Trotz hohem Infektionsrisiko - Kein Konzept für Corona-Schutz in Asylunterkünften

Fr 13.11.20 | 14:57 Uhr | Von Lucia Heisterkamp
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Geflüchteter in Mehrbettzimmer in der Geflüchteten-Unterkunft Müncheberg
Video: Brandenburg Aktuell | 12.11.2020 | Lucia Heisterkamp | Bild: Lucia Heisterkamp/rbb

Zu Beginn der Corona-Pandemie kam es in zahlreichen Geflüchteten-Unterkünften zu Ausbrüchen des Virus. Sie gelten als potentielle Hotspots, weil dort viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Die Situation hat sich kaum verbessert. Von Lucia Heisterkamp

Das Zimmer von Mehar Zia ist knapp 14 Quadratmeter groß. Zwei Betten stehen darin. Er teilt es sich mit seinem Mitbewohner. Der Mann aus Pakistan trägt eine Maske, auf dem Fensterbrett steht eine Flasche Desinfektionsmittel. Damit versucht er, sich vor Corona zu schützen. Wie überall im Haus gilt in seinem Zimmer die Abstandsregel von 1,50 Meter.

Etwas mehr als 100 Geflüchtete leben in der Gemeinschaftsunterkunft in Müncheberg (Märkisch-Oderland), die vom Internationalen Bund betrieben wird. Sie leben auf vier Stockwerken, teilen sich vier Gemeinschaftsküchen. Abstand halten auf so engem Raum ist eine Herausforderung, räumt auch der Leiter der Unterkunft, Stephanus Bratengeier, ein. Die Geflüchteten leben teilweise zu viert in Mehrbettzimmern - auch mit Menschen, die nicht zu ihrem Haushalt gehören. "Abstand halten ist da schwierig, aber es ist nicht unmöglich", sagt Bratengeier.

Ausbreitung wie auf Kreuzfahrtschiffen

Außerhalb ihrer Zimmer gilt im gesamten Haus Maskenpflicht, auch in den Küchen und Waschräumen. Die meisten Geflüchteten halten sich daran, sagt Bratengeier. Bislang gab es noch keinen Corona-Fall in der Unterkunft. Doch wie schnell sich das Virus in Asylunterkünften ausbreiten kann, zeigen die Erfahrungen aus der ersten Corona-Welle.

Zahlreiche Unterkünfte in Brandenburg standen wochenlang unter Quarantäne. So etwa die Einrichtungen in Hennigsdorf (Oberhavel), Potsdam, Templin (Uckermark) oder Bad Belzig (Potsdam-Mittelmark). Eine Studie der Universität Bielefeld kam im Mai zu dem Schluss, dass sich Corona in Flüchtlingsunterkünften ähnlich schnell ausbreitet wie auf Kreuzfahrtschiffen.

Eine Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Linken zeigt, dass sich im Juni 1,7 Prozent aller Geflüchteten in Brandenburger Asylunterkünften mit Covid-19 infiziert hatten, und damit deutlich mehr als in der Brandenburger Allgemeinbevölkerung. Dort lag der Schnitt bei 0,1 Prozent.

Keine Schnelltests für Asylunterkünfte

Neue Konzepte zum Schutz von Flüchtlingsheimen wurden, anders als etwa in Alten oder Pflegeheimen, trotzdem nicht entwickelt. Über Schnelltests in Asylunterkünften würde man nicht nachdenken, sagt Landrat Gernot Schmidt (SPD) gegenüber dem rbb, der in Märkisch-Oderland für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig ist. Auch die Unterbringung von Geflüchteten in eigenen Wohnungen lehnt der Landrat ab. "Auch in Corona-Zeiten wollen wir nicht von unserer Asylpolitik abrücken", so Schmidt.

Christian Rasche vom Aktionsbündnis Offenes MOL sieht darin ein Zeichen dafür, dass Geflüchtete wie "Menschen zweiter Klasse" behandelt werden. "Wir haben in der Gemeinschaftsunterkunft Müncheberg auch ältere Menschen. Menschen mit Lungenkrankheiten, Menschen mit Vorerkrankungen. Und auch die werden weiter hier untergebracht und nicht in sichere Wohnungen gebracht."

Christian Raschke fordert zum Schutz der Menschen eine Entzerrung der Unterkünfte. Doch der Landrat hält am Konzept der Einrichtungen fest. Geflüchtete wie Mehar Zia müssen wohl weiter darauf hoffen, dass sie vom Virus verschont bleiben.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 12.11.2020, 19:30 Uhr

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Beitrag von Lucia Heisterkamp

10 Kommentare

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  1. 10.

    Zahlen des BAMF aus 2018:
    1,3 % anerkannte Asylberechtigte nach deutschem Asylgesetz 23,1 % anerkannte Flüchtlinge nach Genfer Flüchtlingskonvention

    Unterkunft, med. Versorgung und Geld ohne Gegenleistung bzw. Anspruch, oftmals ohne Papiere oder Mithilfe zur Aufklärung des Herkunftslandes und es werden immer noch mehr Leistungen gefordert? Dann müssen die Bewohner leider in Quarantäne um die Ansteckung zu vermeiden.
    Fehlende Coronakonzepte sollten bei den Zahlen nicht kritisiert werden, sondern warum unsere Gesetze keine Anwendung finden oder es immer noch kein echtes Einwanderungsgesetz gibt. Es sollte endlich den Menschen angemessen vor Ort geholfen werden, die es nicht bis nach Europa schaffen.

  2. 9.

    "versucht er, sich vor Corona zu schützen" Wie schützen wir uns arbeitende Bevölkerung vor Corona? Nächste Frage...

  3. 8.

    Immerhin wurden in Berlin jetzt einige Hotels/Hostels angemietet in denen Obdachlose maximal in Doppelzimmern untergebracht werden mit Schnelltests. Hotels und "Ferienwohnungen" stehen bundesweit leer. In Märkisch-Oderland werden von der Suchmaschiene für den Monatszeitraum 14.11.-14.12.2020 sofort 286 leerstehende, komplett eingerichtete Wohnungen angezeigt. Menschenverachtend weiterhin dagegen der Umgang mit Flüchtlingen, wie im Artikel beschrieben. Schockierend, dass nicht mal die Risikogruppen besser geschützt werden. Das wäre soweit gewollt sofort machbar, siehe oben.

  4. 7.

    Das Problem gibt es nicht nur in Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge. Das Problem gibt es in jedem Wohnheim/Pension/Hostel für Wohnungslose. Es gibt grundsätzlich sehr wenig zur Verfügung stehende Einzelzimmer, das war auch schon vor Corona so. Und deswegen sind Einzelzimmer (die im Übrigen durchschnittlich 50€/Tag kosten) auch besonderen Härtefällen vorbehalten.
    In Brandenburg ist die Vermittlung in leerstehende Wohnungen vielleicht noch möglich. Aber in Berlin gibt es kaum geeigneten (!) Leerstand. Da ist höchstens die Vermittlung über das Geschützten Marktsegment möglich. Das sind jährlich 1350 Wohnungen für ganz Berlin für alle Wohnungslosen bzw. von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen. Klingt vielleicht erst mal viel, aber reicht lange nicht aus. Die Lage der untergebrachten Menschen mag prekär sein, aber ich wüsste nicht wie das mit den wenigen vorhandenen Ressourcen verbessert werden könnte, zumindest in Berlin.

  5. 6.

    Welche leere Wohnungen? Sind wir hier im Kommunismus. Es gilt immer noch der Schutz des Eigentums. Nicht jeder Istrien Miethai. Kapieren Sie das endlich.

  6. 4.

    Es gibt nur ein echtes Schutzkonzept: die sofortige Einquartierung in leerstehende Wohnungen, die absichtlich wegen dem Mietendeckel oder wegen sonstiger Spekulation leerstehen. Und da sollen sie auch permanent wohnen, wenn sie das wollen. Mit den Obdachlosen kann man auch so verfahren. Einquartieren in leere Wohnungen!

  7. 3.

    Warum überrascht mich das nicht?

  8. 2.

    Ihr Kommentar geht leider in die falsche Richtung. Statt weiter Panik, Kontrollen und Strafen das Wort zu reden, sollten endlich technische und sozial verträgliche Lösungen gefunden werden, um das Infektionsrisiko mit Corona zu vermeiden. Lüftungsanlagen in öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen, in Gaststätten. Einzel- oder Doppelzimmer in Asylheimen statt Massenunterkünften. Kleine Einheiten in Pflege- und Altenheimen. Aber statt diese wirksamen Maßnahmen umzusetzen, überbieten sich die Verantwortlichen mit Verboten, Einschränkungen und Strafverschärfungen. Und der verängstigte Bürger applaudiert diesem Agieren auch noch. Söder kommt mir wie ein Fußballtorwart vor, der bei jedem Spiel ein Dutzend Tore kassiert, aber nach dem Spiel am Stammtisch über das moderne Torwarttraining schwadroniert. Wir brauchen keine Schwätzer, Droher, Panikmacher und Strafenverschärfer, sondern couragierte Politiker in intelligenten Corona-Schutz investieren.

  9. 1.

    "Kein Konzept für Corona-Schutz in Asylunterkünften"
    Auch für die Hochrisikogruppen gibt es kein Konzept, schon sechszigmal angesprochen. Genauso, dass vorsätzliche Verstöße gegen diese Menschen nicht verfolgt werden, da nach Meinung des MSGIV (Nonnemacher) nichts passiert ist (im Sinne von sie leben doch noch).
    Wann berichtet der rbb mal darüber??

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