Sperrzone zwischen Polen und Belarus - Aktionsbündnis will neben Spendenfahrten auch Transport von Geflüchteten organisieren

Sie wollen mit Spenden an der belarussisch-polnischen Grenze helfen und Geflüchtete mit zurücknehmen. So ohne Weiteres scheint das nicht möglich. Bislang positioniert sich das Bundesinnenministerium nicht zu einer möglichen Aufnahme. Von Tony Schönberg
Die Aktion "Mauerfall jetzt!" - bestehend aus der "Seebrücke Deutschland", "LeaveNoOneBehind" und dem Verein "Wir packen's an" aus Bad Freienwalde - sind zurzeit in der Grenzregion im Osten Polens unterwegs und verteilen Hilfsgüter. Beim Versuch, in die Sperrzone nahe der belarussischen Grenze zu kommen, wurden die Aktivisten laut Organisator Ruben Neugebauer von der polnischen Polizei am Dienstag aufgehalten.
Schwierige humanitäre Lage
Bereits Ende Oktober waren Freiwillige Helfer von "Wir packens an" in der Region und haben Spenden im Wert von mehr als 10.000 Euro übergeben. Damals hatte alles problemlos geklappt. Kontakte zu Helfenden vor Ort wurden geknüpft. Zu diesen Freiwilligen ging es jetzt in größerer Runde mit einem Bus mit weiteren Sachspenden. "Die Helfer:Innen betreiben dort verschiedene kleine Lager, von wo aus sie aktiv werden und schauen, wo sie Geflüchtete finden", so Neugebauer. Von diesen Lagern aus versorgen die polnischen Hilfsorganisationen Geflüchtete, die die Sperrzone überwunden haben. Sie beschreiben die Lage der Geflüchteten auf polnischer Seite als prekär.
Auf belarussischer Seite sei die Lage hingegen noch übersichtlicher. Dort stünden die Helfer über Smartphones mit Geflüchteten in Kontakt, hätten so von den tumultartige Szenen am Montag erfahren. Dort hätte eine größere Gruppe Flüchtlinge unmittelbar am Grenzzaun versucht, nach Polen zu gelangen. Einige Beteiligte berichteten von Schüssen, sagte Neugebauer. Aktuell müssten mehrere Hundert Menschen im Niemandsland zwischen Belarus und Polen direkt am Grenzzaun campieren.
Die humanitäre Situation an der Grenze sei katastrophal und spitze sich durch die derzeit fallenden Temperaturen zu. "Wir haben hier eine Raureif-Schicht in den Wiesen und Wäldern“, berichtete Neugebauer. "Es sind nachts Werte unter null Grad. Die Menschen sind unterkühlt und haben teilweise wundgelaufene Füße."
Nach Aussagen des Bündnisses seien hundertfach sogenannte Pushbacks – die Rückführung von Geflüchteten aus Polen nach Belarus - durch polnische Behörden durchgeführt worden. Gegenüber der ARD [tagesschau.de] bezifferte ein polnischer Regierungssprecher die Zahl der Rückführungen auf bis zu 700 am Tag. Oft berichten Geflüchtete, mehrfach zwischen beiden Ländern hin- und hergeschoben worden zu sein, bevor ihnen dann doch die Flucht weiter ins polnische Landesinnere oder nach Deutschland gelungen ist.
Offiziellen polnischen Verlautbarungen zufolge seien bereits mehrere Menschen auf polnischer Seite tot geborgen worden. Um weitere Tote zu verhindern, verteile das Aktionsbündnis aktuell hauptsächlich Winterkleidung, Schuhe und Wärmedecken. Auch Teile der lokalen Bevölkerung leisteten dabei Hilfe, so der Organisator der deutschen Hilfsaktion.
Erschwert werde das jedoch von polnischen Behörden, die die Arbeit der Organisationen kriminalisiere, sagte Neugebauer weiter. "Man kann nur am Rande der Zone aktiv werden. Aber da hat man die Möglichkeit, Menschen zu versorgen, die teilweise entkräftet ankommen. Dass der Zugang verwehrt wird, ist ein riesiger Skandal."
Journalistinnen und Journalisten sei der Zutritt zu dem Gebiet ebenfalls untersagt. "Es ist so, dass schon zahlreiche Menschen von der Polizei in Gewahrsam genommen wurden. Man riskiert sehr viel, wenn man in die Zone reingeht." So kontrollieren die polnische Polizei und das Militär verstärkt in Ortschaften in Grenznähe. Dort wurde auch der Bus mit den Gütern aus Berlin und Brandenburg aus dem Verkehr gezogen.
Transport von Flüchtlingen bis nach Deutschland?
Neben der Verteilung von Sachspenden, stehe das Bündnis bereit, auch Transporte von der polnisch-belarussischen Grenze zu organisieren. "Auf dem Rückweg ist der Bus frei und wir können ein paar Schutzsuchende mit nach Deutschland nehmen", sagte Neugebauer. Einige Städte - wie die bayerische Landeshauptstadt München und das baden-württembergische Rottenburg - hätten bereits ihre Bereitschaft signalisiert, Geflüchtete aufzunehmen.
Dazu benötige es allerdings eine Aufnahme-Zusage des Bundesinnenministeriums. Das müsste der polnischen Regierung eine entsprechende Absicht erklären, denn ohne Zusage sei ein Zugang zu den Geflüchteten nicht möglich, so Neugebauer weiter. "Mauerfall jetzt!" habe eigenen Angaben zufolge entsprechende Forderungen mit einer Frist bis Dienstagnachmittag gestellt. Eine Reaktion blieb allerdings aus. Auch die Anfrage des rbb blieb bislang unbeantwortet.
Seit Beginn des Jahres sind insgesamt mehr als 4.500 Menschen über die Belarus-Route nach Deutschland gekommen. Nach Angaben der Bundespolizeidirektion Berlin stammen sie vorrangig aus dem Irak sowie aus Syrien, dem Jemen und Iran. Vor allem seit August hat sich das Migrationsgeschehen an der polnischen Grenze immens verstärkt.
Sendung: Antenne Brandenburg, 09.11.2021, 14:10 Uhr
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