Lebensrettung in der Corona-Krise - Frankfurt (Oder) ist Knotenpunkt für Stammzellentransporte

Fr 08.05.20 | 17:15 Uhr | Von Stefan Kunze und Uta Schleiermacher
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Ein Ambulanz-Fahrzeug an der Grenze - hier werden die Stammzellen übergeben
Audio: Inforadio | 08.05.2020 | Autorin: Uta Schleiermacher | Bild: rbb/Stefan Kunze

Normalerweise gelangen Stammzellenspenden per Flieger ans Ziel. Nun werden sie an der polnisch-deutschen Grenze an Kuriere übergeben. Knotenpunkt zwischen Ost- und Westeuropa ist die Stadtbrücke Frankfurt (Oder). Von Stefan Kunze und Uta Schleiermacher

Es ist abends, kurz vor der Dämmerung und die Kuriere auf der Stadtbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und dem polnischen Słubice haben es eilig. Einige überqueren die Brücke zu Fuß, andere fahren mit dem Auto direkt bis zum provisorisch eingerichteten Grenzposten vor.

Unter ihren Armen klemmt je eine Dokumentenmappe. Von der Schulter baumelt eine würfelförmige Kühltasche. Darin: Stammzellenspenden und Knochenmark. "Das Fahrzeug, das sie dort hinten sehen, die Ambulanz, hat das jetzt an die Grenze gebracht, und da wir ja nicht nach Polen einreisen dürfen, haben wir das jetzt hier übernommen", sagt ein Kurier. "Ich fahre jetzt direkt weiter und bringe die an die Klinik." 

Einer der Stammzellenkuriere hat sein Auto direkt auf der Brücke geparkt während er die Stammzellenbox an der Grenze abholt
Bild: rbb/Stefan Kunze

Höchstens 72 Stunden unterwegs

Die Zeit drängt tatsächlich. Denn ihre sensible Fracht soll Leben retten. Die Kuriere möchten deshalb ihre Namen auch nicht nennen. Allerhöchstens 72 Stunden dürfen die Stammzellen in der gekühlten Transportbox bleiben. Ideal wären sogar nur 48 Stunden, denn die Qualität der lebenswichtigen Zellen nimmt mit der Zeit rapide ab.

Ein Transport per Auto oder ein Wechsel von Bote zu Bote ist eigentlich nicht vorgesehen. "Es gibt ganz viele Transporte von Polen, und nachdem man nicht nach Polen rein kann, ist die einzige Möglichkeit, sie hier zu übergeben", sagt eine Botin.Auch sie ist in Eile. "Deshalb kommen alle nach Frankfurt , normalerweise verteilt sich das auf viele Städte, Warschau, Posen, Krakau und so weiter." Normalerweise wäre sie außerdem nicht mit dem PKW unterwegs, sondern geflogen.  

Gute Zusammenarbeit mit Polen

Doch die meisten Flüge fallen jetzt aus. Deshalb mussten sich Organisationen wie die Knochenmarkspenderdatei DKMS schnell etwas einfallen lassen, sagt Gaby Rall. Sie ist bei der DKMS für medizinische Prozesse zuständig und kümmert sich nun außerdem aktuell um die Stammzellentransporte.

"Es waren hauptsächlich unsere polnischen Kollegen, die da sehr schnell reagiert haben, als die Grenze zugemacht wurde", sagt sie. "Zusammen mit dem Gesundheitsministerium konnten wir diesen Knotenpunkt einrichten; da war unser Büro in Warschau sehr stark involviert."  

Stadtbrücke Frankfurt (Oder) Slubice mit Grenze
Bild: rbb/Stefan Kunze

Stundenlange Autofahrt bis Litauen

Die Stadtbrücke zwischen Frankfurt und Słubice ist damit mehrmals pro Woche der zentrale Übergabepunkt für Knochenmark und Stammzellen zwischen Ost und West. Denn eine Spende passt nur zu einem genetischen Zwilling, der im Zweifel tausende Kilometer entfernt lebt.

Die Stammzellenspenden gehen von hier aus entweder direkt an Empfängerinnen und Empfänger in Deutschland, oder nach Frankfurt am Main, von wo aus sie mit Frachtflügen weltweit verteilt werden - bis in die USA, oder nach Brasilien. Natürlich auch umgekehrt, sagt Gaby Rall. "In einem Fall mussten wir eine stundenlange Autofahrt über Słubice durch Polen bis nach Litauen sicherstellen, das ging über zwei Ländergrenzen und durch die Hände mehrerer Boten."

Knotenpunkt für viele Kurierdienste

"Von uns aus kann alles im gleichen Umfang stattfinden", sagt Gaby Rall von der DKMS. "Die Transplantationskliniken haben jetzt auch gesehen, dass das alles funktioniert, am Anfang war eine große Angst da, dass die Produkte nicht ankommen", sagt sie. Doch jetzt, nachdem es sich einige Wochen etabliert habe, sei das Vertrauen wieder zurück. "Wir sehen zunehmende Anfragen", sagt sie.

Gut 110 Stammzellenspenden haben Kuriere im Auftrag der Knochenmarkspenderdatei DKMS dort abgeholt. Neun Spenden sind von Deutschland nach Polen und Litauen weitergeleitet worden. Insgesamt dürften es noch weit mehr Übergaben sein, denn auch andere Organisationen nutzen diesen Knotenpunkt.

Auf der Frankfurter Stadtbrücke ist es inzwischen fast dunkel. Die Kuriere haben alle ihre gekühlten Transportboxen abgeholt. Sie haben dann oft noch mehrere Stunden Autofahrt vor sich. Auch deshalb sind einige zu zweit unterwegs, um sich beim Fahren abzuwechseln.

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Beitrag von Stefan Kunze und Uta Schleiermacher

1 Kommentar

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  1. 1.

    Und ein weiterer Knotenpunkt wird wahrscheinlich, die Glienicker Brücke in Potsdam werden. Von Agent zu Agent. Klappt doch der Ost/West Austausch.

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