Interview | Urteil zu Kontoführungsgebühren - "Bankkunden müssen sich selbst um ihre Ansprüche bemühen"

So 09.05.21 | 12:17 Uhr
  4
Frau steht vor Geldautomat einer Sparkasse. (Quelle: imago-images/Michael Weber
Audio: Antenne Brandenburg | 07.05.2021 | Dilan Polat | Bild: imago-images/Michael Weber

Der Bundesgerichtshof hat Ende April beschlossen, dass Banken ohne Zustimmung der Kunden die Kontoführungsgebühren nicht automatisch erhöhen dürfen. Was das für Bankkunden bedeutet, erklärt Erk Schaarschmidt von der Verbraucherzentrale im Interview

Für Banken wird es nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 27. April ungemütlich: Mit dem Urteil sind viele Erhöhungen der Kontoführungsgebühren unzulässig. Geklagt hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen gegen die Postbank. Geldhäuser dürfen demnach nicht einfach die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ändern und davon ausgehen, dass Kunden, die sich nicht in der Sache melden, den Änderungen zustimmen. Künftig müssen Kundinnen und Kunden dem aktiv zustimmen. Was das bedeutet, erklärt Erk Schaarschmidt, Jurist bei der Verbraucherzentrale Brandenburg und dort zuständig für Finanzdienstleistungen.

rbb|24: Herr Schaarschmidt, Sie beraten Bankkunden. Hat das Urteil des BGH bei Ihnen schon zu mehr Arbeit geführt?

Erk Schaarschmidt: Es fängt so langsam an, Mehrarbeit zu machen, das heißt, die Leute melden sich schon, machen Termine, wollen dazu eine Beratung haben. Es betrifft ja nicht nur die Rückforderung von Girokonto-Entgelten, die erhöht worden sind, sondern durchaus auch andere Sachen, die über Änderungen der AGB bei den Kunden Einzug gehalten haben. Das können sowohl Sachen zu den Kreditkarten, Portoerhöhungen oder Änderungen beim Datenschutz sein. Das sind alles Sachen, die man im Einzelnen prüfen muss. Die Folgen dieses Urteils sind enorm.

Was glauben Sie, bedeutet das Urteil für die Kunden? Werden die ihr Geld zeitnah zurückbekommen?

Ich denke, die Kunden müssen sich selbst um ihre Ansprüche bemühen. Es wird also nicht so laufen, dass die Sparkassen und Banken automatisch etwas erstatten, sondern man wird sich selbst darum kümmern müssen. Es wird wahrscheinlich ähnlich sein wie vor fünf, sechs Jahren mit den Kreditbearbeitungsgebühren. Damals mussten die Kunden zu Ombudsleuten gehen, also zu Schlichtern, um ihr Geld zu bekommen. Es waren Hunderttausende, die sich damals gemeldet haben, und Ähnliches ist jetzt hier zu befürchten. Das wird eine Weile dauern, aber die Kunden sollen ihre Ansprüche anmelden und dann wird man sehen, wie sie Geld zurückbekommen.

Wie können Bankkunden ihre Ansprüche geltend machen?

Sie können das mit einem Musterbrief tun. Sie können auch selbst einen Brief aufsetzen und reinschreiben, dass sie sich auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 27. April 2021 berufen und dass sie die überzahlten Kontoführungsgebühren zurückhaben möchten. Den Musterbrief kann man sich in der Beratung mitgeben lassen, der wird per E-Mail übersendet.

Sie haben gesagt, hunderttausende Kunden haben sich gemeldet. Das sind ja bei Weitem nicht alle. Das heißt, wer sich als Kunde jetzt nicht meldet, verschenkt unter Umständen Geld?

Natürlich, aber das ist in der Geschäftswelt immer so. Wenn man den Arm nicht hebt, dann kriegt man selten etwas geschenkt. Deshalb muss man sich darum bemühen und man muss auch etwas dafür tun, dass etwas zurückkommt.

Es gibt Geldinstitute, die explizit mit ihrer Nähe zu allen Kunden, nicht nur den Vermögenden, auch in der Fläche werben. Warum braucht es dennoch Klagen, um Offenheit und Transparenz einzufordern?

Bei Finanzinstituten muss man oftmals eine Klage auf den Tisch legen, bevor die sich überhaupt regen. Das hat sich leider so eingebürgert. Wir wissen nicht, warum das so ist. Vielleicht sind auch die Bankkunden so etwas wie die Melkkühe der Nation. Möglicherweise wird sich das jetzt ändern und einige Banken werden dieses BGH-Urteil nicht überleben, weil sie komplett ihr Geschäftsmodell ändern müssen und es tatsächlich nicht mehr so geht.

Sie sagen, einige Banken werden das Urteil des BGH nicht überleben. Betrifft das auch Geldhäuser in der Region, im ländlichen Raum?

Einige Banken werden sich drehen müssen. Im Brandenburger Raum gehe ich nicht unbedingt davon aus. Aber es gibt durchaus Institute, die sehr dünne Gewinne erwirtschaften und dort ist dann tatsächlich die Frage, ob man die halten kann, ob man sich umstrukturieren muss und ob man vielleicht nicht auch tatsächlich einen Weg der Verschmelzung gehen muss. Wir haben in Deutschland tatsächlich noch sehr viele Institute. Ich glaube knapp 2.000. Man bräuchte nicht irgendwelche Geldautomaten oder Filialen vor Ort schließen. Es sind andere Positionen, die unseres Erachtens bei den Banken auf die Kostenschraube drücken.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Erk Schaarschmidt führte Stefan Kunze für Antenne Brandenburg.

Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung.

Sendung: Antenne Brandenburg, 07.05.2021, 14:40 Uhr

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels wurde darauf hingewiesen, dass der Musterbrief auch über die Stiftung Warentest und Finanztip zu erhalten ist. Die Verbraucherzentrale erklärte ihre Aussage dazu als unglücklich. Der entsprechende Abschnitt und die vom rbb24 eingeführte Verlinkung wurden entfernt.

4 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 4.

    Was will der "kleine Mann" damit sagen ? Gerade Gerichte haben zum Beispiel zig male in Harz 4 Sachen eine Änderung zugunsten der Leistungsempfänger entschieden. Auch der "Mitendeckel wurde nicht verworfen. Berlin war halt nur nicht zuständig.

  2. 3.

    Was macht das für einen Sinn? Wenn man nicht zustimmt fliegt man raus wie auch anderswo. So war es auch schon beim DSGVO oder wie das heißt. Stimmt man nicht dem Verzicht seiner Rechte und Privatsphere zu, den AGB, wird dicht gemacht. Man könnte den halben Tag damit verbringen AGB, Cookieregeln und Datenschutz zu lesen und zuzustimmen. Täglich 100te Seiten Kleingedrucktes. Und zwar jedes einzelne mal neu weil sich ja was geändert haben könnte. Wenn man den Supermarkt betritt, auf eine Parkfläche fährt, eine Internetseite aufruft, in die Tram steigt, Netflix, Handy, Streamen, YouTube... überall.

  3. 2.

    Die Gerichte entscheiden doch immer für die Reichen,Großen und Banken.Der kleine Mann ist immer der angeschissne.(siehe mietendeckel)

  4. 1.

    Es ist so ein Unfug,dass sich jeder einzeln melden muss,anstatt die Institute von sich aus die Sache regeln müssen. Das wäre bürgerfreundlich.

Nächster Artikel