Fluchtroute über Belarus - Polen denkt wegen angespannter Grenzlage offen über Nato-Bündnisfall nach

Di 09.11.21 | 15:05 Uhr
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Polnische Grenzschutzbeamte stehen hinter einem Stacheldrahtzaun und bekämpfen Migranten, während sie sich an der weißrussisch-polnischen Grenze versammelt haben. Mehrere Hundert Migranten haben sich nach Angaben der Behörden in Belarus zu Fuß auf den Weg zur Grenze zum EU-Nachbarland Polen gemacht. (Quelle: Leonid Shcheglov/BelTA/AP)
Audio: Antenne Brandenburg | 09.11.2021 | Jan Pallokat | Bild: Leonid Shcheglov/BelTA/AP

Die Lage an der belarussisch-polnischen Grenze bleibt angespannt, hat aber an der massiven Schärfe von Montag verloren. Mehrere Hundert Geflüchtete verbrachten die Nacht im Niemandsland zwischen den beiden Ländern.

Nach den verstörenden Bildern vom Montag haben die polnischen Behörden eine ruhige Nacht gemeldet. Die örtliche Polizei sprach von einem Steinwurf in Richtung eines Polizeifahrzeugs an der Grenze. Bilder des Grenzschutzes zeigten, wie eine größere Gruppe von Migranten auf der anderen Seite des Grenzzauns unweit eines nun geschlossenen Grenzübergangs ein Zeltlager errichtet und Lagerfeuer entzündet hatte.

"Die vergangene Nacht ist ruhig verlaufen. Die dort versammelten Menschen - nach unseren Schätzungen bis zu 800 - bauten Zelte auf, organisieren ein Lager - selbstverständlich alles unter Aufsicht belarussischer Dienste. Die Menschen haben sich nicht aggressiv verhalten. Wir haben die ganze Nacht über in verschiedenen Sprachen verbreitet, dass ein Grenzübertritt an dieser Stelle absolut verboten ist und Personen nach Belarus zurückgewiesen werden", so Katarzyna Zdanowicz, Sprecherin des Grenzschutzes im polnischen Außenbezirk Podlasie.

Hunderte Geflüchtete campieren im Niemandsland zwischen Belarus und Polen. (Quelle: Viktor Tolochko via www.imago-images.de)

Parlamentschefin sieht nicht nur Angriff auf polnische Grenze

In Warschau hatte am Montagabend die Sejm-Vorsitzende Elzbieta Witek - formal Nummer zwei im Staate - in einer Rede vor der polnischen und einer EU-Flagge - die zuletzt nicht immer zu sehen war - zur Lage gesprochen. Der belarussische Machthaber Lukaschenko nutze Migranten auf zynische Weise als menschliche Schutzschilde, erklärte sie. Und wie dieser Tage andere Vertreter der PiS-Partei auch bis hin zum Premierminister unterstrich auch sie besonders, dass es sich eben nicht nur um eine polnische Grenze handele. "Der Angriff auf die polnische Grenze ist ein Angriff auf die EU und ein Nato-Mitglied. Schon heute haben unsere Verbündeten diese Aggression solidarisch und eindeutig verurteilt und aufgefordert, sie sofort zu beenden", erklärte Witek.

Oppositionsführer Tusk sieht erste Stufe des Nato-Bündnisfalls verwirklicht

Derweil fordert die politische Opposition in Polen zunehmend nachdrücklich eine Internationalisierung. Bislang wollte Polen aber weder auf die Hilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex zurückgreifen noch internationale Hilfsorganisationen an die Grenze lassen. Oppositionschef Donald Tusk forderte sogar Artikel vier des Nato-Vertrags zu aktivieren, die erste Stufe des sogenannten Bündnisfalls.

Der polnische Grenzschutz hat die Geflüchteten auf belarussischer Seite im Blick. (Quelle: Belarus State Border Committee via www.imago-images.de)

"Wir arbeiten auf Expertenebene ständig sowohl mit Frontex als auch mit der Nato zusammen. Beide haben ihre Unterstützung für unser Vorgehen an der Grenze artikuliert. Zurzeit haben wir als Regierung den Entschluss gefasst, dass die polnische Grenze vor allem durch polnische Kräfte und Soldaten geschützt wird. Wir wissen, dass die Krise noch lange andauern wird, und schließen nicht aus, dass Hilfe der Alliierten noch nötig sein wird, aber im Moment sind unsere Leute im Einsatz", erklärte der Sprecher des polnischen Geheimdienstkoordinators, Stanislaw Zaryn.

Polnischer Premier am Dienstagmorgen in der Grenzregion

Im Morgengrauen hatte Premier Mateusz Morawiecki am Dienstag Grenzsoldaten im Sperrgebiet besucht. Die Behörden verbreiteten dazu dann effektvolle Bilder unter dramatischen Wolkenformationen aus einer Region, in die normale Pressefotografen seit Monaten nicht mehr vorgelassen werden und Aufnahmen etwa von der Grenze streng verboten sind.

Morawiecki dankte den Grenzschützern für ihre so wörtlich "professionelle Arbeit" unter "voller Achtung der Menschenwürde". Er beklagte, dass polnische Hilfskonvois, die das Land organisierte, an den regulären Übergängen nicht über die Grenze nach Belarus gelassen würden. Bei früherer Gelegenheit hatten Behördenvertreter auf die Frage, warum diese Hilfsgüter nicht direkt an die Grenze gefahren und über den Grenzzaun geworfen würden, erklärt, ein solches Vorgehen wäre illegal. Die Migranten befänden sich auf belarussischem Gebiet und müssten entsprechend von dort versorgt werden.

Rund 600 Geflüchtete im November in Brandenburg angekommen

Mit Stand Dienstag wurden allein Brandenburg in den ersten acht Tagen des Novembers knapp 600 illegale Einreisen mit Belarus-Bezug von der Bundespolizei festgestellt. Im Gesamtverlauf der deutsch-polnischen Grenze entfallen damit auf Brandenburg rund die Hälfte aller illegalen Einreisen im November. Eine Einschätzung, wie sich die Lage weiterentwickelt, wollte eine Sprecherin der Bundespolizei nicht geben. Dazu sei die Entwicklung viel zu dynamisch, betonte sie. Bisher nahm die Bundespolizeidirektion Berlin in 2021 bisher 4.890 unerlaubt eingereiste Personen mit Belarus-Bezug in Gewahrsam. Die Personen stammen vorrangig aus dem Irak sowie aus Syrien, dem Jemen und Iran.

Sendung: Antenne Brandenburg, 09.11.2021

Mit Material von Jan Pallokat

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11 Kommentare

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  1. 11.

    Danke an Polen, sie sind die einzigen, die Europas Außengrenzen schützen !!

  2. 10.

    Die Flühtlinge haben sicherlich nachvllziehbare Gründe (Krieg/Armut) für ihr Flucht. Politische Gründe können es allerdings nicht sein. In Belarus sind sie in Sicherheit. Sie wollen auch nicht in Polen bleiben sondern weiter nach Deutschland wil in Deutchland offenbar die besten Bedingungen für Geflüchtete warten. Deutschland hat in den letzten Jahren genug Geflüchtete aufgenommen. Die Akzeptanzgrenze ist für viele erreicht. Wer für die weitere Aufnahme von Geflüchteten ist, sollte diese bei sich unterbringen und entsprechend verpflegen. Dann wäre seine Forderung wenigstens glaubwürdig. Meine Solidarität gehört in diesem Fall Polen. Es muß ein Zeichen gesetzt werden, dass nicht jeder das Recht hat sich überall niederzulassen.

  3. 9.

    Wer Menschen als "menschliche Schutzschilde" degradiert hat keine Hilfe zu fordern. Polen ist kein Rechtsstaat und sollte erst einmal seine Hausaufgaben erledigen bevor man Hilfe seiner Partner einfordert.

    Menschen in Not zu helfen ist das Gebot der Stunde, nichts weiter.

  4. 8.

    Danke an die polnischen Soldaten!

  5. 7.

    Mein Dank an Polen. Sie handeln wenigstens.

  6. 6.

    Wer Menschen als "menschliche Schutzschilde" degradiert hat keine Hilfe zu fordern. Polen ist kein Rechtsstaat und sollte erst einmal seine Hausaufgaben erledigen bevor man Hilfe seiner Partner einfordert.

    Menschen in Not zu helfen ist das Gebot der Stunde, nichts weiter.

  7. 5.

    Wer Menschen als "menschliche Schutzschilde" degradiert hat keine Hilfe zu fordern. Polen ist kein Rechtsstaat und sollte erst einmal seine Hausaufgaben erledigen bevor man Hilfe seiner Partner einfordert.

    Menschen in Not zu helfen ist das Gebot der Stunde, nichts weiter.

  8. 4.

    Polen zeigt an seiner Grenze die konsequente Haltung, welche bei uns fehlt.

  9. 3.

    Gefährliche Situation!! Lukaschenko ist mit Putin verbündet - da den Bündnisfall ausrufen, könnte die Lage eskalieren lassen...
    Ich kann nach wie vor nicht verstehen, dass jemand, der in Istanbul oder Dubai in einen belorussischen Flieger steigt, in Europa noch als Flüchtling gilt.

  10. 2.

    Das ganze ist nicht nur vom kleinen Mann aus Belarus geplant. Wer das denkt der hat die Zeichen nicht erkannt.

    Diese Form ist menschenverachtend und sollte mal von den UN (wenn die überhaupt aktiv werden wollen ... mag ich gerne mal bezweifeln) untersucht werden.

    In meinen Augen ist die Aktion von jemanden aus Moskau geplant worden und Lukaschenko nur derjenige der ausführt und handelt.
    Der Präsident aus einen Land weiter im Osten lacht doch gerade über seinen perfiden Plan. Erst Nordstream 2 dann die Flüchtlinge ... und zack hat ein Land im Osten die gesamte EU in der Hand.


    Das was da stattfindet ist eine klassische Erpressung. Am Ende wird keiner gewinnen und schon gar nicht die Menschen die dort mißbraucht werden. Das sind die wahren Verlierer.

  11. 1.

    Europa darf sich von diesen Diktator nicht vorführen lassen. Das heisst natürlich auch das man an der grenze hart bleiben muss. Wer was anderes fordert unterstützt Lukaschenko.

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