Viadrina-Seminar - Frankfurter Studenten sprechen sich für Corona-App aus

Mo 25.05.20 | 14:05 Uhr
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Symbolbild: Fassade der Europauniveristät Viadrina in Frankfurt (Oder) (Bild: imago-images/Jürgen Ritter)
Audio: Antenne Brandenburg | 25.05.2020 | Autorin: Marie Stumpf | Bild: imago-images/Jürgen Ritter

Die Corona-App soll die Abstände zwischen Smartphones messen und so ermitteln, mit wem der Nutzer der App Kontakt hatte. Studenten der Frankfurter Viadrina haben sie zum Gegenstand ihres Seminars gemacht und diskutieren das Für und Wider. Von Marie Stumpf

Die so genannte Corona-App soll durch den Austausch von Daten den Nutzer warnen, wenn er mit einem Erkrankten in Kontakt gekommen ist. Bei Datenschützern steht sie deshalb in der Kritik. Nun haben sich Studierende der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) für eine App ausgesprochen.

Studierenden bilden fiktives Parlament

Josephine Bär ist eigentlich Studentin der Kulturwissenschaft an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder). Doch für ihr Seminar "Die politische Bewältigung der Corona-Krise" schlüpft sie in die Rolle eines Abgeordneten der Wirtschaftspartei im fiktiven Land "Fontanien".

Das Seminar funktioniert über ein so genanntes Planspiel, eine Art Rollenspiel. Dabei bilden die Studierenden gemeinsam ein fiktives Parlament. Jeder wird einer politischen Strömung zugeteilt, für die er dann argumentieren muss. Erst diskutieren sie in ihren jeweiligen Fraktionen, anschließend gemeinsam in einem großen Ausschuss.

Freiwillig oder verpflichtend?

Unter den Studierenden herrscht schnell Konsens in der Frage, ob eine Mobilfunk-App generell eingeführt sollte. Fast alle sind dafür. Man ist sich einig, dass dadurch die Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt werden könnte.

Als es aber um die genauen Bedingungen geht, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Soll die App etwa freiwillig oder verpflichtend für alle Bürger sein?

"Die, die für eine verpflichtende App gekämpft haben, hatten das große Argument, dass nur so möglichst viele Kontaktstellen aufgezeichnet werden könnten", erklärt Josephine Bär, "Die, die für eine freiwillige App waren, fanden das aber einen massiven Eingriff in die Privatsphäre."

"Das wäre für mich nicht oberste Priorität."

Dass durch die Zuteilung zu einer Partei manch ein Student in dem Spiel eine Meinung vertreten muss, die nicht der eigenen entspricht, ist vorprogrammiert. So ist es auch bei Josephine Bär. Ihre Partei will eine Corona-App auf freiwilliger Basis einführen, sie nach der Krise aber noch weiter für die Wirtschaft nutzen. "Es ist absolut nachvollziehbar, dass man sagt, die Wirtschaft ist durch die Krise geschwächt und deswegen wollen wir sie durch die App stärken", sagt Josephine. "Aber das wäre für mich nicht die oberste Priorität." Für sie liege der Datenschutz mehr im Fokus.

Kommilitone Lorenzo Eschrich hat mehr Glück. Er verkörpert in dem Planspiel den Abgeordneten der liberalen Partei Freies Fontanien. "Ich bin auch sonst sehr liberal eingestellt", sagt er, "deshalb konnte ich die Meinung der Partei sehr gut auf mich selbst übertragen." Freies Fontanien will eine Corona-App auf freiwilliger Basis einführen. Wenn die Krise überstanden ist, soll sie aber von allen Handys gelöscht werden.

"Wir können die Menschen nicht zwingen, den Eingriff in ihre Privatsphäre zu zulassen."

Am Ende entscheiden sich die Studierenden für eine Corona-App auf freiwilliger Basis, so wie es auch die reale Bundesregierung plant. "Wir können die Menschen schließlich nicht zwingen, so einen Eingriff in ihre Privatsphäre zu zulassen", erklärt Josephine Bär.

Darüber hinaus stimmen die Studierenden aber auch dafür, dass die App nach der Krise weiter genutzt werden soll. Wofür bleibt offen. "Weil ja noch gar nicht klar ist, welche Erfolge die App überhaupt bringt und dementsprechend auch nicht, wie man sie weiter entwickeln könnte", sagt Josephine. Ihre Wirtschaftspartei hat sich in dem Spiel dafür ausgesprochen, ein Expertengremium einzusetzen. Dieses könnte die Möglichkeiten für eine Weiternutzung prüfen.

Verständnis für andere Meinungen

Sowohl Josephine Bär als auch Lorenzo Eschrich sind mit dem Planspiel zufrieden. Es sei zwar schwierig eine andere Meinung als die eigene zu vertreten, sagt Josephine: "Aber das ist vielleicht auch das Spannende. Eine fremde Argumentation durchzuprobieren, um dann eventuell auch Verständnis für diese Meinung zu entwickeln."

Verständnis für Politik

"Ich bin auf jeden Fall sensibler für den politischen Entscheidungsprozess geworden“, resümiert Lorenzo Eschrich „weil man dann doch gemerkt hat, wie schwer es ist, das richtige Paket zu schnüren. Ich würde sagen, da wird man ein Stück nachsichtiger."

Ein großer Punkt sei auch, dass es in der Politik häufig nicht genug Zeit für ausführliche Diskussionen gäbe. Eigentlich hätten sie in dem Planspiel noch einen zweiten Gesetzesentwurf zu einem anderen Thema besprechen sollen. Dafür habe dann aber einfach die Zeit gefehlt, sagt Lorenzo. "Wir haben vielmehr nur darüber abgestimmt."

Freiheit vs. Gesundheit

Professor Timm Beichelt, der das Seminar leitet, hat sich bewusst für das Thema Corona entschieden. Er will seine Studenten für die besondere Situation sensibilisieren. "Auf welche Art und Weise sollen hier Gesundheitsaspekte gegen Freiheitsaspekte abgewogen werden?", stellt er die entscheidende Frage, "Da ist es schon hilfreich, wenn man sich ein bisschen genauer mit den Alternativen befassen muss."

EU-Staatschefs spielen

Aktuell bereiten sich die Studierenden im Rahmen des Seminars auf ein zweites Planspiel vor. Dieses Mal sollen sie den Europäischen Rat simulieren, sprich in die Rolle von EU-Staatschefs schlüpfen und besprechen, wie sie die finanziellen Einbrüche ihres jeweiligen Landes durch die Corona-Krise abfedern wollen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 25.05.2020, 16.00 Uhr

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4 Kommentare

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  1. 4.

    Diese Art von Abstimmung prädestiniert die Studierenden geradezu für eine Laufbahn als Politiker. Die stimmen auch oft über Dinge ab, von denen sie nichts verstehen - oder sind das an der Viadrina alles künftige Virologen?

  2. 3.

    Ich finde es sehr gut, wenn sich Studierende ganz praktisch mit so einer App beschäftigen. Ein Aspekt, der dabei allerdings i. a. R. zu kurz kommt, weil er aktuell noch garnicht erfassbar ist, ist derjenige, dass jedes entwickelte Mittel fortlaufend neue Anwendungsfälle an sich zieht. M. a. W.: Wenn das Mittel erst einmal in der Welt ist, werden sich die entsprechenden Zwecke dazu schon einfinden. Bei den meisten Mitteln ist das völlig unproblematisch und kann auch wieder korrigiert werden. Bei der App habe ich da meine Befürchtungen.

    Auch wenn es gewagt klingt, will ich eine Analogie ziehen zum Videobeweis beim Fußball: Eingeführt, um ggf. auftretende Fehlentscheidungen der Schiedsrichter zu korrigieren, führt der Videobeweis tendenziell zu immer häufigeren Spielunterbrechungen. Dies einfach deshalb, weil keine Partei in den Nachteil geraten will und das Äußerste versucht.

    Auch bei der App lässt sich das Gras wachsen hören. Schon 2 Min. Gedränge in der U-Bahn reicht aus.

  3. 2.

    Wollt Ihr den totalen Überwachungsstaat? JAAAAAA!

  4. 1.

    Ich bin auch für die Freiwilligkeit. Und mahne gleichzeitig an, daß es keinen Zwang durch die Hintertür geben darf. Nicht, daß es auf einmal im Supermarkt heißt: "Keine App, kein Zutritt".

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