Interview | Frauenhaus-Koordinatorin Laura Kapp - "Das beschleunigt die Gewaltspirale"

So 22.03.20 | 16:37 Uhr | Von Uta Schleiermacher
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Archivbild: Eine Frau blickt in einem Berliner Frauenhaus aus dem Fenster. (Quelle: dpa/Sophia Kembowski)
Audio: Antenne Brandenburg | 23.03.2020 | Autorin: Uta Schleiermacher | Bild: dpa/Sophia Kembowski

Frauenberatungsstellen befürchten einen Anstieg von häuslicher Gewalt, wenn sich der Alltag nur noch zu Hause abspielt. Nun kommt es besonders auf die Nachbarschaft an, sagt Laura Kapp vom Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser.

Was Sie jetzt wissen müssen

Mit großer Sorge blicken Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe auf die kommende Zeit und befürchten einen starken Anstieg von häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie. So auch Laura Kapp vom Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser e.V. [nbfev.de]. In dem Verein haben sich Frauenhäuser, Frauennotwohnungen und Frauenberatungsstellen im Land Brandenburg zusammengeschlossen. Den Verein gibt es seit 1995. Er ist in ganz Brandenburg aktiv und steht betroffenen Frauen mit Rat und Tat zur Verfügung.

rbb|24: Frau Kapp, warum ist häusliche Gewalt in Zeiten einer Corona-Pandemie ein Problem?

Laura Kapp: Häusliche Gewalt ist immer ein sehr großes Problem. Jetzt währdend der Pandemie wird es drastischer, weil sich viele Familien in häusliche Isolation begeben. Wir machen uns große Sorgen, dass die Gewalt schlimmere Formen annehmen und schneller eskalieren wird und wir nicht mehr an die Betroffenen herankommen, weil es keine Kontaktpunkte zur Außenwelt mehr gibt.

Weil die Menschen nun dichter aufeinander hängen, kommt es zu mehr Konflikten?

Wir reden nicht darüber, dass Paare, die normalerweise eine gesunde Beziehung haben, sich jetzt mehr streiten und vielleicht trennen. Sondern wir reden über Paare, die sowieso schon eine gewalttätige Beziehung leben. Es geht um Straftaten, Demütigung, Erniedrigung, Körperverletzung - bis hin zu Mord. Diese Paare haben jetzt überhaupt keine Pausen mehr, keine Fenster der Freiheiten, wenn einer oder beide auf der Arbeit sind. Stattdessen bringt die Isolation den Täter in eine Position, in der er die Betroffene komplett abschirmen und totale Kontrolle ausüben kann. Wo die Frauen vorher vielleicht doch mal die Gelegenheit nutzen konnten, heimlich zu telefonieren, sich an eine Beratungsstelle zu wenden oder mit einer Freundin zu sprechen, fallen diese Möglichkeiten immer mehr weg. Und das beschleunigt die Gewaltspirale.

Der Prozess, sich aus einer gewalttätigen Beziehung zu lösen, kann ja sehr lange dauern. Ist dafür ein kontinuierlicher Kontakt zu Beratungsstellen nötig?

Die Erfahrung zeigt in der Tat, dass Frauen oft mehrere Versuche brauchen, um sich aus gewalttätigen Beziehungen zu lösen. Wir reden über ganz komplexe psychologische Dynamiken, emotionale Abhängigkeiten, oft gibt es gemeinsame Kinder. Es ist also nicht so einfach zu sagen: Er hat mich geschlagen und jetzt gehe ich. Unsere Beratungsstellen arbeiten nicht therapeutisch mit regelmäßigen Terminen, wir sind vielmehr immer für die Frauen da, wenn sie den Moment haben, in dem sie sich lösen können. Aber wenn sie jetzt nicht mehr rauskommen, dann können sie auch nicht mehrere Versuche starten, und wie gesagt: Die Eskalation passiert einfach schneller.

Stützt sich Ihre Warnung auf eine Vermutung, die Sie auf die Pandemie-Zeit richten - oder auf Erfahrungen?

Wir beobachten schon in normalen Zeiten eine Häufung von Fällen an Feiertagen oder in den Ferien und es gibt jetzt bereits erste Erfahrungswerte aus China und Italien, also aus Ländern, die vor uns bereits massiv Menschen zu Hause isoliert haben. Dort sind die Fallzahlen bei häuslicher Gewalt stark angestiegen. Natürlich ist es auch eine Vermutung. Wenn ich falsch liege, dann freue ich mich sehr. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass wir mit unserer Vermutung richtig liegen.

Was raten Sie betroffenen Frauen, die vor der Situation einer Ausgangssperre oder Quarantäne stehen?

Kontakt, Kontakt, Kontakt. Reden Sie mit irgendjemandem, dem Sie vertrauen. Sei es eine Schwester oder Freundin, sei es die anonyme Beratungsstelle. Die gibt es in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt und die Telefonnummern sind im Netz zu finden. Es gibt das bundesweite Hilfetelefon, rund um die Uhr, kostenfrei und in 16 verschiedenen Sprachen für eine erste Beratung. Man muss dann auch nichts machen: Man muss niemanden anzeigen, man muss nicht gleich gehen, man kann erstmal nur anrufen und mit jemandem sprechen.

Wie können Dritte unterstützen?

Wir haben fünf konkrete Tipps für die Nachbarschaft zusammengestellt (Siehe Kasten). Auf diese Unterstützung sind wir jetzt mehr denn je angewiesen, weil wir sonst nicht an die Frauen rankommen. Als Beratungsstelle kommen wir in Kontakt mit den Frauen, weil sie sich außerhalb ihres Wohnumfelds bewegen können, etwa in Eltern-Kind-Gruppen, Kita, Schule oder Arbeit. Wenn all diese Kontaktpunkte wegfallen, bleiben uns nur noch die Menschen, die direkt darunter oder darüber wohnen. Wir als Sozialarbeiter*innen laufen ja nicht die Hausflure entlang.

Wie kann ich das einschätzen? Es kann ja auch einfach ein Streit sein. Gibt es etwas, woran ich erkenne, dass es ernst ist?

Ich glaube, die meisten von uns haben ganz gute Instinkte. Wir hören ja, ob sich da zwei gegenseitig anschreien oder ob ein Mensch einen anderen demütigt und klein macht. Vielleicht hören wir auch Geräusche, die auf tätliche Angriffe hindeuten. Wenn wir selbst ein Gefühl der Gefahr wahrnehmen und den Impuls haben, uns in Sicherheit zu bringen, dann wäre es ein guter Zeitpunkt, um aktiv zu werden.

Worauf bereiten sich Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen jetzt vor?

Wir wollen so lange wie möglich noch Frauen aufnehmen. Es kann aber sein, dass wir auch relativ schnell einen Aufnahmestopp machen müssen. Frauenhäuser sind aber oft nur das letzte Mittel. Wir werden unsere Beratungsstrukturen so weit wie möglich per Telefon und E-Mail aufrechterhalten und wir werden noch enger mit der Polizei kooperieren. Denn es gibt ja ein Gewaltschutzgesetz, das sagt: Wer schlägt, der geht. Die Polizei kann den Täter also der Wohnung verweisen. Dieses Instrument muss jetzt stärker verwendet werden. Die Polizei kann Betroffene auch bitten, ihre Daten an uns freizugeben, dann melden wir uns bei der Frau. Wir wollen zu jeder Zeit unterstützen und helfen und gleichzeitig unsere Mitarbeiterinnen schützen, da werden wir kreative Lösungen finden. Wir hoffen, dass wir solidarisch durch die Krise kommen.  

Frau Kapp, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Uta Schleiermacher

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Beitrag von Uta Schleiermacher

4 Kommentare

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  1. 4.

    Hat nichts mit Berlin zu tun, sondern mit dem Bund.
    1. 3 Zimmerwohnung für 6 Personen ist ein No-Go . Schon der Kinder wegen. Schutz der Kinder, Privatsphäre.2. Das Jobcenter muss bei Alg2 uns Sozialgeldempfängern den Umzug genehmigen. Die Bundesländer legen die erlaubte Miethöhe für Alg2 Empfänger fest.
    3. Alg2 Empfänger erhalten die ( erlaubte ) Miete vom Jobcenter und haben dann kejnen Anspruch auf Wohngeld. Menschen die Alg2 als Aufstocker erhalten schon und sind sogar verpflichtet Wohngeld zu beantragen wen sie ergänzende Leistungen wollen/brauchen. Das ist wegen der Berechnung der Höhe der Leistungen notwendig.

  2. 3.

    Und die Suizidrate bei Alleinstehenden und Einsamen Menschen . Und psychische Erkrankungen i.d.F. Angst und Panikstörungen. Bei Männern und Frauen.

  3. 2.

    Berlin pur. Wenn eine Familie mit vier Kindern, die in einer Zweizimmerwohung wohnt, in eine Dreizimmerwohnung umziehen möchte, bestimmen das Jobcenter und die Hausverwaltungen, dass sie sich eine Vierzimmerwohnung suchen müssen und die Finanzierung platzt. Fazit: Die Familie bleibt in der Zweizimmerwohnung . Berliner Entscheidungen sind auch im normalen Leben
    selten der Realität zugewand.

  4. 1.

    Einen Dank an Frau Kapp und ihre Kolleginnen und Kollegen, die sich um Frau und Kinder in Not kümmern, das trotz aller aktuellen Umstände und erschwerten Bedingungen. Wirklich beachtlich, was Sie da leisten! Alles Gute für Sie.

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