können aber nicht WO!

    Danke!

  3. 5.

    Corona, kann natürlich, sehr gut als Krise ausgenutzt werden. Zum Beispiel: um Produkte zu verteuern, Geld und Immobilien abzuwerten. Corona, kann aber auch eine sehr schöne Chance, für etwas Neues sein. Die gesamte Erde zu asphaltieren und zu betonieren, oder mit Monokulturen zu vergiften, geht sowieso nicht so weiter. Wir Alle, leben im 21. Jahrhundert und so muss auch zukünftig gebaut, gewirtschaftet und gelebt werden. Kurzfristig, muss natürlich, eine Lösung für osteuropäische Arbeitskräfte, gefunden werden. Aber auch, riesige Spargelfelder unter Folien, sind nur einseitige Monokulturen und damit schädlich für Umwelt, Natur und Klima. Wenn kein Umdenken nach Corona stattfindet, wird Deutschland, sehr großen Schaden davontragen. Es wird so Vieles im eigenen Land, vernachlässigt - Aus-und Weiterbildungen, Ärzte- und Pflegeberreich. Und nur auf Billigkräfte und Ärzte aus dem Ausland setzen - das geht nicht Gut - das wird zur richtig großen Krise, für die Bundesrepublik und für Europa

  4. 4.

    Es gibt auch Menschen, die zur Arbeit nach Polen einreisen. Ich würde mir mehr grenzübergreifendes Krisenmanagment wünschen anstelle der nationalen Einzellösungen. Jeder soll und kann eigenverantwortlich seine Bewegungen organisieren, auch über alte Grenzen hinweg, und riskanten Kontakte minimieren.
    Welche Nationalität man in Europa hat ist unbedeutend, insbesondere wenn man dann medizinische Hilfe benötigt.

  5. 3.

    Natürlich wiegen die finanzielle Einbußen schwer. Aber " dahin vegetieren"?? Nun haben die Menschen mal Zeit für sich und die Familie und nun ist es auch nicht richtig. Sonst wir immer über Stress geklagt..nutzt doch die Zeit!

  6. 2.

    "Das ist kein richtiges Leben, eher so ein Hinvegetieren." - So ist es. Und deshalb ist es auch ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Entgegen der verbreiteten Ansicht ist es nämlich nicht (!) automatisch so, dass Menschenleben immer Vorrang vor allen anderen Grundrechten haben. Wenn die Menschen nur noch vor sich "hinvegetieren", dann ist der Einschnitt zu extrem und verstoßt m.E. eindeutig gegen das Grundgesetz!

  7. 1.

    Eine Frage der Vernunft und des Überlebens auf beiden Seiten. - Alternativlos.

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