Klage von Naturschützern und Land Brandenburg - Polnisches Gericht stoppt umstrittenen Ausbau der Oder

Trotz heftiger Kritik aus Brandenburg hatte Polen im März damit begonnen, den Grenzfluss Oder auszubauen. Naturschützer und das Land Brandenburg klagten - und haben jetzt vor einem Warschauer Gericht einen Erfolg verbuchen können.
Die Bauarbeiten zum Ausbau der Oder müssen vorerst gestoppt werden. Das Wojewodschafts-Gericht in Warschau hat am Dienstagnachmittag per Eilentscheidung einer entsprechenden Klage von Naturschutzverbänden und des Landes Brandenburg stattgegeben.
In den vergangenen Wochen schon Tatsachen geschaffen
Mit dem Gerichtsbeschluss wird eine Entscheidung der polnischen Generaldirektion für Umweltschutz aufgehoben. Durch diese Behörde waren Bauarbeiten zur Vertiefung der Oder genehmigt worden, obwohl das Widerspruchsverfahren dagegen noch nicht abgeschlossen ist.
Allerdings sind in den letzten Wochen bereits Tatsachen geschaffen worden, indem am Ufer zahlreiche Buhnen neu gebaut oder saniert worden sind - unter anderem auf Höhe von Frankfurt (Oder), bei Reitwein und nördlich von Küstrin. Umweltschützer fürchten die Austrocknung von Flussauen und die Zerstörung von Lebensräumen für seltene Fischarten, darunter der Baltische Stör und der Goldsteinbeißer.
Umweltverbände sehen durch Entscheidung im Eilverfahren wichtigen Erfolg
Der Deutsche Naturschutzring, der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Bund für Umwelt und Naturschutz begrüßten die Gerichtsentscheidung in einer gemeinsamen Erklärung. "Das Urteil gegen die polnische Regierung ist ein wichtiges Signal", teilte Florian Schöne, Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR), mit. "Zum ersten Mal wurde beim bereits laufenden Ausbau der Oder entlang der deutsch-polnischen Grenze eine polnische Umweltbehörde verpflichtet, die grenzüberschreitenden Auswirkungen des Projektes auf geschützte Arten und Lebensräume zu berücksichtigen und ihrer Verantwortung für die Biodiversitätskrise gerecht zu werden." Weiter teilte Schöne mit: "Die freifließende Oder mit ihren bedeutsamen Leistungen für vielfältige Ökosysteme sowie für den natürlichen Klimaschutz bleibt damit vorerst gesichert." *
Das Warschauer Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Innerhalb von 30 Tagen kann es noch durch eine Kassationsklage angefochten werden.
Jahre langer Streit vorausgegangen
Über den Oderausbau wird in der Grenzregion seit Jahren gestritten. Grundlage ist ein deutsch-polnisches Regierungsabkommen aus dem Jahr 2015. Darin wird festgelegt, dass für die meiste Zeit des Jahres auf der Grenzoder eine Fahrtiefe von 1,80 Meter gewährleistet werden soll. Begründet wird das mit dem Hochwasserschutz: Bei winterlichen Eishochwässern soll die deutsch-polnische Eisbrecherflotte eine ausreichende Fahrtiefe haben, um mögliche Eisbarrieren erreichen zu können, hinter denen sich das Wasser staut. Naturschützer halten das Argument für vorgeschoben, um die Oder für die Binnenschifffahrt zu ertüchtigen.
Mit der Verlängerung und dem Neubau der Buhnen – Steinschüttungen, die fast rechtwinklig zum Flussufer in den Strom ragen – wird der Hauptstrom der Oder in die Mitte gedrängt, vertieft und beschleunigt. Gleichzeitig, so die Sorge von Wissenschaftlern und Naturschützern, gräbt sich der Fluss auf diese Weise tiefer in sein Bett. Damit würde der Wasserstand sinken und die Flussauen bedrohen. Besonders betroffen wäre der Nationalpark Unteres Odertal. Neben den Lebensräumen von Wasservögeln wären auch Hunderte Hektar Moore betroffen, die im Falle einer Austrocknung verstärkt Treibhausgase emittieren, sagte Nationalparkleiter Dirk Treichel im rbb-Podcast "Feld, Wald und Krise".
Weitergehende Pläne in Tschechien
In dem Abkommen von 2015 ist festgelegt, dass die Ausbauten auf beiden Seiten der Oder erfolgen sollen - anders wäre die Wirkung der Buhnen nur begrenzt. Entsprechende Pläne der Bundeswasserstraßenverwaltung befinden sich allerdings noch in einer frühen Planungsphase.
In Polen und Tschechien gibt es unterdessen längst weitergehende Pläne, um die Oder auf voller Länge mit Staustufen zu kanalisieren und über einen neu zu bauenden Donau-Oder-Elbe-Kanal mit dem Schwarzen Meer zu verbinden.
Sendung: Antenne Brandenburg, 14.06.2022, 16:30 Uhr
*Nachtrag vom 15.6.:
Anders als noch am Dienstag rechneten die Naturschutzverbände am Mittwoch nicht mehr damit, dass die Bagger durch das Gerichtsurteil sofort gestoppt würden. Die komplizierte juristische Gemengelage biete offenbar Spielräume, den Baustopp hinauszuzögern, sagte der BUND-Gewässerreferent Sascha Maier dem rbb. Das Gericht hat demnach formal gesehen nicht die sofortige Vollziehung der Bauarbeiten untersagt, sondern die Ablehnung von Einsprüchen der klagenden Verbände aufgehoben. Das heißt, die beklagte Umweltschutzbehörde müsste zunächst selbst noch einmal den Beschluss fassen, die Bagger zu stoppen.