Umweltkatastrophe in Brandenburg - Institut: Bis zu 50 Prozent der Fische in der Oder sind tot

Di 23.08.22 | 22:52 Uhr
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Andreas Hein, Ranger bei der Naturwacht Brandenburg, steht mit Schutzbekleidung im deutsch-polnischen Grenzfluss Westoder, nahe dem Abzweig vom Hauptfluss Oder und holt mit einem Kescher tote Fische aus dem Wasser. (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 23.08.2022 | Stephanie Teistler | Bild: dpa/Patrick Pleul

Von einem "Fischsterben gigantischen Ausmaßes" spricht Umweltminister Vogel - und fordert im Brandenburger Landtag deutliche Konsequenzen. Fest scheint derweil zu stehen: Bis sich die Oder erholt hat, werden Jahre vergehen.

Nach dem massiven Fischsterben in der Oder hat der Brandenburger Umweltminister Axel Vogel (Grüne) eine bessere Katastrophenprävention gefordert. Der internationale Warn- und Alarmplan für die Oder müsse dringend überarbeitet werden, sagte Vogel am Dienstag bei einer Sondersitzung des Umweltschusses im brandenburgischen Landtag in Potsdam. Der bisherige Plan sei zu Havarie-orientiert.

Auf der Suche nach dem Auslöser des Fischsterbens war ein hoher Salzgehalt des Flusses gemessen worden. Dieser sei bisher nicht meldepflichtig gewesen, sagte Vogel. Berücksichtigt werden müsse jedoch, dass genehmigte Einleitungen durch die Erderhitzung ganz andere Folgen haben könnten als früher. Die Temperatur der Oder habe in den zurückliegenden Wochen lange über 25 Grad gelegen.

Vogel: Wasser der Oder noch nicht in Ordnung

Bei der aktuellen Umweltkatastrophe seien mehrere Faktoren zusammengekommen, darunter auch extremes Niedrigwasser und extrem hohe Temperaturen, sagte Vogel. Ein weiterer Faktor sei wohl die festgestellte Algenart, die einen hohen Salzgehalt und hohe Temperaturen brauche. Die Alge allein hätte jedoch "nicht diese Auswirkungen haben können".

Die Oder weise alle möglichen schädlichen Stoffe auf und sei "alles andere als ein Klarwasserfluss", sagte Vogel. Entwarnung könne derzeit noch nicht gegeben werden, obwohl wieder Fische in der Oder unterwegs seien. Auch aktuell sei das Wasser in der Oder für die Lebewesen noch nicht wieder in Ordnung, meinte der Minister. Bei Versuchen seien Wasserkrebse eingesetzt worden, die in kurzer Zeit tot gewesen seien. "Daran sehen wir, es gibt zumindest für Kleinlebewesen noch toxische Stoffe in der Oder", so Vogel.

Satellitenbilder giftige AlgenSatellitenbilder zeigen Ausbreitung der giftigen Alge in der Oder. Bild: Brockmann Consultant für das IGB

"Fischsterben, wie wir es noch nie hatten"

Vogel bezeichnete das Fischsterben in der Oder als eine Umweltkatastrophe ungeahnten Ausmaßes. "Ein Fischsterben, wie wir es noch nie hatten - zumindest seit 1989 - mit gigantischem Ausmaß", sagte Vogel weiter im Umweltausschuss.

Allein in der Verbrennungsanlage der Raffinerie PCK Schwedt seien bereits 22 Tonnen Fischkadaver entsorgt worden, weitere 88 Tonnen seien dort zur Vernichtung angemeldet, sagte Vogel. In einer weiteren Anlage in Rüdersdorf seien bereits 8 Tonnen verbrannt worden, "und viele Tonnen toter Fisch sind noch gar nicht erfasst."

Die polnische Feuerwehr hat nach eigenen Angaben bislang 202 Tonnen tote Fische aus der Oder geborgen. Die Feuerwehr habe entlang des gesamten Flusslaufs 159 Ölsperren aufgestellt, um verendete Fische aufzufangen und zu bergen, sagte der Sprecher der Feuerwehr-Hauptverwaltung am Dienstag.

Bis zu 400 Tonnen toter Fische

Die Berufsfischer der Oder gehen nach eigener Aussage davon aus, dass sich der Fischbestand in zwei bis drei Jahren wieder erholen könnte. Zu hoffen sei, dass hinter dem Fischsterben eine nur kurzfristig giftige Substanz stehe und sich diese nach und nach verdünne, sagte Lars Dettmann, Geschäftsführer des Landesfischereiverbands Brandenburg-Berlin. Dann könnte sich das Leben im Fluss erholen. Nach Dettmanns Schätzung sind inzwischen mehr als 200 Tonnen Fisch verendet.

Das Institut für Binnenfischerei schätzt, dass zwischen 25 und 50 Prozent der Fische in der Oder getötet wurden. Das seien etwa 200 bis 400 Tonnen, sagte der wissenschaftliche Direktor, Uwe Brämick, am Dienstag im Umweltausschuss. Brämick zufolge leben rund 50 Arten in der Oder, 14 seien nach Beprobungen gefunden worden und davon alle Größen, berichtete er.

Brandenburg könne nur wenig gegen den polnischen Oder-Ausbau tun

Mit Blick auf den laufenden Ausbau der Oder auf polnischer Seite sagte Axel Steffen, Abteilungsleiter im Brandenburger Umweltministerium, rbb24, dass die Mittel Brandenburgs, Widerspruch dagegen einzulegen, begrenzt seien. Steffen mahnte aber, bedingt durch den Klimawandel gebe es das Phänomen niedriger Flusspegel in ganz Europa. Das müsse man beim Ausbau des Flussbetts berücksichtigen. Es sei ein Eingriff in ein Ökosystem. Wenn irgendwo an einer Schraube gedreht werde, kann das insgesamt zu einer Katastrophe führen, so Steffen wörtlich. Der Ausbau sollte eingestellt werden, zumindest bis die Ursachen der aktuellen Katastrophe komplett geklärt seien.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 23. August 2022, 19:30 Uhr

43 Kommentare

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  1. 43.

    Das ist natürlich schlimm, aber im strengeren Sinne keine direkte Verklappung, wie in Polen.
    Das Massentierhaltung und „konservative“ Landwirtschaft Böden zerstört und das Grundwasser belastet ist furchtbar aber eine andere Baustelle, die in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit noch oben drauf kommt.

  2. 42.

    Mal sehen. Zumindest steigt es bei Ratzdorf schon:
    https://www.pegelonline.wsv.de/gast/stammdaten?pegelnr=603140
    Ich bin ja gespannt, ob ich da dann eine Entwicklung in den Laborergebnissen der nächsten Proben nachvollziehen kann.

  3. 41.

    Da ich die Spülung eingebracht habe. das war nicht positiv gemeint, im Sinne von Wegspülen und alles wird wieder gut.
    Ich denke ein sanfter Anstieg der Pegel und Abflüsse wäre hilfreicher als >1m in 2 Tagen was ich jetzt mal so ungefähr abschätze. In Nova Sol ist es knapp über 1m.
    Alles was normalerweise unter Luftabschluss auf oder im Boden lag, konnte in den vergangenen trockenen Wochen irgendwelche biologischen oder chemischen Prozesse mit der Luft beginnen. Was passiert wenn nun Wasser dazu kommt und bei dem Anstieg auch für größere Flächen bzw. relativ schnell?
    So ähnlich wie die Auflösung des Pyrits bei Öffnung der Tagebaue und Ausspülen von Eisenhydroxid und Sulfat bei Flutung.

  4. 40.

    "Keine Ahnung warum die EU überhaupt Verklappungen erlaub "
    Eigentlich erlaubt die EU das nicht. Die Wasserrahmenrichtlinie gilt für alle EU-Mitglieder.
    Deutschland reizt die Ausnahme bis 2027 schon für einige Gewässer aus und wurde auch schon mehrfach für die Nitratproblematik in vielen Grundwasserkörpern abgemahnt und ist auf dem besten Wege auch abgestraft zu werden.
    Polen interessiert diese Richtlinie offensichtlich auch nicht allzu brennend.

  5. 39.

    Das Quellgebiet ist für meine Aussage relativ uninteressant. Daher mein Link zu den polnischen Pegeln.
    Das Einzugsgebiet ist entscheidend und wie kurz die Wege zum Hauptstrom sind. Da hat es eben ein paar Tage flächig geregnet.
    Wie gesagt kein Hochwasser aber wenn ein seit Wochen fast stehender Fluss innerhalb kurzer Zeit auf halbwegs normal springt, ist das wissenschaftlich ein interessantes Ereignis und im Verhältnis auch eine kräftige Spülung. Alles was sich in den letzten Tage irgendwo abgesetzt oder angesammelt hat, spült es nun schnell frei. Auch das was durch den Kontakt zur Luft in den trockenen Wochen irgendwie reagiert hat.
    Im Moment also ein Risiko das man beobachten muss, gerade mit den gesammelten Erfahrungen.
    Am letzten Pegel in Polen ist die Welle bereits, also viel zurückhalten ist offensichtlich nicht gewollt oder nicht möglich.

  6. 38.

    Ja sie haben Recht, präzise hat man nur die Rohre oder Einleitungsstellen gefunden, mehr Informationen werden natürlich wie üblich verwischt.
    Trotzdem sind Verklappungen vorgenommen worden, die natürlich als legal propagiert werden.
    Aber wir als Kommentartoren können ja ruhig Klartext reden und jedem ist klar, dass das mit Abstand die schlimmste menschengemachte Umweltkatastrophe In und an der Oder ist.
    Und das hier Verklappungen REGELMÄSSIG stattfinden.
    Für mich haben die bisherigen Aussagen zur künftigen „Wiederherstellung“ und „Nutzung“ des Oderbiotops auch etwas mit der Quadratur des Kreises zutun.

  7. 37.

    "Von polnischer Seite werden ja selbst über 280 illegale Oderverklappungen zugegeben,"
    Nene, die haben 280 Rohre gefunden, die in die Oder reichen, zu denen es keine Genehmigung gibt und keiner sagen kann wo die herkommen und wer da was verklappt hat.
    Bei den ersten 60 ist die Polizei schon bei.
    Und zum Schluß war's irgendein kleiner Bauer, der als Opfer hinhalten muss. Ein richtiges Bauernopfer...

  8. 36.

    Nur bei Muscheln und Krebsen gibt es auch je nach Art unterschiedliche Bedürfnisse an die Gewässergüte. Und wie ich schon einmal in einem anderen Forum angemerkt habe bezweifle ich, dass es sich bei der Krebsart um den gefährdeten europäischen Flusskrebs handelt, sondern eher um eine invasive Art!

  9. 35.

    Wie schon im anderen Forum geschrieben, es hat vermutlich mehrere Ereignisse gegeben:
    Zuerst vermutlich Mitte-Ende Juli Einleitung von Industrieabwässern bei Opole und/oder Olawa südöstlich/stromaufwärts von Wroclaw. Dann vermutlich Ende Juli/Anfang August die Einleitung der Salzwasser-/Algenfracht mit dem teilweise oder vollständigen Öffnen des Klärbeckens von KGHM Polska bei Glogow, nordwestlich/stromabwärts von Wroclaw.
    Letzteres dürfte auch die 30cm Welle erzeugt haben, die dann ab ca. 07.08. in D registriert wurde.

  10. 34.

    "hier wären die Fischarten interessant,"
    Ich hatte ja gestern schon angemerkt, das die Tonqualität leider so miserabel war, das kaum was zu verstehen war.
    Aber zumindest waren alle Größen vertreten und Muscheln + Krebse wohl auch.
    Vielleicht gibt ja das LfU bzw. MLUK irgendwann nochmal was raus.

  11. 33.

    "Angler, die ihre gefangenen Fische wieder einsetzen"
    Ich kenn auch Leute, die keine Erlaubniskarte für das Gewässer hatten und trotzdem angeln gingen. Macht es das besser?
    Lesetipp:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Fangen_und_Freilassen#Kritik
    Und den Absatz der Rechtslage in Deutschland bitte auch.

  12. 32.

    Aber das eigene Bundesland Brandenburg hat wahrscheinlich nicht versagt, nur Polen oder der Bund sind wahrscheinlich schuld ? Umweltministerium, Kontrollorgane, etc. gab es wohl nicht, oder waren unterbesetzt ? Corona aus China, Krieg aus Russland, Umweltkatastrophen vom polnischen Nachbarn, etc. ???

  13. 31.

    Eine kräftige Spülung setzt zudem voraus, dass sämtliche primäre und sekundäre Toxine nebst Ursache sich wegspülen lassen.
    So eine Spülung kann ansonsten auch zu einer zweiten toxischen Welle führen.

  14. 30.

    https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/tiere/fischsterben-in-der-oder-forscher-finden-grosse-mengen-algengift-18260804.html

    Das sieht unser Topbiologe, dem wir überhaupt erst den Algenbefund zu verdanken haben, aber etwas anders, gerade im Hinblick der immer wieder, durch Baggerarbeiten, aufgewühlten Pestizidbelastung.
    Und nein man fällt nicht gleich tot um. In diesem Fall steigt „nur“ das Krebsrisiko.
    Von polnischer Seite werden ja selbst über 280 illegale Oderverklappungen zugegeben, dass heißt es finden regelmäßig implizit Legale statt. Keine Ahnung warum die EU überhaupt Verklappungen erlaub und was in diesem Zusammenhang überhaupt noch für ein politisches Schmierentheater aufgeführt wird.
    Wer verklappt wird sicher kein klares Wasser einleiten, oder?

  15. 29.

    Um den gesamten Schaden beurteilen zu können bedarf u.a. Sedimentproben und ein flächendeckende Aufnahme der Wasserpflanzen und Kleinstlebewesen. Ein „Spülung“ reicht nicht aus um das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen!

  16. 28.

    Und hier wären die Fischarten interessant, um die Gewässergüte in Verbindung mit den Messwerten zu bestimmen.

  17. 27.

    "Die Angler wären alle schon tot umgefallen...."???
    Also ich kenne mindestens. 3 Angler, die ihre gefangenen Fische wieder einsetzen und nicht nur weil sie untermassig sind.

  18. 26.

    Sicher erinnert er sich daran. Warum auch nicht? Spricht weiterhin nichts dagegen. Das Mess- und Meldesystem zeigte sich sehr lückenhaft und müsste verdichtet und verbessert werden.
    Ist auch nicht seine Idee, der Gedanke Überleitung von Elbe, Oder, Neiße ist nicht erst in 2022 geboren und wird in Fachkreisen schon länger diskutiert.
    Der Rhein wird seit Jahrzehnten für die Grundwasseranreicherung in Trinkwasserqualität bzw. Trinkwassergewinnung genutzt. Und auch der hat in der Zeit einige Belastungen aushalten müssen.

  19. 25.

    Haben sich denn schon Umweltaktivisten gemeldet und sich vielleicht sogar festgeklebt ? Da müssten doch jetzt Tausende auftauchen, Zeichen setzen und wenigstens die illegalen Gewässereinleitungen verhindern.

  20. 24.

    So viel ist es wahrscheinlich nicht aus dem Quellgebiet der Oder, daß es für eine kräftige Spülung reicht:
    https://www.pod.cz/portal/SaP/de/pc/?data=1
    Außerdem wird die Welle durch die Staustufen in der Oder stark gebremst werden.

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